• 24. November 2024 · 16:25 Uhr

Was sich in Las Vegas wirklich am Mercedes-Boxenfunk abgespielt hat

Toto Wolff behauptet, eine Teamorder sei im Finish des Vegas-Grand-Prix kein Thema gewesen, aber was hat sich am Boxenfunk wirklich abgespielt?

(Motorsport-Total.com) - Es gab eine Phase im Grand Prix von Las Vegas, da lag sogar ein möglicher Sieg von Lewis Hamilton in der Luft. Der Mercedes-Pilot war nur von Platz 10 gestartet, war dann aber über weite Strecken der schnellste Mann im Rennen. Die 13,1 Sekunden Vorsprung, die George Russell nach seinem letzten Boxenstopp in Runde 32 von 50 noch hatte, konnte Hamilton jedenfalls rasant zufahren.

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Mercedes feierte in Las Vegas den ersten Doppelsieg seit Brasilien 2022 Zoom Download

Gut zehn Runden lang attackierte der siebenmalige Weltmeister, was das Zeug hielt, obwohl seine Reifen um fünf Runden mehr auf dem Buckel hatten als die von Russell. Am Ende der 42. Runde hatte er seinen Rückstand von ursprünglich 13,1 auf 5,3 Sekunden reduziert.

Mercedes war drauf und dran, den ersten Doppelsieg seit Brasilien 2022 zu feiern, und es wäre nur naheliegend gewesen, in jener heiklen Schlussphase eine Teamorder im Sinne von "Hold positions!" auszugeben. Doch dazu kam es nicht. Und laut Teamchef Toto Wolff wurde über einen solchen Befehl auch nicht ernsthaft nachgedacht.

Im ORF-Interview nach dem Rennen wollte Alexander Wurz von Wolff wissen: "Hättest du Lewis und George frei fahren lassen?" Worauf Wolff ohne zu zögern antwortete: "Ja, klar! Ich glaube, die wären schon so gescheit gewesen, dass sie sich nicht ins Auto fahren."

Seiner Aussage nach hatte Hamilton ohnehin keine realistische Chance, den Rückstand rechtzeitig ganz zuzufahren, denn: "Der George hat das gemanagt, die ganze Zeit. Er war, glaube ich, zwölf Sekunden vorn, bevor Lewis gewechselt hat. Das war niemals ein Thema."

Boxenfunk unter der Lupe: Das wurde wirklich gesagt

Zumindest am Boxenfunk hat sich das phasenweise anders angehört. Russell hatte kaum seinen Boxenstopp absolviert, da erkundigte sich Hamilton schon nach dessen Rundenzeiten. "Wir warten noch drauf, dass George die Runde zu Ende fährt", vertröstete ihn sein Renningenieur Peter Bonnington. "Sieht nach einer hohen 37er aus. Er führt die Reifen behutsam ein."

Keine zwei Minuten später dämmerte der anderen Seite der Box, dass es sich Russell nicht allzu gemütlich machen kann: "Lewis pusht hart. 36.4", wurde Russell durchgegeben - und die Information, dass er die meiste Rundenzeit "von Kurve 5 bis Kurve 8" auf seinen Teamkollegen verliere.

Hamiltons Rückstand schmolz jetzt schneller ab als die vom Klimawandel gebeutelten Gletscher in den Alpen, und Russell wurde langsam nervös. Irgendwann forderte er am Boxenfunk eine klare Ansage: "Sagt mir, was ich tun soll. Ich manage in diesen Kurven immer noch." Und die klare Ansage kam: "Wir sind okay damit, wenn du das Managen der Reifen beendest."

Sprich: Russell hätte seinen Sieg womöglich am liebsten ganz entspannt nach Hause gefahren, um das Material zu schonen und wirklich nichts mehr zu riskieren. Aber weil Hamilton die Chance witterte, nach Silverstone womöglich doch noch einen Sieg draufzulegen, bevor er Mercedes in Richtung Ferrari verlässt, war das nicht drin.

Der Mercedes-Kommandostand hätte Hamilton in der Phase auch bitten können, sein Material zu schonen und im Sinne des Teams Tempo rauszunehmen, schließlich drohte von hinten keine ernsthafte Gefahr mehr. Aber Bonnington und dem Rest des Managements war wahrscheinlich klar, dass diese Rufe ohnehin ins Leere gegangen wären und Hamilton weiter gepusht hätte.

Irgendwann kam die Ansage an Russell: "Lewis' letzte Runde war eine 35.9. Wir sollten mindestens 36.2 fahren, damit es langweilig bleibt." Hamilton war in jener Phase sichtlich angespannt: "Sprich mich nicht beim Bremsen an, Kumpel!" Vier Runden vor Schluss war der Spuk dann erst vorbei, als Russell Entwarnung gemeldet bekam: "Lewis sagt, sein rechter Vorderreifen geht auf."

