Angriff abgewehrt in Kurve 1: Nur einmal war Verstappen in Gefahr
Max Verstappens Sieg beim Katar-Grand-Prix 2024 wackelte nur, als er bei einem skurrilen Restart nicht die Traktion fand und Lando Norris eine Chance witterte
(Motorsport-Total.com) - Max Verstappen hat den Katar-Grand-Prix 2024 bestimmt und einen letztlich souveränen Sieg erzielt. Doch in einer Szene war der Red-Bull-Fahrer nicht so souverän gewesen: beim Restart im Anschluss an die zweite Safety-Car-Phase im Rennen. Denn da "drückte" McLaren-Fahrer Lando Norris von hinten und wäre Verstappen beinahe sehr gefährlich geworden.
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Max Verstappen im Red Bull vor Lando Norris im McLaren in Katar 2024 Zoom Download
Aber was genau war in dieser Situation eigentlich bei Verstappen los? Den ersten Restart und den dritten Restart meisterte der Weltmeister gewohnt problemlos, nur den zweiten nicht - warum?
Verstappen selbst meint: "Mit den harten Reifen hast du nur sehr wenig Grip. Wenn du dann noch gerade aus der Box kommst, sind sie schon wieder kalt. Und hinter dem Safety-Car kannst du sie nicht aufwärmen."
"Ich habe aus der letzten Kurve kommend etwas anderes probiert, aber ich hatte keinen Grip auf der Hinterachse. Ich kämpfte am Kurvenausgang um Traktion. Dann wurde es ein bisschen interessant in Kurve 1, aber das ist doch schön zu sehen. Danach sind wir mit guter Pace durchgefahren."
Was Verstappen hier unerwähnt lässt: eine Fehlfunktion der Lichter auf dem Safety-Car der Formel 1. "Die sind nämlich nicht ausgegangen", wie Red-Bull-Teamchef Christian Horner erklärt. Damit fehlte für die Fahrer - allen voran Verstappen als Führender im Rennen - ein offizieller Hinweis auf den bevorstehenden Restart.
Das Regelbuch schränkt Verstappen ein beim Restart
Erschwerend hinzu kam für Verstappen Artikel 55.15 aus dem Sportlichen Reglement der Formel 1, betont Horner. "Die Regeln besagen: Du musst in einem bestimmten Abstand hinter dem Safety-Car herfahren." Der Spitzenreiter darf sich demnach nicht mehr als zehn Wagenlängen hinter das Sicherheitsauto zurückfallen lassen. Und weil die Lichter noch an waren, blieb Verstappen einfach dran.
Laut Horner war das der entscheidende Grund für den dann schwachen Restart von Verstappen: "Max hat einfach nur die Regeln befolgt und konnte sich nicht auf den Restart vorbereiten. Er fragte nach am Funk: 'Was passiert hier eigentlich?' Die Rennleitung konnte uns nicht sagen, dass die Lichter am Safety-Car nicht ordentlich funktionierten. Dann bog das Safety-Car ab und Max musste anziehen."
Nur deshalb sei Norris überhaupt in Angriffsposition gekommen, sagt Horner. "Aber Max hat die Kontrolle behalten. Er hätte etwas länger warten können, aber du hast halt nur Sekundenbruchteile, um eine Entscheidung zu treffen - in einem Szenario, in dem du nicht weißt, ob das Safety-Car abbiegt oder nicht."
Und nach einem kurzen Scharmützel vor Kurve 1 war die Vorentscheidung im Rennen gefallen: Verstappen blieb Erster, Norris Zweiter, ehe sich Norris durch eine Stop-and-Go-Strafe aus dem Kampf um den Sieg in Katar verabschiedete.
Wie einfach es war für Verstappen
Ob es unterm Strich ein einfaches Rennen gewesen sei, wird Verstappen gefragt. Antwort: "Ein Spaziergang ist es nie. Im ersten Stint hing Lando zwischen 1,6 und 1,9 Sekunden hinter mir. Da kannst du dir keinen Fehler leisten. Wir beide haben keine Fehler gemacht."
"Zwischendurch haben wir beide maximal gepusht. Aber das war wirklich toll, denn in vielen Rennen kommt es nur auf das Reifenschonen an. Dieses Mal hatte ich den Eindruck, ich könnte mehr Druck machen. Die Strecke bietet guten Grip. Und ich mag auch das Layout."
