Was bitte war da am Funk los? Piastri gewinnt Grand Prix von Ungarn!
Ein Grand Prix, über den man noch lang reden wird: Oscar Piastri gewinnt nach McLaren-Stallorder, Lando Norris und Max Verstappen sind wütend auf ihre Teams
(Motorsport-Total.com) - Was für ein dramatischer Grand Prix von Ungarn! In einem Rennen, das seine Spannung vor allem aus Kontroversen am Boxenfunk bezog, die sicher auch im Nachgang zu heißen Diskussionen führen werden, feierte am Ende Oscar Piastri den ersten Sieg seiner Karriere. Lando Norris, der durch eine McLaren-Stallorder in Führung liegend zurückgepfiffen wurde, wurde Zweiter.
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Versöhnlich: Lando Norris gratuliert Oscar Piastri zum Sieg in Ungarn Zoom Download
McLaren hatte Norris beim zweiten Boxenstopp zuerst reingeholt, um nach hinten abzudecken, und kostete somit Piastri die Führung, der das Rennen bis dahin kontrolliert hatte. Norris wehrte sich dann rundenlang dagegen, die geschenkte Führung planmäßig zurückzugeben - lenkte drei Runden vor Schluss aber doch noch ein und überließ Piastri den Sieg.
Der ist über seinen Premierentriumph - trotz der Umstände - happy: "Je länger du wartest, desto nervöser wirst du, ganz klar", spielt Piastri auf Norris' anfänglichen Widerstand gegen die Stallorder an. "Aber das Team hat das gut gemanagt. Ich glaube, das war das Richtige." Auch wenn er einräumt: "Ja, im letzten Stint war ich nicht so schnell, wie ich mir das gewünscht hätte."
Auch dahinter zwickte es: Lewis Hamilton (Mercedes) wurde Dritter, Charles Leclerc (Ferrari) Vierter - und Max Verstappen (Red Bull) Fünfter. Der amtierende Weltmeister und sein Renningenieur Gianpiero Lambiase lieferten sich am Boxenfunk mehrere ziemlich heftige Wortgefechte, die weit über das freundschaftliche Geplänkel hinausgingen, das man sonst von den beiden kennt.
Carlos Sainz (Ferrari) belegte Rang 6, vor Sergio Perez (Red Bull), George Russell (Mercedes), Yuki Tsunoda (Racing Bulls) und Lance Stroll (Aston Martin).
Nico Hülkenberg (Haas) kam mit einer Runde Rückstand als 13. ins Ziel.
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Was war bei Norris vor dem Start los?
Unmittelbar vor dem Start erlitten die Norris-Fans wohl einen Herzinfarkt, als die den Boxenfunk ihres auf Pole stehenden Lieblingsfahrers hörten: "Irgendwas stimmt nicht mit dem Gaspedal. Das ist nicht so, wie es sein sollte." Später stellte sich heraus, dass McLaren noch den Gaspedaldämpfer auswechseln musste.
Der Gaspedaldämpfer sei "ein kleines Hydraulikteilchen, das die Bewegung des Paspedals reguliert, damit das nicht bei jeder Bodenwelle schwingt. Kommt schon vor, dass man das manchmal wechseln muss", gab ORF-Kommentator Alexander Wurz aber schon im Live-Kommentar Entwarnung.
Norris startete auf Mediumreifen, wie auch alle anderen Top-6-Fahrer. Aston Martin fuhr mit Softs los, und von hinten kamen Perez und Russell mit den Hards, um einen möglichst langen ersten Stint zu fahren.
Worüber diskutierten Norris und Verstappen nach dem Start?
Gleich am Start gab's die erste kleine Kontroverse: Norris erwischte keinen perfekten Start, hatte etwas Wheelspin und fuhr im Sandwich zwischen Piastri (innen) und Verstappen (außen) in die erste Kurve. Dort ging Verstappen, der am meisten Geschwindigkeitsüberschuss hatte, der Platz aus, sodass dieser neben der Strecke die ganz weite Linie fahren musste.