Russell vs. Leclerc: Schlüsselmoment zu Beginn

Russell sei letztendlich ein "total verdienter Sieger" gewesen, findet Wolff und unterstreicht im Interview mit Sky, "die Verteidigung gegen den Leclerc am Anfang" sei "unheimlich stark" gewesen.

Ein Moment, der vielleicht rennentscheidend war. Denn Russell hatte den Start einigermaßen souverän gewonnen und das Rennen bis in die vierte Runde kontrolliert. Am Ende der vierten Runde lag Leclerc bei Start und Ziel auf gleicher Höhe, aber Russell konnte den Führungswechsel in der ersten Kurve mit einer harten Verteidigung verhindern.

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Wie wäre das Rennen wohl verlaufen, wenn sich Leclerc hier durchgesetzt hätte? Zoom Download

Eine Runde später hatte er Leclerc aus der DRS-Sekunde abgeschüttelt, und zu Carlos Sainz' Boxenstopp in Runde 10 hatte Russell bereits 9,1 Sekunden Vorsprung auf die Ferraris herausgefahren. Deren Reifen brachen am Ende des (kurzen) ersten Stints völlig ein.

"Im ersten Stint haben wir das Rennen gewonnen. Der war wirklich herausragend", analysiert Russell im Nachhinein. "Von da an wusste ich, dass ich den Sieg nur noch verlieren kann, wenn die Reifen anfangen zu grainen und die Lauffläche aufgeht. Es ging eigentlich nur darum, mit dem Tempo in den Kurven hauszuhalten und es nach Hause zu bringen."

Was für Russell, der an der Spitze freie Fahrt hatte, ein Leichtes war. Hamilton lag in Runde 10 noch an fünfter Position, im Windschatten des Alpine von Pierre Gasly, und hatte 15,6 Sekunden Rückstand auf seinen Teamkollegen. Er musste voll attackieren. Dass es am Ende noch kurz spannend wurde, ist angesichts dieser frühen Ausgangslage bemerkenswert.

Warum war Mercedes plötzlich so konkurrenzfähig?

Für Mercedes war Las Vegas eine Triumphfahrt: Hamilton Schnellster in beiden Trainings am Donnerstag, Russell am Freitag auf Pole, am Samstag dann Doppelsieg. Was die Frage nahelegt: Versteht ihr eigentlich, warum ihr so schnell wart? "Weil es kalt ist", antwortet Wolff. "Es gibt da eine Korrelation. Silverstone war gut, dann Spa und jetzt Vegas. Und überall war es kalt."

Bei fröstelnden Temperaturen "ist unser Auto genau im 'Sweetspot', haben wir die Reifen im optimalen Fenster. Das zeigt, dass unser Auto unter gewissen Bedingungen sehr, sehr schnell sein kann. Heute waren wir phasenweise zwei Sekunden schneller als alle anderen, wenn George gepusht hat. Danach hat er nur noch Reifen gemanagt", erklärt Wolff.

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Dazu kommt: Laut Russell sei es "kein Geheimnis, dass wir uns auf welligen Strecken schwertun, weil wir das Auto höher einstellen müssen. Da müssen wir dann sehr weich gehen. Es ist nicht so, dass wir plötzlich vergessen, wie wir das Auto abstimmen müssen. Aber auf manchen Strecken bringen wir es einfach nicht ins Fenster."

Doch eine Strecke wie Las Vegas, mit einem sehr ebenen Asphalt und kalten Temperaturen, "die hilft uns, das Auto ziemlich steif abzustimmen. Und wenn wir dann ohne Bodenwellen fahren können, dann fliegen wir", erklärt Russell das Geheimnis des Erfolgs. Oder, vereinfacht gesagt: Auf ebenem Asphalt wird Mercedes nicht vom lästigen "Bouncing" eingebremst.

Doch nicht alle Strecken sind wie Las Vegas. Wolff erklärt: "Nehmen wir McLaren in Silverstone. Die haben dort total dominiert. Sie haben das Rennen so kontrolliert, wie es ihnen gerade gepasst hat. Andere Teams, wie wir, mögen es eher kalt. Es wäre wichtig, diese Balance nächstes Jahr besser hinzubekommen."

Positiv ist, dass Mercedes keinerlei Schwierigkeiten mit körnenden Reifen hatte: "Wir konnten pushen, wann immer wir wollten", sagt Wolff. "Wir hatten weder mit dem Medium noch mit dem Hard ein Thema damit. Leclerc hat mal versucht, ein bisschen Druck zu machen, aber ihm gingen sofort die Reifen ein. Das war bei uns überhaupt nicht der Fall."

In der Konstrukteurs-WM hat Mercedes in Las Vegas zwar 32 Punkte auf Red Bull gutgemacht, doch der vierte Platz im Gesamtklassement ist trotzdem mathematische Gewissheit. Für Mercedes das schlechteste Abschneiden in einer Formel-1-WM seit 2012, als noch Michael Schumacher und Nico Rosberg für das Team gefahren sind.

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