Von wegen Kies: War das der wahre Grund für den Alonso-Abflug?
Vertauschte Rollen: Während Fernando Alonso im Regen von Melbourne crasht, holt Teamkollege Lance Stroll als Sechster für Aston Martin die Kartoffeln aus dem Feuer
(Motorsport-Total.com) - Man könnte meinen, als erfahrenster Grand-Prix-Pilot in der Geschichte, und mit über 400 Rennstarts in der Formel 1 auf dem Buckel, hat Fernando Alonso in seiner langen Karriere schon alles erlebt - aber das, was ihm am Sonntag in Melbourne widerfuhr, war offensichtlich auch für den Altmeister neu:

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Crash in Runde 34: Alonso schlägt ein, der Aston Martin ist hinten rechts Schrott Zoom Download
"Das Kiesbett kam zu mir", wählt Alonso mit Blick auf seinen Abflug in der 34. Runde kryptische Worte. Am Ausgang von Kurve sechs dreht er sich auf dem Randstein weg, schlägt mit dem Heck voran in die Mauer ein - das bittere Aus für den Aston Martin-Piloten, der zu diesem Zeitpunkt auf Rang zehn liegt.
Doch der seltsame Crash gibt ihm Rätsel auf: "Es war nicht so, dass ich absichtlich darauf gefahren wäre oder so", erklärt Alonso in Bezug auf den Kies. Der lag laut dem Spanier "lose genau auf der Strecke, in der Kurve, und ich habe die Kontrolle verloren". Dabei habe er einfach "Pech gehabt", urteilt der 43-Jährige: "Ein unglücklicher Vorfall."
Schon vor der Kurve: Wurz findet den Fehler
Tatsächlich offenbaren die Zeitlupen, dass die Fahrzeuge vor Alonso deutlich wilder und weiter außen über den Randstein in Kurve sechs brettern, dabei Kies auf die Strecke schleudern. Der Spanier wählt im direkten Vergleich noch die konservativste und bravste Linie, doch genau die wird ihm offenbar zum Verhängnis.
Kurios: Ein ähnliches Schicksal ereilte im Qualifying am Samstag in derselben Kurve auch schon Mercedes-Rookie Andrea Kimi Antonelli, der sich beim Überfahren der verschmutzten Stelle den Unterboden beschädigte. Der Italiener ist es am Sonntag dann auch, der direkt hinter Alonso fährt, und somit einen Logenplatz für den Abflug des zweifachen Weltmeisters ergattert.
Dabei räumt Alonso in Bezug auf seinen Crash ein: "Ich denke, es war eine andere Linie als auf all meinen Runden davor, das war also ein bisschen eine Überraschung." Was der Spanier jedoch verschweigt, klärt dafür TV-Experte Alex Wurz im ORF auf. Dem Ex-Formel-1-Piloten ist nämlich aufgefallen: "Er hat hinfahrend zu dieser Kurve sechs versucht den Reifen zu kühlen, und dann hat er weniger Grip gehabt in der Kurve."
Genau wie Piastri: Alonso lernt "die Lektion"
Auf den Onboard-Aufnahmen ist zu sehen, dass Alosno auf der kurzen Geraden hin zu Kurve sechs kurz ins Nasse fährt, um seine Intermediate-Reifen zu kühlen. In der folgenden Kurve gerät er dann in Schwierigkeiten. Wurz: "Das ist dem Oscar Piastri genauso gegangen." Auch der McLaren-Pilot hatte kurz zuvor in Kurve sechs einen heiklen Moment, verlor dabei fast das Auto.
Deshalb sieht der Experte auch bei Alonso die Ursache für den Fehler im "kurz minimierten Grip", so Wurz, der schlussfolgert: "Also dieses Abkühlen hat wenig Sinn." Vielleicht mit ein Grund, warum Alonso nach dem "für alle definitiv schwierigen Rennen" von einem "unnötigen Zwischenfall", spricht: "Es tut mir leid fürs Team, aber jetzt können wir nichts mehr daran ändern. Wir nehmen die Lektion mit und kommen stärker zurück."
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Allein: Der verlorenen Chance auf WM-Punkte will der Spanier nach seinem Aus nicht allzu sehr hinterher trauern, glaubt er doch: "Ich lag auf Platz zehn, und Antonelli war direkt hinter mir und sehr schnell. Ob ich diese Position hätte halten können, weiß ich nicht. Es war also kein Rennen, bei dem wir allzu viele Punkte verloren haben."
Gegen diese Theorie spricht allerdings ganz eindeutig, dass Teamkollege Lance Stroll am Sonntag schlussendlich als Sechster abgewunken wird - obwohl er zum Zeitpunkt des Unfalls, wie eigentlich das ganze Australien-Wochenende über, noch hinter seinem Stallgefährten fährt.
Stroll nach Rang sechs ehrlich: "Hatte nichts damit zu tun"
Der Kanadier, der bei Mischbedingungen auffällig oft aus seinem sonst latent vorhandenen Leistungsloch aufwacht, freut sich über satte acht WM-Zähler beim Auftakt - reicht das Lob dafür jedoch umgehend an sein Team weiter: "Sie haben auf die Wettervorhersage geschaut und gesehen, dass es auf der anderen Seite der Strecke bereits regnet. Deshalb haben sie mich reingerufen, ich hatte damit also nichts zu tun", grinst Stroll nach dem Rennen.
Die Bedingungen auf der Strecke hätten sich binnen kürzester Zeit stark verschlechtert, so der Aston-Martin-Pilot: "Ich habe gesehen, wie sich alle gedreht haben, und hatte viel Regen auf meinem Visier. Es ging also nur darum, auf der Bahn zu bleiben und zur richtigen Zeit auf dem richtigen Reifen zu sein."
Das gelingt Stroll am Sonntag schließlich bestens, wenngleich sich der Tanz über die nasse Strecke schnell zu einem Drahtseilakt entwickelt: "Es war ein Balanceakt zwischen Pushen und eine Sekunde pro Runde schneller fahren, aber mit einer 90-prozentigen Wahrscheinlichkeit zu crashen - oder eine Sekunde langsamer fahren, aber mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit zu crashen", verrät er.
"Heute war man ständig außerhalb der Komfortzone. Es gab kaum Momente im Rennen, in denen ich einfach nur entspannt fahren konnte, ich war die ganze Zeit quasi auf Zehenspitzen unterwegs", berichtet der Kanadier. Am Ende könne man mit dem Ergebnis zufrieden sein: "Es war eines dieser Rennen, in denen wir viel herausgeholt haben. Aber wir hatten keine überragende Pace", sieht Stroll trotzdem noch viel Arbeit vor Aston Martin liegen.