• 09. Dezember 2024 · 11:47 Uhr

Von Russell vorbeigelassen: So endete Hamiltons Mercedes-"Hammertime"

Das haben die TV-Kameras nicht gezeigt: Lewis Hamilton wischte sich nach seiner letzten Galavorstellung im Mercedes die Tränen aus den Augen

(Motorsport-Total.com) - Nur zu gern hätte Lewis Hamilton seinen 246. und letzten Grand Prix auf Mercedes auf dem Podium beendet. So, wie er das seit 2013 sagenhafte 153 Mal geschafft hatte. Daraus wurde nach dem unglücklich verlaufenen Qualifying mit dem 16. Startplatz nichts. Und doch war es dann ein versöhnliches Ende in Abu Dhabi, mit dem vierten Platz und einer bemerkenswerten Aufholjagd.

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Kurz nachdem er sich die Tränen aus den Augen gewischt hat, steigt Lewis Hamilton aus - ein letztes Mal ... Zoom Download

Seine ganzen Tränen, sagte Hamilton später, habe er sich schon am Donnerstag aus dem Leib geheult, als er von seinem Team mit einem rührseligen Videoclip und einem von allen Mitarbeitern des Teams signierten Helm überrascht wurde. Doch auch wenn er es nicht zeigen wollte: Das eine oder andere Tränchen hat er auch am Sonntag noch verdrückt.

Als Hamilton über die Ziellinie fuhr, meldete sich Teamchef Toto Wolff höchstpersönlich am Boxenfunk: "Lewis, das war die Fahrt eines Weltmeisters. Überragend." Und: "Du wirst immer Teil unserer Familie bleiben. Und wenn wir selbst nicht gewinnen können, dann drücken wir dir die Daumen."

Emotionale Szenen nach Rennende

Hamilton stammelte etwas davon, dass seine Reise bei Mercedes als "Leap of Faith" (also als kleiner Hoffnungsschimmer) begonnen und dass sie direkt in die Geschichtsbücher der Formel 1 geführt habe. Es war eine kleine Abschiedsrede aus dem Cockpit heraus, die ein bisschen geskriptet wirkte, aber in ihrer Anmut angemessen war für einen Sir, wie Lewis Hamilton einer ist.

Bei Start und Ziel legte er noch ein paar Donuts hin (Wolff: "Falls wir disqualifiziert werden: Das war's wert!"), und dann brachen, von den TV-Kameras unbemerkt, alle Dämme. Hamilton wirkte zwar in den ersten Interviews gefasst. Doch bevor er diese gab, als er noch im Auto saß, fasste er sich mit seinen Handschuhen ins Gesicht, um die paar Tränen zu verdrücken, die er sich am Donnerstag noch nicht rausgeheult hatte.

Bevor er ausstieg, klickte er das Lenkrad von der Säule, zum letzten Mal das mit dem Stern auf dem Display, hielt es eine gefühlte Ewigkeit und starrte es an, ehe er es zur Seite legte, er ausstöpselte und sich neben seinem Auto niederkniete. Das waren dann die bewegenden und ein bisschen pathetischen Bilder, die Millionen von TV-Zuschauern im internationalen Broadcast gesehen haben.

Dass ihn George Russell am Ende mehr oder weniger kampflos vorbeigelassen hat, ist ein Schönheitsfehler, der keinen juckt. "George, ich sage nur, was du eh weißt. Mach keinen Blödsinn mit Lewis", funkte Wolff Russell ins Cockpit, als Hamilton in dessen Rückspiegel auftauchte. "Keep it super-clean with Lewis."

"Jawohl, Boss", antwortete der 26-Jährige, für den es in der WM-Tabelle keinen Unterschied machte, ob er Abu Dhabi als Vierter oder Fünfter beendet, und leistete dem Befehl Folge: In der letzten Runde, am Ende der Doppel-DRS-Zone, ging er merklich vom Gas und ließ Hamilton vorbei. Genau an der Stelle, an der Hamilton drei Jahre zuvor, im legendären Finale von 2021, den Konter gegen Max Verstappen um ein Haar verpasst hatte.

Russell: "Toto hätte gar nichts sagen müssen"

"Toto hätte gar nichts sagen müssen", lächelt Russell. "Er weiß, wie sehr Lewis und ich einander respektieren. Wir fahren immer hart, aber fair. Ich habe in diesen drei Jahren so viel von Lewis gelernt. Als Fahrer, als Persönlichkeit. Heute hat er es verdient, vor mir ins Ziel zu kommen. Er war das ganze Wochenende schneller."

"Ich war das ganze Wochenende ein bisschen weg von der Pace, und ich fand, es wäre angemessen, nach diesen drei Jahren eine Sekunde hinter Lewis ins Ziel zu kommen. Ich freue mich für ihn, dass er ein tolles letztes Rennen hatte. Er verdient das. Das Team verdient einen würdigen Abschied. Und ich bin stolz drauf, dass wir diese Jahre gemeinsam verbracht haben."

Drei Jahre, in denen letztendlich übrigens Hamilton hauchdünn die Nase vorn hatte, mit 697 zu 695 WM-Punkten. Hätte Russell sich in der letzten Runde auf dem Yas Marina Circuit gewehrt, wie er sich gegen jeden anderen gewehrt hätte, hätte er das Duell für sich entschieden, mit genau umgekehrter Punktzahl von 697 zu 695 zu seinen Gunsten.

