Mercedes ernüchtert nach Austin: "Wir sind wieder ein Underdog"
Wie Mercedes-Teamchef Toto Wolff das Abschneiden seines Teams beim USA-Grand-Prix in Austin bewertet und welche Konsequenzen er daraus ableitet
(Motorsport-Total.com) - Zwei Abflüge, viele Fragezeichen und nur 15 WM-Punkte: Mercedes ist unzufrieden mit seinem Auftritt beim USA-Grand-Prix 2024 in Austin. Und das, nachdem sich die Sternmarke vorab große Hoffnungen gemacht hatte: Mit einem großen technischen Update sollten Lewis Hamilton und George Russell die Spitze unter Druck setzen. Stattdessen aber hatte das Team eines der punkteschwächsten Wochenenden des Jahres.
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Lewis Hamilton nach seinem Ausfall beim Formel-1-Rennen in Austin 2024 Zoom Download
So fragt sich Mercedes-Teamchef Toto Wolff, woran das gelegen haben könnte. Eines aber schließt er aus: Dass es ein "grundlegendes Problem" mit den technischen Neuerungen am Mercedes W15 gibt. "Ich denke eher, es hängt mit der Interaktion zwischen der Aerodynamik und dem Mechanischen zusammen", meint Wolff. Er versichert sofort: "Wir werden an diesem Update festhalten."
Aus seiner Sicht wäre es "nicht sinnvoll", den W15 wieder auf eine frühere Version zurückzubauen, wenngleich Russell im Grand Prix bewiesen hat, dass der Mercedes auch mit alten Teilen schnell sein kann. "Er hatte das Juli-Update", sagt Wolff. "Wir hatten nämlich keinen anderen neuen Unterboden dabei." Seine eigentlichen Neuteile hatte Russell bei einem Crash im Qualifying beschädigt.
Doch Mercedes hat auch ohne den Russell-Zwischenfall genug Baustellen. Konkret kann sich das Team noch immer nicht erklären, weshalb seine Leistung über das komplette Wochenende in Austin hinweg so sehr geschwankt hat.
"Wir müssen für uns herausfinden, warum wir ein Auto haben, das am Freitag klar am schnellsten ist", sagt Wolff. Er meint: Ohne den Sprint-Qualifying-Zwischenfall mit Williams-Fahrer Franco Colapinto hätte Hamilton die Bestzeit erzielt und wäre im Sprint von der Poleposition losgefahren.
Allerdings: Im Sprint am Samstag und vor allem im darauffolgenden Qualifying hatte Mercedes nicht mehr viel zu melden. "Da ging nichts mehr", sagt Wolff. Deshalb stelle er sich die Frage, "wie das alles zusammenhängt" bei Mercedes.
Seit 2022: Mercedes versteht das Auto nicht
Eine Überlegung, die dem Teamchef dabei in den Sinn kommt, ist: Seinem Team ist es seit 2022 bisher nicht gelungen, die aktuelle Formel-1-Autogeneration mit Ground-Effect nachhaltig zu verstehen. "Das müssen wir in den Griff kriegen", sagt Wolff. "Ich glaube nicht, dass wir davon weit weg sind. Wir stehen einen Schritt davor."
Und Mercedes sei kein Einzelfall, betont Wolff: "Man sieht ja auch bei McLaren, Red Bull und Ferrari, dass die Leistung schwankt, und zwar in alle Richtungen. Man sieht gewisse Muster." Welche, dazu sagt der Mercedes-Teamchef aber nichts weiter.
Nur: Andere Teams hätten sich aus ihrer technischen Misere wieder befreit. Ferrari zum Beispiel. "Das war vor der Sommerpause fast abgeschrieben, aber dann dreht es sich und Ferrari erzielt einen dominanten Doppelsieg in Austin. Das ist schon spektakulär", sagt Wolff.
So stellt sich Wolff die Aufarbeitung vor
Er selbst sei "immer skeptisch" und habe bei Mercedes die Grundeinstellung etabliert, "dass es nie gut genug ist", und deshalb müsse die Austin-Form aufgearbeitet werden.
"Die Formel 1 ist ja sehr datengetrieben", meint Wolff. "Wir werden uns also genau anschauen, weshalb wir am Freitag die Schnellsten waren und warum das im Qualifying tags darauf nicht mehr so war. Wie waren die Umstände? Was sagen die Daten? Dann die Form am Sonntag. Deshalb ist es für mich nicht besorgniserregend."
"Das ist einfach, wo wir stehen. Wir sind wieder ein Underdog und nicht da, wo wir noch vor der Sommerpause standen."
Mercedes könne aktuell nicht mit der Erwartung eines Siegs ins Rennwochenende gehen. "Wir denken eher, wir sind derzeit die vierte Kraft", sagt Wolff. "Den Rest der Saison sehen wir daher in erster Linie als einen Test, wie wir es hinkriegen, wieder dritte oder zweite Kraft zu werden."
"Denn ich bin mir sicher: Wir können eine stabile Plattform schaffen, so wie vor der Sommerpause. Wir werden die entsprechenden Schlüsse ziehen."
Was Mercedes aus Austin mitnimmt
Vielleicht war Austin ja auch nur ein einmaliger Ausreißer beim ersten Einsatz der neuen Teile. In jedem Fall werde die Erfahrung vom USA-Grand-Prix Mercedes weiterhelfen, meint Wolff: "Ich glaube, durch das Wochenende wird es weniger verwirrend."
"Vor dem Wochenende hatte ich gesagt, ich hätte gerne zwei Szenarien, die uns helfen können. Variante eins: Alles funktioniert und das Auto ist schnell. Denn wir wissen ja, welche Leistung das Upgrade theoretisch bringt. Oder aber es tritt das Gegenteil an und wir sehen Inkonsistenzen beim Upgrade, sodass es nicht besser, sondern schlimmer wird. Aber auch damit haben wir eine klare Richtung."
"Und wie ich schon sagte: Das Update per se ist in Ordnung. Es sind einfach die Dinge, die miteinander interagieren, woraus das inkonsistente Fahrzeugverhalten resultiert."
Mexiko: Nur Hamilton (vermutlich) mit dem Update
Ob hier der nun folgende Mexiko-Grand-Prix Abhilfe schaffen kann? Dort tritt Mercedes mit W15-Autos für Hamilton und Russell an, die wahrscheinlich einen unterschiedlichen technischen Stand aufweisen.
Wolff erklärt: "Uns fehlt ein [neuer] Unterboden, den wir nach Großbritannien zurückgeschafft haben, damit er für Brasilien wieder repariert werden kann. Wir fahren [bei Russell] also mit der Ersatzlösung."
"Lewis hätte normal alle [neuen] Teile zur Verfügung, aber ich bin mir nicht zu hundert Prozent sicher, dass er sie auch fahren will. Wir müssen also schauen, wie wir dieses Wochenende angehen."