Longrun-Daten: Droht Max Verstappen die nächste Schlappe nach Ungarn?
McLaren dominiert die Longruns in Belgien, während Red Bull mit Reifenproblemen kämpft: Wie weit kann es für Max Verstappen am Sonntag nach vorne gehen?
(Motorsport-Total.com) - WM-Leader Max Verstappen findet sich beim Großen Preis von Belgien in einer denkbar ungünstigen Ausgangslage wider. Der Red-Bull-Pilot wird seinen Motor tauschen und eine Startplatzstrafe von zehn Plätzen erhalten. Wer jetzt aber denkt, dass der Niederländer wie in den Vorjahren durch das Feld pflügen wird, der könnte sich täuschen. Die Longrun-Daten vom Freitag verheißen nichts Gutes.
Denn in den Rennsimulationen gegen Ende des zweiten Freien Trainings kam kein Team an die Pace mit viel Sprit von McLaren heran. Schon in der Qualifyingsimulation zu Beginn der Session war keiner schneller als Lando Norris, in den Longruns war dafür Teamkollege Oscar Piastri unantastbar.
Bereinigt man die Rundenzeiten um die verschiedenen Reifensorten und Stintlängen, so war der Australier im Schnitt der schnellste Fahrer mit einem Vorsprung von etwa drei Zehnteln pro Runde auf Norris im zweiten McLaren. Max Verstappen rangiert an Rang drei mit einem durchschnittlichen Rückstand von 0,35 Sekunden pro Runde. Vor allem der Reifenverschleiß am RB20 sah nicht gut aus.
Daten: So schnell verheizt Red Bull seine Reifen!
Verstappen startete den Stint auf dem Medium-Reifen mit einer 1:48,3, um nur acht Runden später schon Zeiten im hohen 1:50er-Bereich zu fahren. Somit ist die Red-Bull-Pace in kurzer Zeit um mehr als zwei Sekunden eingebrochen. Im Vergleich dazu: Oscar Piastri fing mit einer 1:48,7 relativ langsam an, fuhr dafür aber in Stintrunde neun noch eine 1:49,5.
Der McLaren scheint die Reifen also besser im Griff gehabt zu haben, was sich vor allem im kurvenreichen zweiten Sektor bemerkbar macht. Dies bestätigen auch die Reifenverschleißdaten des Technologieunternehmens PACETEQ. Piastri verschliss seine Reifen in den Longruns um durchschnittlich 0,21, Verstappen um 0,352 Sekunden pro Runde.
Während Verstappen in den Sektoren eins und drei, wo der Topspeed im Vordergrund steht, auf Augenhöhe mit Piastri ist, verliert er die kompletten 0,35 Sekunden im Mittelsektor. Neben dem besseren Reifenmanagement sind die schnellen Kurven McLarens absolute Stärke.
Den Erkenntnissen vom Freitag nach zu Urteilen wäre ein Sieg für Verstappen wohl schon aus eigener Kraft ziemlich schwierig, und mit der Startplatzstrafe wohl nahezu unmöglich. Ein Podium könnte dennoch drin sein, da sowohl Ferrari als auch Mercedes bei der Pace etwas hinterherhinken.
Ferrari und Mercedes im Set-up-Dilemma
Nach Verstappen war Carlos Sainz der viertschnellste Fahrer der Longruns, doch dem Ferrari-Mann fehlten schon ganze sechs Zehntel pro Runde auf McLaren. Noch schlechter waren allerdings beide Mercedes sowie Teamkollege Charles Leclerc, die über eine Sekunde zu langsam waren.
Bei Ferrari ist jedoch aufgefallen, dass der SF-24 ein großes Stück der Zeit auf den Geraden verliert. Alleine im ersten Sektor, der praktisch nur eine Kurve hat, war Ferrari im Schnitt drei Zehntel langsamer als Red Bull und McLaren. Dafür war man im langen und kurvenreichen Mittelsektor zwei Zehntel an McLaren dran und klar besser als Verstappen.
Laut den Topspeeddaten ohne DRS haben der Scuderia im Schnitt zwölf km/h auf der Kemmel-Geraden auf das schnellste Auto beim Geradeausfahren gefehlt, dem Racing Bulls von Yuki Tsunoda. Damit war man auch neun km/h hinter McLaren und 5,5 hinter Red Bull. Entweder scheint der Motor scheint runtergedreht gewesen zu sein oder man hat sich für ein Set-up mit mehr Abtrieb entschieden.
Das kann man für Mercedes nicht unbedingt behaupten, denn nach Lando Norris war keiner der Topteams schneller als die Silberpfeile auf der ersten langen Geraden. Die meiste Zeit hat man im Mittelteil verloren. Zudem sah auch der Reifenverschleiß bei Lewis Hamilton nicht gut aus.
Mittelfeld: Alpine auf einmal schnell auf den Geraden
Spa gilt als absolute Effizienzstrecke, wo die Teams einen guten Kompromiss zwischen Abtrieb in den schnellen Kurven des Mittelsektors und dem Topspeed auf den langen Geraden des ersten und letzten Sektors finden müssen. Den besten Mittelweg scheint bisher Alpine gefunden zu haben.
Mit 350 km/h war am Freitag kein Auto schneller auf der Kemmel-Geraden als der A524, und das bei akzeptablen Zwischenzeiten im zweiten Sektor. Mit etwas mehr als einer Sekunde verlor man nämlich genau so viel Zeit auf Oscar Piastri wie die restlichen Mittelfeldteam, dafür war man im ersten und dritten Sektor deutlich schneller.