Trotzdem: "Lewis ist heute wie ein Champion gefahren", lobt Wolff. "Wenn ihm gestern nicht der Poller in die Quere gekommen wäre, hätte er heute um den Sieg gekämpft. Er hat sich von P16 durch die langsameren Autos gearbeitet, blieb dann geduldig und wurde am Ende Vierter, vor dem Red Bull. Das ist die Handschrift eines Weltmeisters."

Ein letztes Mal "Hammertime"!

Als Hamilton in der 42. von 58 Runden an Pierre Gaslys Alpine vorbei und damit Fünfter auf der Strecke war, wollte er von seinem Renningenieur Peter Bonnington wissen: "Wie groß ist der Abstand?" Der lag jetzt bei 14,4 Sekunden auf Russell und bei 20,8 Sekunden zum Podium, zum dritten Platz von Charles Leclerc.

"14 Sekunden?", konnte Hamilton die Antwort kaum fassen. Ein paar Runden zuvor hatte ihm "Bono" noch Hoffnungen gemacht: "Wir sehen auf unserem Plan hier, dass P3 möglich ist. Wir können das schaffen, Kumpel!" Und ein bisschen später sagte Bonnington ein letztes Mal: "Okay, Lewis, wir gehen auf Strat-Modus-5. Jetzt ist Hammertime!"

Hamilton dachte sich in dem Moment nur: "Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann er zum letzten Mal 'Hammertime' zu mir gesagt hat." Und erzählt die Geschichte, wie es zu dem ikonischen Kommando kam, das ihm immer dann gefunkt wurde, wenn es an der Zeit war, alles aus dem Auto rauszuholen, was halt im Mercedes steckte.

"Es war in unserem ersten Jahr, als ich Bono gesagt habe: 'Sag mir nicht einfach, dass ich schneller fahren soll, sondern sag mir, dass jetzt Hammertime ist! Dann weiß ich, was ich zu tun habe.' Was für eine Achterbahnfahrt, die er und ich gemeinsam erlebt haben", sagt Hamilton mit wehmütiger Stimme. "Er war jahrelang einer meiner engsten Freunde."


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Dass sich zu seinem Renningenieur so eine innige Beziehung entwickeln würde, "hätte ich nie erwartet, denn Bono hat davor mit Michael Schumacher gearbeitet, mit vielen anderen großartigen Fahrern - aber am längsten war er jetzt bei mir. So frustrierend und schmerzhaft es manchmal auch gewesen sein muss, aber Bono hat jeden Tag hinter mir gestanden, ohne jemals zu versagen."

Dass er Hamilton in Abu Dhabi Hoffnung aufs Podium machte, war laut Sky-Experte Nico Rosberg ein geschickter Schachzug: "Er hat ja nachher zugegeben, dass da nie ein Podium möglich war. Aber er hat's trotzdem gesagt, einfach um Lewis nochmal anzufeuern. Und es hat funktioniert, denn wie Lewis am Ende des Rennens gefahren ist, war wirklich schön anzusehen."

Rosberg erzählt übrigens streng genommen nur die halbe Wahrheit. Denn zwischenzeitlich könnte man bei Mercedes durchaus davon ausgegangen sein, dass Leclerc nochmal an die Box kommen muss. Als dem nämlich gegen Rennmitte gesagt wurde, er solle auf "Plan C" umstellen, mutmaßlich die Einstoppstrategie, antwortete Leclerc nur: "Das ist meiner Meinung nach ein bisschen optimistisch."

Genau wie Schumacher: Beim Abschiedsrennen auf Platz 4

Wie dem auch sei: Innerhalb von 15 Runden radierte Hamilton 14,4 Sekunden Rückstand auf Russell aus und zeigte auf seinen letzten Metern im Silberpfeil noch einmal allen, was er kann. Ein bisschen wie Michael Schumachers Galavorstellung in Brasilien 2006, in seinem letzten Rennen für Ferrari, das nach einer phänomenalen Aufholjagd ebenfalls auf Platz 4 endete.

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"Vor dem Rennen", erzählt Wolff, "gingen die besten Hochrechnungen davon aus, dass Lewis basierend auf seiner Pace bestenfalls Sechster werden kann. Er war in der Rennpace um zwei Zehntel langsamer als Lando. Aber da muss man ja auch seinen Verkehr einrechnen. Ich glaube, von weiter vorn gestartet wäre er ganz vorn mitgefahren."

Hamilton konnte sich in Abu Dhabi selbst beweisen, dass er es doch noch kann, nachdem er zuletzt in Katar ganz offen an seinen eigenen Fähigkeiten gezweifelt hatte. "Es ist schön, mit einem starken, hart geführten Kampf abzuschließen, mit einer soliden Fahrt ohne Fehler", freut sich der siebenmalige Weltmeister, der 2025 für Ferrari an den Start gehen wird.

"Die 14 Sekunden aufzuholen, das war schon hart", grinst er. "George hat super Runden hingelegt, also musste ich nahe der Perfektion fahren. Es waren die besten Runden, die ich fahren konnte. In Vegas war es so, dass ich auch schnell war, aber dann ging auf einmal nichts mehr. Also habe ich versucht, den Rückstand diesmal schrittweise zuzufahren."

Das gelang Hamilton par excellence. In der allerletzten Mercedes-Runde seiner Karriere schloss er ins DRS-Fenster auf, saugte sich auf den beiden DRS-Geraden ran und ging dann außen in Kurve 9 am Teamkollegen vorbei. "Ich dachte mir nur: 'Jetzt oder nie!' Also habe ich es einfach probiert", freut er sich über das gelungene Überholmanöver. Sein letztes in einem Mercedes.

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