Sind neun Zehntel Rückstand für Ferrari realistisch? "Leider ja!"

Ernüchtert ziehen die Ferrari-Fahrer Charles Leclerc und Carlos Sainz ihre Bilanz nach dem Formel-1-Qualifying in Zandvoort: Warum Ferrari ohne Chance war

(Motorsport-Total.com) - Es ist nicht so sehr der sechste Platz von Charles Leclerc im Formel-1-Qualifying in Zandvoort, der Ferrari erschrocken zusammenzucken lässt. Es ist der Rückstand von 0,909 Sekunden auf die Bestzeit von McLaren-Mann Lando Norris. Denn damit war Ferrari beim ersten Kräftemessen nach der Sommerpause chancenlos.

Charles Leclerc im Ferrari SF-24 beim Formel-1-Qualifying in Zandvoort 2024

Die erste Frage an Leclerc lautet daher: Entspricht dieser Abstand dem wahren Ferrari-Speed? Seine Antwort fällt deutlich aus: "Leider ja." Er habe zwar eine grundsätzlich "gute" Runde hingelegt in Q3, "aber wir liegen auf einer so kurzen Strecke trotzdem neun Zehntel zurück. Das ist viel. Das ist zu viel", sagt Leclerc.

Wo der Ferrari SF-24 die Zeit auf den McLaren MCL38 verliert? Praktisch überall. Das erste Zehntel ist beim Datenvergleich via F1 Tempo schon nach der ersten Kurve weg, am Ende des ersten Sektors sind es beinahe vier Zehntel. Bis zur Schikane bei Kurve 11 hat Ferrari bereits über 0,6 Sekunden Rückstand angehäuft und es kommen auch im dritten Sektor weitere Zehntelsekunden obendrauf.

Noch schlimmer als Leclerc erwischte es aber dessen Teamkollege Carlos Sainz, der nach Getriebeproblemen am Freitag mit einem Erfahrungsdefizit in den Samstag gegangen war. Prompt strandete Sainz als Elfter bereits in Q2 bei gerade mal 0,069 Sekunden Rückstand auf den letzten Top-10-Platz.

Und auch Sainz gibt sich ernüchtert: "In den zurückliegenden Rennen haben uns zwei bis vier Zehntel auf McLaren und Red Bull gefehlt, je nach Rennstrecke. Wir waren hier von vier bis fünf Zehnteln ausgegangen. Es ist aber viel mehr als das. Und es zeigt: Wir sind schwach in den langgezogenen Kurven hier in Zandvoort."

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Dabei hatte das Qualifying noch solide begonnen für Ferrari: Sainz und Leclerc waren in Q1 bei nur drei Zehntel Rückstand auf die Plätze drei und vier gefahren, geschlagen nur von Sergio Perez im Red Bull und George Russell im Mercedes. "Das lag aber mehr daran, dass ich zwei frische Reifensätze hatte", sagt Sainz. Danach sei ihm sein Erfahrungsrückstand vom Freitagstraining in die Quere gekommen.

Obendrein, sagt Leclerc, sei der Ferrari in seiner aktuellen Konfiguration einfach nicht schnell genug. "Das wissen wir und wir arbeiten mit Nachdruck daran. Wir tun alles Mögliche, damit wir den Abstand so bald wie möglich wettmachen. Hoffentlich geben das die nächsten Updates für das Auto her", meint Leclerc.

Wie Ferrari die Trendwende einläuten will

Es gäbe einen entsprechenden "Plan" bei Ferrari, um in den noch ausstehenden Saisonrennen einen Aufschwung einzuleiten. "Wenn ich aber heute neun Zehntel Rückstand sehe, dann bin ich nicht sicher, ob wir das bis Saisonende aufholen können", sagt Leclerc. "Aber warten wir ab."

Man dürfe ohnehin keine voreiligen Schlüsse aus dem Zandvoort-Qualifying ziehen: "Es ist schon auch so, dass die Strecke nicht zu unserem Auto passt. Der Abstand ist also womöglich größer als auf anderen Strecken mit dem gleichen Auto. Wir haben hier besonders große Schwierigkeiten."

Das Bouncing, das Ferrari vor der Sommerpause intensiv geplagt hatte, sei es aber "nicht so sehr", meint Leclerc. Er will nicht ins Detail gehen, aber "sagen wir es so: Wir können das Auto aktuell nicht optimal einsetzen. Hoffentlich kriegen wir das bald in den Griff, ab Monza." Davon ist zumindest Sainz überzeugt, wenn er hinzufügt: "In Monza und in Singapur dürften wir wieder besser dastehen."