Alpine war zuletzt jedoch häufiger gut in den Longruns unterwegs, doch die Pace konnte man nicht auf den Sonntag übertragen, was die Vermutung zulässt, dass Gasly und Ocon womöglich mit weniger Sprit unterwegs waren. Auf keiner Strecke ist der Spriteffekt so hoch wie in Belgien aufgrund der Länge von etwas über sieben Kilometern. Zehn Kilogramm machen fast vier Zehntel aus.
Aston Martin stark, blufft Haas noch?
In der Pace-Abrechnung fehlte Alpine dennoch nur eine Sekunde im Schnitt auf Oscar Piastri. Den nächstschnellsten Mittelfeld-Longrun absolvierte Alexander Albon (+1,2), doch wie Alpine ist auch Williams am Freitag gerne mit weniger Sprit unterwegs. Somit scheint Aston Martin (+1,35) ein heißer Kandidat für die letzten Punkteränge zu sein.
Obwohl die Pace von Fernando Alonso und Lance Stroll einigermaßen gut war, zeigten sich mit zunehmender Stintlänge wieder Probleme beim Reifenverschleiß. Dieser war beim Haas-Team etwas besser, doch mit einem durchschnittlichen Rückstand von 1,48 Sekunden pro Runde war die Pace nicht so berauschend.
Ähnlich wie bei Ferrari ist aber auch bei Haas ein erschreckend schwacher Topspeed aufgefallen. Auf der Kemmel-Geraden fehlten über elf km/h auf Racing Bulls. Anders als Williams und Alpine, ist das amerikanische Team auch eher dafür bekannt, in den Longruns noch nicht alle Karten auf den Tisch zu legen, weshalb sich die Pace noch als sehr gut erweisen könnte.
Racing Bulls mit extremen Set-up-Experiment
Wie Max Verstappen wird auch Racing-Bulls-Pilot Yuki Tsunoda eine Startplatzstrafe für das Rennen in Belgien hinnehmen müssen. Der Japaner rückt jedoch 60 Plätze nach hinten und wird damit vom letzten Startplatz ins Rennen gehen. Dies nahm das Team wohl als Anlass, ein extremes Topspeed-Set-up zu testen, um Tsunoda das Überholen zu erleichtern.
Mit einem durchschnittlichen Topspeed von 320,7 km/h ohne DRS auf der langen Kemmel-Geraden war Tsunoda mit Abstand der schnellste. Im Mittelsektor büßte er dafür gleich über zwei Sekunden auf Oscar Piastri ein, womit der durchschnittliche Rundenrückstand mit 2,78 Sekunden extrem hoch ausfiel.
Bei Teamkollege Daniel Ricciardo scheint das Set-up besser funktioniert zu haben. Der Australier war allein im zweiten Sektor im Schnitt über eine Sekunde besser als Tsunoda und hatte dadurch auch ein viel besseres Reifenmanagement. Auf den Geraden büßte er gegen seinen Teamkollegen aber sieben km/h ein.
Dennoch war die Racing-Bulls-Pace (+1,67) nicht gerade vielversprechend. Nur Sauber (+1,68) war noch langsamer. Das Auto von Valtteri Bottas und Guanyu Zhou erzeugt schon die gesamte Saison viel zu viel Luftwiderstand, was auf den langen Geraden von Spa Gift ist. Punkte scheinen unmöglich zu sein.
Hoher Reifenverschleiß: Zwei Stopps im Rennen?
In den Longruns hat sich bei allen Teams ein sehr hoher Reifenverschleiß gezeigt, wie man ihn auch schon im Grand Prix des Vorjahres sehen konnte. In Kombination mit dem zweitgeringsten Boxenstoppdelta der Saison von 18,5 Sekunden sind zwei Stopps am Sonntag vorprogrammiert.
Die Reifenwahl ist dafür noch weniger klar. 2023 gewann Verstappen das Rennen mit zweimal Soft und einmal Medium. Laut der PACETEQ-Hochrechnung der Daten vom Freitag wären die Strategien Soft-Soft-Medium und Soft-Medium-Medium praktisch gleich schnell. Dem harten Reifen scheint es hingegen etwas an Pace zu fehlen.
Aufgrund der kurzen Rundenanzahl von 44 Umläufen werden die Stints eher kurz ausfallen, womit ein hoher Reifenverschleiß der weicheren Mischungen nicht zu tragisch ist. Daher werden die Teams lieber auf die ultimative Reifenperformance setzen, statt auf längere Haltbarkeit.
Die Einstoppstrategie ist hochgerechnet über zehn Sekunden zu langsam und sollte daher kein Thema sein. Mit drei Stopps wäre man zwar nur vier Sekunden zu langsam, doch nach dem Qualifying sollten gerade die Topteams Probleme haben, noch vier brauchbare Reifensätze für das Rennen zu haben.
Eine ausführliche Analyse des Trainingsfreitages von Belgien gibt es auch auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de, wo Datenexperte Kevin Hermann mit dem OneTiming von PACETEQ die wichtigsten Schlüsse aus den Longruns zieht und Host Kevin Scheuren und Chefredakteur Christian Nimmervoll über die Teamchefrochade bei Alpine sprechen.