Dieser Rennsonntag war völlig irre: Verstappen hat eine Hand am WM-Pokal!
Ein unglaublicher Sieg in einem unglaublichen Rennen: Max Verstappen triumphiert in Brasilien vor den beiden Alpines - Lando Norris als Sechster schwer geschlagen
(Motorsport-Total.com) - Wer erst um 18:00 Uhr zum auf 16:30 Uhr deutscher Zeit vorverlegten Grand Prix von Brasilien 2024 eingeschaltet hat, der hat einen Teil des vielleicht verrücktesten Formel-1-Rennens der vergangenen Jahre verpasst! Und womöglich die Vorentscheidung in der Weltmeisterschaft. Denn Titelverteidiger Max Verstappen (Red Bull) zeigte bei extremen Schlechtwetterverhältnissen eine furiose Aufholjagd und feierte seinen ersten Grand-Prix-Sieg seit Barcelona im Juni.
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Max Verstappen feierte in Brasilien einen seiner spektakulärsten Siege Zoom Download
Nach dem für ihn unglücklich gelaufenen Qualifying am Sonntagmorgen, in dem er sich (auch wegen einer Motorenstrafe) nur den 17. Startplatz gesichert hatte, pflügte Verstappen von der ersten Sekunde an durchs Feld, als wäre er ein brandheißes Messer und seine Gegner ein Stück Butter. Und am Ende gewann er das auf 69 Runden verkürzte Rennen vor dem sensationellen Alpine-Duo Esteban Ocon und Pierre Gasly.
Polesetter Lando Norris (McLaren) hingegen verlor den Start gegen George Russell (Mercedes), hatte Pech mit dem Timing der roten Flagge, durch die Verstappen einen "kostenlosen" Boxenstopp geschenkt bekam, und baute dann auch den einen oder anderen Fehler, sodass er letztendlich nur als Sechster über die Ziellinie fuhr.
Womöglich eine Vorentscheidung in der Fahrer-WM, denn bei drei noch ausstehenden Grands Prix (darunter ein Sprint in Katar) führt Verstappen jetzt 62 Punkte vor Norris. Ein bei halbwegs normalem Verlauf fast uneinholbarer Vorsprung, der bedeutet, dass er den Sack rein theoretisch schon in drei Wochen in Las Vegas zumachen kann.
Russell, der den Grand Prix bis zu einem etwas zu früh getimten Boxenstopp angeführt hatte, wurde Vierter, vor Charles Leclerc (Ferrari), Norris, Yuki Tsunoda (Racing Bulls), Oscar Piastri (McLaren), der wegen einer Kollision mit Liam Lawson (Racing Bulls) mit einer Zehnsekundenstrafe belegt, aber trotzdem unmittelbar vor Lawson als Achter gewertet wurde. Und der letzte Punkt ging an Lewis Hamilton (Mercedes).
Ein Rennergebnis unter Vorbehalt, denn Stand Zieldurchfahrt sind noch mehrere Untersuchungen offen. Gegen beide Mercedes, weil möglicherweise unerlaubt am Reifendruck herumgefummelt wurde. Und gegen Russell, Norris und beide Racing Bulls wegen eines Verstoßes gegen das Prozedere am zweiten Start.
Die Liste der Ausfälle war lang. Carlos Sainz (Ferrari) baute kurz nach dem Safety-Car-Neustart einen Unfall. Franco Colapinto (Williams) lieferte bei Start und Ziel einen heftigen Crash. Nico Hülkenberg (Haas) wurde wegen Inanspruchnahme fremder Hilfe nach einem Dreher die schwarze Flagge gezeigt. Und Lance Stroll (Aston Martin) schaffte es nicht einmal durch die Aufwärmrunde.
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Warum waren nur 17 Autos in der Startaufstellung?
Alexander Albon (Williams) konnte am Rennen nicht teilnehmen. Nach seinem schweren Crash im Qualifying konnte das Auto nicht mehr rechtzeitig repariert werden. Und Sainz startete, ebenfalls nach Unfall im Qualifying, aus der Boxengasse.