Piastri lag vor Kurve 2 vor Verstappen und Norris, und darüber, wer Zweiter sein sollte, gab's jetzt Streitigkeiten am Boxenfunk. "Max muss die Position zurückgeben. [...] Das kann er nicht machen", meldete Norris. Verstappen verteidigte sich: "Ich wurde abgedrängt. Ich war am Scheitelpunkt der Kurve vorn, aber er machte das Lenkrad auf. Ich wurde abgedrängt."
Eine Sichtweise, die Norris so nicht gelten ließ: "Er war nur vorn, weil er viel zu spät gebremst hat." Verstappens Renningenieur Gianpiero Lambiase sprach daraufhin die Empfehlung an Verstappen aus, die Position zurückzugeben, um keine Strafe zu riskieren. Was dieser in Runde 4 tat.
Nur ein paar Sekunden nach dem Manöver wurde im TV-Broadcast eingeblendet: "No further action." Die Begründung der Rennkommissare: Verstappen habe zwar durch das Verlassen der Strecke einen "anhaltenden Vorteil" erlangt. Aber durch das Zurückgeben der Position sei das kompensiert worden. Sprich: Hätte er Norris nicht vorbeigelassen, hätte es eine Strafe gegeben.
Norris war jetzt also wieder Zweiter, hatte aber schon 2,6 Sekunden Rückstand auf Piastri, der die Situation gut für sich zu nutzen wusste.
Wie fiel Verstappen hinter Hamilton zurück?
Verstappen konnte das McLaren-Tempo in der Anfangsphase nicht mitgehen. Nach zehn Runden hatte er 4,9 Sekunden Rückstand auf Piastri und 2,0 auf Norris. Dahinter folgten Hamilton und Leclerc, jeweils mit ungefähr einer DRS-Sekunde Abstand. Sainz, der am Start von P4 auf P6 zurückgefallen war, ließ zu Leclerc bereits eine kleine Lücke aufreißen.
In Runde 16 eröffnete Hamilton die Boxenstopps der Topfahrer und steckte von Medium auf Hard um, in Runde 17 kam Norris rein, in Runde 18 Piastri.
Verstappen blieb draußen, obwohl Hamilton die schnellsten Zeiten fuhr, und meckerte am Boxenfunk: "Ich kann nicht bremsen, ich kann nicht in die Kurven einlenken. Die Vorderachse ist einfach richtig schlecht."
Verstappens Boxenstopp dauerte 3,0 Sekunden, und er hatte jetzt 11,3 Sekunden Rückstand auf Piastri, 8,9 auf Norris und 7,1 auf Hamilton, der durch fünf Runden Undercut Platz 4 von Verstappen übernehmen konnte. Zur Theorie, dass Red Bull nur mit einem Stopp planen könnte, sagte Wurz im ORF-Kommentar sofort: "Geht nicht." Er sollte recht behalten.
Während Piastri seinen Vorsprung nach 30 Runden auf über vier Sekunden ausgebaut hatte, war Verstappen jetzt dank der frischeren Reifen immerhin deutlich schneller als Hamilton. In Runde 33 konnte er erstmals das DRS aufklappen, und in Runde 35 kam's zum ersten Angriff.
Hamilton verbremste sich bei Kurve 1, Verstappen hatte bei Kurve 2 Geschwindigkeitsüberschuss, bremste jetzt aber selbst zu spät und kam neben die Strecke, sodass Hamilton zunächst Vierter blieb. "Ich habe minus fünf Bremsbalance eingestellt, und das Ding will einfach nicht einlenken. Es ist unglaublich", tobte Verstappen am Boxenfunk.
Und seine Laune wurde nicht besser, als Hamilton und Leclerc in Runde 40 gleichzeitig zum zweiten Mal an die Box kamen, er aber nicht reinbeordert wurde: "Es ist schon beeindruckend, wie wir uns undercutten lassen. Das fickt mein Rennen komplett!"
In Runde 49, also neun Runden nach Hamilton und Leclerc, steckte Verstappen ein letztes Mal von Hard auf Medium um. Verstappen hatte jetzt 4,8 Sekunden Rückstand auf Hamilton und 1,2 auf Leclerc.
Verstappen drückte aufs Tempo - und holte sich dafür gleich mal eine Ermahnung von seinem Renningenieur Gianpiero Lambiase ein, der sich wohl gewünscht hätte, die Reifen zu Beginn des Stints mehr zu schonen: "Nun, das ist eine sanfte Einführung."