Was Ferrari im Grand Prix erwartet

Erst aber kommt der Niederlande-Grand-Prix am Sonntag (das Rennen hier im Formel-1-Liveticker verfolgen!), und der wird aus Ferrari-Sicht wohl keine Trendwende bringen, wie Leclerc befürchtet. Er sagt: "Wir haben keine großen Hoffnungen. P6 ist an diesem Wochenende das Beste, was wir erreichen können."

Ferrari-Fahrer Charles Leclerc bei einem Medientermin in Zandvoort 2024

Und womöglich müsse sich Ferrari sogar auf ein schlechteres Ergebnis einstellen: Vor allem Hamilton ("er wird am Sonntag stark sein") traut Leclerc über die Renndistanz noch eine Aufholjagd zu: "Bei der Mercedes-Pace im Rennen wird er wohl noch nach vorne fahren. Wir aber haben keine Pace in der Hinterhand, um etwas Besseres zu erreichen."

Mit Blick auf die guten Ergebnisse zu Saisonbeginn sei das "bitter, aber es ist, wie es ist", sagt Leclerc. "Wir haben schonmal schwierige Zeiten durchgemacht und jetzt ist leider wieder so eine Phase. Aber wir alle wissen, wie man darauf reagieren muss. Es gibt keine Panik im Team. Uns ist die Situation bewusst und wir arbeiten uns methodisch voran. Das stimmt mich optimistisch für die Zukunft."

Ferrari-Fehleranalyse 2024 hat "Vorsprung" auf 2023

Zumal Ferrari in diesem Jahr früher dran sei mit seiner Fehleranalyse als noch im vergangenen Jahr. "Damals haben wir in Zandvoort bewusst eine Beeinträchtigung hingenommen und wir haben damit vieles gelernt", erklärt Leclerc. "Dieses Jahr haben wir das schon vor vier oder fünf Rennen gemacht. Das hat uns geholfen, mehr über das Auto zu erfahren. Aber leider gibt es dieses Mal keine so schnelle Lösung."

Und das alles nur wegen des Updates, das Ferrari in Spanien eingeführt hat? Damit begannen die Ferrari-Schwierigkeiten in der Saison 2024 vermeintlich erst so richtig. Aber "so würde ich das nicht sagen", meint Leclerc. "Denn nach Spanien hatten wir noch kleinere Modifizierungen, die geholfen haben."

"Alle hier in der Boxengasse sind [durch das Bouncing] eingeschränkt, manche mehr, manche weniger. Bei uns tritt es eben etwas intensiver auf."

Welche Rolle spielt der Wind für die Ferrari-Form?

Viel entscheidender in Zandvoort aber sei der Wind. Das mache es "sehr schwierig" im Rennauto. "Aber im Vergleich zum Vorjahr sind uns da große Fortschritte gelungen. Denn 2023 hatte unser Auto unheimlich sensibel auf den Wind reagiert. Jetzt leiden wir nicht mehr als andere unter dem Wind", sagt Leclerc.

Sainz fühlte sich allerdings auch dieses Jahr ziemlich gestört: "Der Wind macht es unheimlich schwierig, weil sich die Balance von Kurve zu Kurve massiv verändert. Sich darauf einzustellen, das ist extrem schwierig. Und dafür brauchst du einen gewissen Rhythmus und musst auf Tempo sein. Da habe ich heute den Preis bezahlt."

Es habe ihm überhaupt "die Erfahrung vom Freitagstraining" gefehlt, meint Sainz. Er habe deshalb nicht so intensiv mit der Abstimmung spielen können wie Leclerc. "Nach der Sommerpause ist es eben nicht so einfach, praktisch ohne Runden im Freien Training direkt ins Qualifying zu gehen und dann in Zandvoort Vollgas zu geben. Unter diesen Umständen habe ich ein paar starke Runden hingelegt, finde ich."

"Aber: Zandvoort ist eben keine Paradestrecke für uns. Und dann summiert sich all das halt auf", sagt Sainz. Er selbst habe im entscheidenden Moment in Q2 obendrein "Verkehr im zweiten Sektor" durch Haas-Fahrer Nico Hülkenberg gehabt. "Das hat mich vermutlich Q3 gekostet. Aber vielleicht war ich da auch zu optimistisch."