Hätte McLaren eigentlich gewinnen können?
Aber hätte Norris mehr ausrichten können gegen Verstappen, wenn er am Ende noch in der Position dazu gewesen wäre? McLaren-Teamchef Andrea Stella meint: "Die Pace auf Hard-Reifen war ziemlich gut. Und wir haben es dieses Jahr schon ein paar Mal gesehen: Gegen Rennende können wir auf Hard-Reifen immer nochmal etwas mehr Leistung aus dem Auto herausholen."
"Allerdings hätte auch die Dirty-Air zugenommen. Denn sobald man auf unter einer Sekunde dran ist und den DRS-Vorteil hat, verliert man etwas in den Kurven. Also: Schwierig zu sagen. Wir hätten das Rennen nicht notwendigerweise gewonnen", sagt Stella.
Wo McLaren stark und Red Bull schwach war
Und so ist Verstappen der strahlende Sieger und entsprechend erleichtert: "Es ist eine Weile her, dass wir ein so gutes Rennen im Trockenen hatten. Zuletzt hatten wir immer wieder Schwierigkeiten mit dem Reifenverschleiß. Deshalb war ich ein bisschen vorsichtig nach dem Qualifying. Aber es lief gut."
Er habe sich vor allem in den Sektoren eins und zwei wohlgefühlt in Katar, sagt Verstappen. "Im dritten Sektor hat Lando von Anfang an mehr Druck gemacht, und ich habe dort wahrscheinlich meine Reifen besser geschont."
"Einmal hat er versucht, die Lücke zuzufahren. Dann musste auch ich im letzten Sektor nachlegen. Er war dennoch sehr schnell in der letzten Kurve, die wiederum für uns eine kleine Schwäche war. Aber über die komplette Runde hinweg hat es sich fast jedes Mal ausgeglichen."
Reifenschonen im dritten Sektor sichert den Sieg
Verstappens cleveres Vorgehen im dritten Sektor sei Gold wert gewesen, meint Red-Bull-Teamchef Horner. "Man hat es vielleicht am Funk gehört: Lando holte auf in den schnellen Kurven 12, 13 und 14. Max hat seine Reifen in diesen Passagen unheimlich gut geschont. Das hat sie lang leben lassen."
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"Von den ersten vier Autos im Rennen hatte er seine Reifen definitiv am besten in Schuss. Damit wurde es zu einem Roulette-Spiel, bei dem das Auto immer schneller wird, je mehr der Reifen verschleißt. Aber dann willst du nicht an die Box, weil ein Safety-Car den anderen zehn Sekunden Vorteil einbringen würde."
Deshalb habe in der Phase vor der zweiten Safety-Car-Phase praktisch das gesamte Feld "auf Risiko gespielt", sagt Horner. "Und dann kommt auf einmal Hamilton vorbei mit Funken am Heck, und dann Sainz ebenfalls mit einem Reifenschaden." Damit sei drastisch klar geworden: Ein Reifenwechsel muss alsbald erfolgen.
Denn auch bei Verstappen waren die Reifen bereits kritisch heruntergefahren. Wie sehr? "Sagen wir es so: Durch den TÜV wäre er damit nicht mehr gekommen", meint Horner und grinst.
Verstappen hat wieder Mut gefasst
Auch Verstappen lacht wieder häufiger als in den zurückliegenden Monaten. Und mehr als noch am Freitag in Katar: "Ich bin sehr zufrieden mit den Verbesserungen, die wir seit Wochenend-Beginn gemacht haben. Das Auto verhält sich noch nicht so, wie ich mir das vorstelle oder wie vergangenes Jahr. Aber immerhin können wir jetzt wieder um Rennsiege kämpfen."
"Wenn wir also diese Lektionen und das Positive mitnehmen und nächstes Jahr ein besseres Auto bauen, dann bin ich sicher, wir sind damit wieder sehr konkurrenzfähig", so der Weltmeister.
Ob es die bisher größte Trendwende an einem einzelnen Wochenende gewesen sei, wird er gefragt. Verstappen muss nicht lange überlegen. Er meint: "Wenn du im Sprint mit Haas kämpfst und dann im Grand Prix um den Sieg fährst, dann ist das wahrscheinlich eines der größten Comebacks, ja."