Jetzt verstand Verstappen die Welt nicht mehr: "Kommt mir nicht mit dem Scheiß! Ihr habt mir diese beschissene Strategie gegeben. Ich versuche nur zu retten, was noch zu retten ist. Verdammt nochmal!"
Und Verstappen rettete zunächst gut: Er schnappte sich zuerst Leclerc, dann Hamilton - aber beim Überholen des Mercedes in Kurve 1 kam es zur Berührung. Verstappen drückte sich innen mit stehenden Rädern an Hamilton vorbei, der Red Bull hob am Vorderrad von Hamilton ab, flog neben die Strecke, blieb aber wie durch ein Wunder intakt.
Verstappen war jetzt Fünfter, rund zwei Sekunden hinter Leclerc, und das Spiel begann wieder von vorn. Doch Verstappen hatte sein Pulver verschossen. Er konnte nur noch den fünften Platz ins Ziel bringen - und zehn Punkte für die WM, die vielleicht noch wichtig werden könnten.
Nach dem Rennen war Verstappens Laune nicht besser als während des Rennens. Im sogenannten "TV-Pen" sagte er auf Deutsch, die strategischen Entscheidungen von Red Bull seien "schlecht" gewesen: "Da haben wir viel Zeit verloren, und den dritten Platz. McLaren war zu stark heute, aber der dritte Platz war möglich."
Wie kam es zur Stallorder bei McLaren?
An der Spitze schmolz nach und nach der Vorsprung von Piastri ab. Der Australier verlor zur Rennhalbzeit wegen eines Fahrfehlers zwei Sekunden in einer Runde. Eine Trendwende: Jetzt schien plötzlich Norris das höhere Tempo gehen zu können. Piastri wurde in der Phase am Boxenfunk gefragt: "Wie geht's dem Reifen?" Worauf er antwortete: "Wird langsam wieder."
In Runde 45 setzte McLaren zum Boxenstopp an, und es wurde Norris zuerst reingeholt - also akutes Undercut-Risiko für Piastri! "Wenn ich jetzt Oscar Piastri wäre, oder sein Manager, täte ich mich sowas von aufregen", wunderte sich ORF-Experte Wurz. McLaren funkte an Piastri: "Wir holen Lando rein, um Hamilton zu covern. Wir kümmern uns nachher um die Situation."
Norris kam erst zwei Runden später, in Runde 47, an die Box. Standzeit: 2,9 Sekunden. Norris übernahm dadurch die Führung, und hatte danach sogar 2,7 Sekunden Vorsprung auf seinen Teamkollegen.
Doch dann kam der Funkspruch an Norris: Er möge die Position bitte zurückgeben. Eine Stallorder gegen Norris, die Wurz nicht nachvollziehen konnte: "Von dem verlangen sie jetzt in der Hitze des Gefechts, ein Gentleman zu sein. Das hätte ich nicht gemacht."
Nur: Norris baute seinen Vorsprung immer weiter aus. Nach 50 Runden hatte er schon 3,7 Sekunden Vorsprung. An Piastri wurde jetzt gefunkt: "Sobald du an Lando dran bist, tauschen wir die Positionen. Aber wir wollen vermeiden, dass Lando zu viel Rennzeit aufgeben muss." Sprich: Die Position gibt's nur zurück, wenn er zu Norris aufschließen kann.
Damit tat sich Piastri aber schwer. Der McLaren-Kommandostand kam jetzt offenbar ins Schwitzen, und gab Norris Kurve für Kurve durch, wo er mehr Reifen schonen soll - gefolgt von dem Appell: "Ich weiß, du wirst das Richtige tun." Doch Norris reagierte nicht. Dann kam erneut der Renningenieur: "Kurve 4, Kurve 11. Wird langsam langweilig."
Wurz meinte jetzt im Live-Kommentar: "Da muss jetzt der Teamchef an den Funk kommen." Um ein Machtwort zu sprechen und Norris zu erklären, dass er Piastri vorbeilassen muss, ohne verklausulierte Formeln wegen des Reifenverschleißes.