Auch Stroll war im auf Sonntagmorgen verschobenen Qualifying gecrasht, sein Auto stand aber vor der ersten Aufwärmrunde in der Startaufstellung. In der Aufwärmrunde, bei Kurve 4, blockierten dann aber seine Hinterräder, er rammte einen Werbebanner, blieb im Kiesbett stecken - und konnte nicht weiterfahren.
Als Norris und der Rest des Feldes auf die zweite Aufwärmrunde warteten, stand bei der Ampel riesengroß "Aborted Start". Norris fuhr aber trotzdem los - und zog die unmittelbar hinter ihm stehenden Autos mit, die sich ebenfalls auf den Weg machten.
Weiter hinten erkannte Valtteri Bottas (Sauber), dass man jetzt eigentlich nicht losfahren darf, weswegen sich alle hinter Bottas losfahrenden Autos erst viel später auf den Weg machten. Norris war kaum zurück auf der Poleposition, da hatte die Rennleitung auch schon eine Untersuchung eingeleitet, wegen einer Verletzung der Regeln der Startprozedur.
Übrigens nicht nur gegen Norris, sondern auch gegen Russell, Tsunoda und Lawson - mit der Ankündigung, dass die Fälle erst nach Rennende untersucht werden. Damit war schon vor dem Start klar, dass es mit der Zieldurchfahrt kein belastbares Rennergebnis geben würde.
Russell könnte nebenbei bemerkt gleich doppelt Ärger bekommen. Denn Mercedes ließ in der zehnminütigen Pause zwischen den beiden Startversuchen Luftdruck aus den Reifen ab, was laut Reglement nicht erlaubt ist und von FIA-Inspektor Jo Bauer an die Rennkommissare gemeldet wurde.
Jedenfalls konnte auch nach der zweiten Aufwärmrunde nicht direkt gestartet werden, sondern der Start musste nochmal abgebrochen und um zehn Minuten verschoben werden, auf 12:47 Uhr Ortszeit.
Wie lief das Rennen dann an, als es mal angelaufen war?
Ob Norris eine Strafe bekommen würde oder nicht, war also nicht geklärt, als der Start endlich klappte. Am besten kam aber Russell weg, der das Feld vor Norris, Tsunoda, Ocon und Lawson durch die erste Runde führte. Nach sechs Runden hatten Russell und Norris bereits mehr als vier Sekunden Vorsprung nach hinten.
Dahinter rauschte Verstappen von Anfang an mit Siebenmeilenstiefeln an. Schon in der ersten Kurve lag er vor Perez, obwohl der als Zwölfter und Verstappen als 17. gestartet war. Und das Rennen befand sich erst in der dritten Runde, als der WM-Leader nach einem kompromisslosen Überholmanöver gegen Hamilton erstmals in die Top 10 vordrang.
Allerdings hatte er sich in den ersten drei Runden bereits mehr als zehn Sekunden Rückstand auf die Spitze eingehandelt, weswegen Verstappen weiter Druck machte. In Runde 5 schnappte er sich dann Gasly und war Neunter, kurz darauf hatte er sich auch des Problems Alonso entledigt.
In Runde 10 hatte er dann auch Piastri überholt, den er allerdings zuvor eine Runde lang studiert hatte. Gerade gegen den Norris-Teamkollegen, mag er sich gedacht haben, mag Vorsicht geboten sein. Und kaum war Verstappen am McLaren vorbei, fuhr er absolute Bestzeit im zweiten Sektor.
Die Aufholjagd ging munter weiter: Als Verstappen in Runde 11 an Perez vorbei war, hatte er 11,4 Sekunden Rückstand auf Russell. "Max fährt in einer eigenen Liga", kommentierte der ehemalige Red-Bull-Pilot Christian Klien in der ServusTV-Übertragung.
Warum wurde Bearman bestraft?
