Longruns Abu Dhabi: Ferrari geht baden, Hülkenberg brilliert
Ferrari scheint im Titelkampf gegen McLaren die Puste auszugehen: Schlechte Longrun-Pace im zweiten Training des Formel-1-Freitags in Abu Dhabi
(Motorsport-Total.com) - Dass McLaren in Abu Dhabi als Favorit für den Konstrukteurstitel der Formel 1 2024 gehen würde, war angesichts des Vorsprungs von 21 Punkten auf Ferrari klar, doch die Erkenntnisse des Trainingstages am Freitag legen nahe, dass McLaren auch der Favorit auf die Poleposition sowie den Sieg am Sonntag beim letzten Grand Prix des Jahres sein sollte.
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Ferrari scheint im Titelkampf gegen McLaren vor einer unmöglichen Aufgabe zu stehen Zoom Download
In den wichtigen Longruns mit viel Sprit am Ende des zweiten Trainings war kein Topteam schneller als McLaren, während Rivale Ferrari im Nirgendwo lag. Dabei gingen Experten, Teamchefs und Fahrer vor dem Wochenende noch aus, dass die Streckencharakteristik wohl eher dem Ferrari entgegenkommen sollte.
"Ich denke, auf dem Papier ist das nächste Rennen wahrscheinlich ein bisschen besser für uns", sagte Ferrari-Teamchef Frederic Vasseur nach dem Grand Prix von Katar. Doch Ferrari erlebte in Abu Dhabi einen schwarzen Freitag. Neben technischen Problemen und einer Gridstrafe für Charles Leclerc für das Rennen am Sonntag, war auch die Pace des SF-24 nicht wirklich berauschend.
Hat Ferrari erneut ein Problem mit den Reifen?
Auf eine schnelle Runde büßte man 0,582 Sekunden auf McLaren an der Spitze ein, in den Longruns fiel der Rückstand sogar noch etwas größer aus. Durchschnittlich 0,634 Sekunden pro Runde fehlte Ferrari dort auf den WM-Rivalen bei einem zusätzlich deutlich höheren Reifenverschleiß.
In den Qualifyingsimulationen ist zudem aufgefallen, dass die Scuderia gerade im ersten Sektor untypisch viel Zeit verliert, wenn man bedenkt, dass dieser Streckenteil praktisch nur aus einer Kurve besteht und der Rest Vollgas zu fahren ist. Gleich 0,226 Sekunden lag man dort hinter McLaren, im langen und technischen Sektor drei dafür "nur" noch 0,187 Sekunden. Möglicherweise hat man wie in Las Vegas und Katar erneut Schwierigkeiten, die Reifen für den Start der Runde auf Temperatur zu bekommen.
Vor McLaren: Hülkenberg schnellster Fahrer der Longruns
Doch wer trotz des großen Rückstandes von Ferrari auf McLaren denkt, dass Lando Norris und Oscar Piastri in den Longruns die Oberhand hatten, der hat sich getäuscht. Denn tatsächlich war Nico Hülkenberg im Haas mit großem Abstand der schnellste Fahrer mit viel Sprit, was allerdings auch Fragezeichen aufwirft, wie repräsentativ das Ganze ist.
Im Schnitt war der Deutsche reifenbereinigt um 0,64 Sekunden pro Runde schneller als Piastri, der die zweitschnellste Longrun-Pace zeigte. Hülkenberg war der einzige aller Fahrer, der in den Rennsimulationen auf den weichen Soft-Reifen setzte. Das könnte zwar die starke Pace erklären, doch erstaunlich ist dennoch, wie gut der Haas-Pilot mit der sonst so fragilen C5-Mischung haushalten konnte.
Nach der Session löst Hülkenberg jedoch auf: "Wir haben heute etwas anderes mit meinem Auto gemacht. Wir haben gesagt, dass wir nicht das klassische Zeug mit viel Sprit machen. Es war also ein etwas anderes Gefühl für mich. Aber ich denke, wir sind alle wieder in einem sehr engen Kampf und eng zusammen."
Teamkollege Kevin Magnussen handelte sich in seinem Longrun einen Rückstand von 1,15 Sekunden pro Runde auf Piastri ein und war damit der drittlangsamste Fahrer. Die beiden Extreme machen eine Vorhersage schwierig, wo sich Haas nun genau im Feld befindet. Allerdings zeigen die Qualifyingsimulationen, dass der VF-24 nicht so schlecht sein kann. Hülkenberg fuhr schließlich die drittschnellste Zeit des Tages.
Mercedes und Red Bull unter Wert geschlagen?