Nach rundenlanger Stille meldete sich irgendwann doch wieder Norris am Funk: "Okay. Dann sagt ihm, dass er aufholen soll." Da betrug sein Vorsprung schon mehr als fünf Sekunden. Tendenz steigend. Jetzt wurde Piastri aufgefordert: "Wir brauchen jetzt deine beste Pace."
Fünf Runden vor Schluss hatte Norris sechs Sekunden Vorsprung. Am Boxenfunk wurde er jetzt regelrecht angebettelt: "Der Weg, diese WM zu gewinnen, bist nicht du, sondern ist mit dem Team. Du wirst Oscar brauchen, und du wirst das Team brauchen."
Piastri wurde jetzt auch langsam ungeduldig: "Je länger wir warten, desto riskanter wird's." Antwort: "Verstanden, Oscar. Wir managen es."
In Runde 67 (von 70) ging Norris dann endlich vom Gas und ließ Piastri in Führung. Norris quittierte das mit einem trotzigen Funkspruch: "Ja, du brauchst jetzt nichts mehr zu sagen."
Norris ließ sich zwar nicht sofort abschütteln, sondern blieb hinter Piastri auf der Lauer. Eine Attacke ritt er aber nicht mehr, sodass der erste Doppelsieg für McLaren seit Monza 2021 hielt. Randnotiz: Auch damals musste Norris wegen einer Stallorder zurückstecken.
Beim ersten TV-Interview durchgeführt von Nico Rosberg, wirkte Norris schon wieder gefasst. Er sagte: "Das Team hat mich drum gebeten, also hab ich's gemacht." Etwas später gab er zu: "Natürlich denkst du dran, den Platz nicht zurückzugeben. Wenn du eigensinnig bist, und das musst du in diesem Sport sein, dann denkst du an die WM, in der uns das heute sieben Punkte gekostet hat."
Sein versöhnliches Fazit: "Ich habe den Rennsieg nicht aufgegeben. Ich habe den Rennsieg am Start verloren. Das Team hat mich in diese Position gebracht. Und ich habe sie zurückgegeben."
Wie lief das Rennen von Hülkenberg?
Anders als Kevin Magnussen, der am Start fünf Positionen gewann, verlor Hülkenberg in der ersten Runde drei Positionen. Und er war danach der Erste, der von Medium auf Hard wechselte. Der extrem angesetzte Undercut brachte ihn wieder an seinem Teamkollegen vorbei, allerdings mit den um vier Runden älteren Reifen für den zweiten Stint.
Doch Haas war im Renntrimm einfach nicht schnell genug. Hülkenberg fuhr als 13. über die Ziellinie. Mit einer Runde Rückstand.
Wie geht's nach Ungarn weiter?
Selbst für die, die das Rennen bei RTL live gesehen haben, gibt's am Sonntagabend noch einen perfekten Ausklang zum Grand Prix von Ungarn, in Form der Rennanalyse mit Kevin Scheuren und Christian Nimmervoll auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de. Diese beginnt um 22:00 Uhr und bereitet alle Infos auf, die unser Rechercheteam vor Ort, mit unserem Kollegen Frederik Hackbarth, herausgefunden hat. (Kanal jetzt kostenlos abonnieren und kein neues Formel-1-Video verpassen!)
Wer den Stream nicht live sehen kann, kann das Video natürlich auch als Re-Live schauen, zum Beispiel zum Formel-1-Frühstück am Montagmorgen. Nachteil: Nur während des Streams haben Kanalmitglieder die Möglichkeit, unserem Team im Livechat Fragen zu stellen. (Jetzt Kanalmitglied werden!)
Ungarn war der 13. von 24 Grands Prix der Formel-1-Saison 2024. Bereits in einer Woche steht in Spa-Francorchamps der Grand Prix von Belgien auf dem Programm. Spa ist dann das letzte Rennen vor der vierwöchigen Sommerpause. Und eins, das im klassischen Format ausgetragen wird - mit Qualifying am Samstag und Rennen am Sonntag.
Die Sommerpause endet dann am 25. August mit dem Grand Prix der Niederlande in Zandvoort. (Hier geht's zum kompletten Formel-1-Kalender 2024!)