Wegen Verursachens einer Kollision mit Franco Colapinto (Williams) kassierte Bearman zehn Sekunden. "Warum? Er hat dabei nicht einmal Zeit verloren", ärgerte sich der Haas-Fahrer. Colapinto fuhr unbeeindruckt weiter und überholte wenig später Hamilton im Kampf um Platz 12. Unter frenetischem Jubel des südamerikanischen Publikums.
Hamilton knurrte inzwischen am Boxenfunk, sein Auto sei unfahrbar, und rutschte auch einmal neben die Strecke. Inzwischen war der Regen wieder etwas stärker als zu Beginn des Rennens, und laut Wetterradar sollte das auch erstmal so bleiben.
Wie ging Verstappens Aufholjagd weiter?
Noch vor der 15. Runde dämmerte Christian Klien in der Live-Übertragung: "Ich glaube, Verstappen fährt heute um den Sieg mit." Der Red-Bull-Pilot hatte binnen kürzester Zeit seinen Rückstand auf Leclerc zugefahren und war jetzt dran am Paket Tsunoda-Ocon-Leclerc.
Während Verstappen bei stärker werdendem Regen erstmal hinter Leclerc blieb, wurde Norris an der Spitze langsam ungeduldig. Sein Renningenieur funkte ihm: "Wir denken, wir sind schneller als er, kommen aber nicht vorbei. Also gewinnen wir's halt über die Reifen."
In Runde 24 der von 71 auf 69 Runden verkürzten Renndistanz war Leclerc der erste Topfahrer, der an die Box kam und einen frischen Satz Intermediates abholte. Gleichzeitig drängte auch Norris am McLaren-Boxenfunk auf einen Stopp, was von seinem Kommandostand abgelehnt wurde. Das hätte ihn nämlich mitten in den Verkehr des Mittelfeldes zurückgeworfen.
Wie kam es zum Führungswechsel im Grand Prix?
In Runde 27 überschlugen sich dann die Ereignisse: Der Regen wurde plötzlich deutlich stärker, Ocon überholte Tsunoda und war jetzt Dritter, und Hülkenberg stand, ohne Fremdeinwirkung, in Kurve 1 neben der Strecke. Was die Rennleitung dazu veranlasste, das virtuelle Safety-Car zu aktivieren.
Ab Piastri (Zehnsekundenstrafe wegen Kollision mit Lawson) nutzten alle die Gelegenheit, um unter VSC Reifen zu wechseln. Dann fuhr Hülkenberg plötzlich wieder an, das VSC wurde deaktiviert, und Russell und Norris kamen rein, um frische Intermediates abzuholen. Damit führte jetzt Ocon vor Verstappen und Gasly, die noch nicht gewechselt hatten.
Hülkenberg kostete der Zwischenfall übrigens das Rennen. Weil er nur unter Zuhilfenahme von Mitarbeitern der Streckensicherung wieder anfahren konnte, da er auf einer Welle aufsaß, wurde ihm die schwarze Flagge gezeigt: Disqualifikation.
In Runde 30 fuhr Norris bei immer extremer werdendem Regen an Russell vorbei und lag damit auf Platz 4, als bestplatzierter Fahrer mit Boxenstopp. Und praktisch zeitgleich fuhr das Safety-Car auf die Strecke, das das Feld einsammelte, weil die Bedingungen immer gefährlicher wurden.
Pech für die beiden Racing Bulls, die als einzige Fahrer nicht auf Intermediates, sondern auf Full-Wets gewechselt hatten. Ihr Vorteil, den sie durch die stärker profilierten Reifen gehabt hätten, wurde durch das Safety-Car neutralisiert.
Verstappen plärrte indes am Boxenfunk: "Ich pack das nicht! Hallo, Rennleiter! Rot! Ich kann das Auto kaum gerade halten." Kein Wunder, hätte er doch bei einer Totalunterbrechung des Rennens "kostenlos" Reifen wechseln können.
Warum gab's dann wirklich eine Unterbrechung?