Auf ein schnelle Runde sah es dafür bei Mercedes und Red Bull nicht gerade vielversprechend aus. Während den Silberpfeilen etwas mehr als sechs Zehntel auf McLaren fehlten, wurde der beste Red Bull mit Sergio Perez im zweiten Freien Training sogar nur 14. mit einem Rückstand von über einer Sekunde. In den Longruns ging es für beide Teams aber nach vorne.
Lewis Hamilton war dabei sogar schneller als Lando Norris, wobei er gegenüber Oscar Piastri immer noch ungefähr eine Zehntel pro Runde langsamer war. Mercedes testete am Freitag mit verschiedenen Set-ups, wobei Teamchef Toto Wolff am Sky-Mikrofon nach den Sessions meinte, dass sich George Russell damit nicht wohl gefühlt habe. Das hat sich in den Longruns mit einem durchschnittlichen Rückstand von 0,58 Sekunden pro Runde auf Piastri bestätigt.
Mit einem Defizit von 0,45 Sekunden pro Runde auf den Australier hat Red Bull im Vergleich zur Qualifyingsimulation zwar deutlich aufgeholt, doch damit scheint man exklusive Hülkenberg nur die dritte Kraft hinter McLaren und Mercedes zu sein, womit man aber immerhin vor Ferrari liegt.
Max Verstappen und Sergio Perez konnten in ihren Longruns zunächst schnelle Rundenzeiten hinlegen, doch dafür hat man im weiteren Verlauf mit einem höheren Reifenverschleiß bezahlt. Um durchschnittlich 0,144 Sekunden pro Runde bauten die Reifen am RB20 ab, im Vergleich zu den Werten 0,36 bei Mercedes sowie 0,43 bei McLaren. Ferrari lag mit einem gemittelten Zeitverlust von 0,129 Sekunden pro Runde in einer ähnlichen Region wie Red Bull.
Mittelfeld: Haas, aber wer kommt danach?
Die Freitagsdaten legen nahe, dass Haas das Mittelfeld in beiden Disziplinen in Abu Dhabi anzuführen scheint, doch dahinter wird es verdammt eng. Sauber zeigte sich wie schon in Las Vegas und Katar deutlich verbessert und lag in den Longruns, zumindest mit Valtteri Bottas, auf Ferrari-Niveau. Allerdings war auch beim Schweizer Team der Reifenverschleiß problematisch (0,175).
Etwas langsamer waren Aston Martin und Racing Bulls, wobei die Longruns von Fernando Alonso und Liam Lawson zeitentechnisch sehr vergleichbar waren. Somit ist in der Hochrechnung Alpine das langsamste Team mit viel Sprit gewesen, wobei Williams gleich gar keine Longruns aufgrund technischer Probleme an beiden Autos fahren konnte.
Pierre Gasly zeigt sich daher ratlos nach der Session: "FT1 war gut. Wir hatten gutes Potenzial, waren immer vorn dabei. FT2 dann ganz anders. Das Auto fühlte sich ganz anders an, wir hatten vorn überhaupt keinen Grip. Enormes Untersteuern, überall. Wir probierten verschiedene Set-ups aus, waren aggressiv damit, aber nichts scheint zu funktionieren. Da sind wir im Moment ein bisschen aus dem Fenster raus."
Teams sparen harte Reifen: Was bedeutet das strategisch?
In der Vergangenheit lag der Große Preis von Abu Dhabi strategisch gesehen dicht zwischen ein und zwei Stopps. Im Vorjahr gewann Max Verstappen das Rennen mit der Strategie Medium-Hard-Hard, doch 2022 führte die Einstoppstrategie den Niederländer zum Sieg. Was erwartet uns also 2024?
Reifenlieferant Pirelli liefert die Antwort: "Zum vierten Mal in dieser Saison benutzte kein Fahrer während der zwei Stunden der Freien Trainings am Freitag den harten Reifen. Das ist ein klares Indiz dafür, dass der C3 von den Teams definitiv als der Hauptreifen für das Rennen am Sonntag angesehen wird", so Pirelli-Chefingenieur Simone Berra.
"Außerdem haben wir gesehen, dass die meisten Fahrer, die einen Longrun fuhren, sich für den Medium-Reifen entschieden haben. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass eine Einstoppstrategie mit einem Satz Medium und einem Satz Hard bevorzugt wird, wobei der zweite Satz harter Reifen für den Fall eines Safety-Car-Einsatzes oder für den Fall, dass der Abbau stärker als erwartet ausfällt, bereitsteht."
"Ein weiterer interessanter Aspekt des heutigen Tages ist das Graining, das von Team zu Team variierte, aber nicht besonders stark ausgeprägt war, zumal auch der Reifenverschleiß recht gering ist, und dann die Entwicklung der Strecke, die in FT1 deutlich war, bevor sie sich in FT2 beruhigte."