Verstappen bekam, was er wollte. Allerdings nicht, weil Rennleiter Niels Wittich auf seinen Boxenfunk hörte. Sondern wegen eines Crashs von Colapinto beim Linksbogen auf der Start-Ziel-Gerade. Der Argentinier verlor seinen Williams beim Herausbeschleunigen aus der letzten Kurve außer Kontrolle und bescherte seinem Team damit noch mehr Arbeit für die drei Wochen bis Las Vegas.
Jetzt führte Ocon vor Verstappen, Gasly, Norris, Russell und Tsunoda in den Top 6, und Norris dämmerte, ganz kleinlaut, am Boxenfunk: "Ich schätze, dass jetzt alle gratis Reifen wechseln dürfen, oder?" Worauf sein Renningenieur antwortete: "Können sie, ja." Und auch Russell war not amused: "Ich hab's doch gesagt! Wir hätten draußen bleiben sollen."
Wie wurde das Rennen wieder aufgenommen?
Um 14:02 Uhr Ortszeit wurde das Rennen wieder freigegeben, allerdings aufgrund der schwierigen Wetterbedingungen nicht mit einem stehenden Start, sondern hinter dem Safety-Car. Weiter hinten fuhren einige Autos, darunter Bearman und ein Sauber, neben die Strecke. Auch Norris rutschte weg und fiel dadurch hinter Russell auf Platz 5 zurück.
Die Sicht war gleich null - "ein absoluter Blindflug", stellte ServusTV-Kommentator Andreas Gröbl beunruhigt fest. Verstappen funkte: "Ich kann nichts sehen." Nur Spitzenreiter Ocon hatte keine Gischt vor sich - und nutzte das, um sich in den ersten zwei Runden drei Sekunden von Verstappen & Co. abzusetzen.
In Runde 36 flog Bearman im Infield ab und demolierte seinen während der Rotphase gewechselten Frontflügel, konnte aber aus eigener Kraft weiterfahren. Ein Warnsignal dafür, wie schnell es gehen kann. Bearman fuhr ohne Reparaturstopp weiter, rutschte gleich noch einmal weg und lag jetzt nur noch an 16. und letzter Position.
In Runde 39 war dann Sainz dran, ebenfalls im Infield, und diesmal fackelte die Rennleitung nicht lang rum und aktivierte sofort das Safety-Car. Der Ferrari-Pilot bremste vor Kurve 8 auf der weißen Linie und krachte in die Reifenstapel. Ein bitteres Ende, nur eine Woche nach seinem triumphalen Sieg in Mexiko.
Zu Beginn der 43. Runde wurde das Rennen wieder freigegeben. Und im indirekten WM-Duell ging die Schere noch weiter auf: Während sich Verstappen mit einem unwiderstehlichen Manöver vor dem Senna-S an Ocon vorbeiquetschte, rutschte Norris an gleicher Stelle von der Strecke und fiel auf Platz 7 zurück.
Jetzt hatte Verstappen die beste Sicht und nutzte diese. Bereits nach einer Runde hatte er Ocon um 1,6 Sekunden abgehängt. In Runde 47 war er schon um 3,5 Sekunden enteilt. Und er drehte auch noch die bis dahin schnellste Runde im Rennen.
Jetzt war Verstappen nicht mehr zu halten. Zehn Runden vor Schluss hatte er mit einer ganzen Reihe schnellster Runden einen Vorsprung von mehr als zehn Sekunden aufgebaut. Spannend war nur noch der Kampf um die Podestplätze. Denn Russell übte ab etwa Runde 60 nochmal erheblichen Druck auf den vor ihm fahrenden Gasly aus.
Letztendlich passierte aber nichts mehr. Verstappen gewann den Grand Prix mit 19,5 Sekunden Vorsprung vor Ocon und Gasly, die damit das mit großem Abstand beste Teamergebnis für Alpine fixierten.
Formel-1-Kalender 2024: Wie geht's weiter?
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