Formel-1-Experten: Verstappen-Strafe geht in Ordnung, aber Norris ...
Der frühere Formel-1-Fahrer Timo Glock erklärt, weshalb Red-Bull-Fahrer Max Verstappen beim Österreich-Grand-Prix aus seiner Sicht zurecht bestraft wurde
(Motorsport-Total.com) - Es war die Szene des Rennens: In Runde 64 attackiert McLaren-Fahrer Lando Norris Red-Bull-Fahrer Max Verstappen außenrum vor Kurve 3 in Spielberg. Kurz darauf hat Verstappen einen Plattfuß und Norris größere Schäden am Auto, die zum Ausfall führen. Wenig später verhängen die Sportkommissare des Automobil-Weltverbands (FIA) eine Zehn-Sekunden-Zeitstrafe gegen Verstappen.
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Max Verstappen gestikuliert in der Red-Bull-Box beim Formel-1-Rennen in Spielberg 2024 Zoom Download
Aber warum war dessen Zweikampf-Verhalten gegenüber Norris eigentlich nicht korrekt? Das erklärt der frühere Formel-1-Fahrer Timo Glock im Sky-Gespräch so: "Die Problematik ist erst einmal der DRS-Überschuss von über 24 km/h. Dann kommst du in die Position, nah dran zu sein und willst überholen. Mit dem Überschuss positionierst du dich, willst ein bisschen später bremsen, und dann kannst du nichts mehr machen."
"Wenn dir der Vordermann dann vors Auto oder ins Auto fährt, dann kommt es zum Unfall. Deswegen hat man gesagt, mit diesem DRS-Effekt und dem späten Bremsen mit dem Überschuss, ist es nicht mehr erlaubt, auf der Bremse das Auto zu bewegen. Du musst dich einmal entscheiden, einmal sagen: 'Ich fahre auf die Kurve drauf zu und verteidige auf der Innen- oder der Außenseite.'"
Genau das habe Verstappen in der beschriebenen Situation "sozusagen ausgereizt bis in den Graubereich", meint Glock. Auf Nachfrage aber fällt Glock sogar ein noch drastischeres Urteil: Verstappen sei nicht mehr innerhalb des Limits geblieben, sondern "es war drüber" in der Szene mit Norris, sagt Glock.
Norris sei an dieser Stelle kein Vorwurf zu machen. "Wo soll er da hingehen?", fragt Glock. "Verstappen fährt ihm dann sozusagen vors Auto."
Hill: Was Norris zur Kollision beigetragen hat
Das wiederum will Ex-Champion Damon Hill so nicht stehen lassen. In einem Podcast für das englische Sky deutet er eine Mitverantwortung von Norris beim Zwischenfall in Runde 64 an, wenn er sagt, Norris könnte "ein bisschen zu defensiv vorgegangen" sein.
Hill erklärt: "Als er sein Auto außen platzierte, hätte er auf den Randstein hinausfahren können. Er aber sagte sich: 'Nein, ich mache das nicht. [Verstappen] darf die Linie nicht wechseln und muss mir genug Platz lassen.' Dann kam es zur Kollision." Und diese Kollision habe Norris in Kauf genommen durch seine Linienwahl, meint Hill.
Zu wenig Erfahrung im Umgang mit Verstappen?
Dessen früherer Williams-Teamkollege David Coulthard führt das auf Norris' Unerfahrenheit im direkten Duell mit Verstappen zurück: "Lando lernt erst noch, wie es ist, so mit Max zu kämpfen. Irgendwann finden sie es beide heraus."
"Aber niemand sollte überrascht darüber sein, dass Max verdammt schnell und ein harter Racer ist. Er wird nicht aufgeben. Andererseits: Wenn du weißt, mit wem du es zu tun hast, dann weißt du leichter, wie du vorgehen musst."
Doch an diesem Punkt ist Norris noch nicht. Oder wie es der ehemalige Formel-1-Fahrer Martin Brundle in seiner Sky-Kolumne beschreibt: "Lando war draufgängerisch unterwegs. Das muss er schon raffinierter und mit Geduld und Abgeklärtheit machen, wenn er Max regelmäßig schlagen will, um Weltmeister zu werden."
Verstappen-Duell erfordert ein "hohes Maß an Vorsicht"
Dass Verstappen sich aber zu einem solchen Manöver habe hinreißen lassen, zeige, wie groß der Druck durch McLaren und Norris inzwischen sei, sagt Hill. "Deshalb musste sich Max so teuflisch verteidigen. Sorry, aber Max hat nun mal den Ruf, dass er niemals die Führung abgibt, ohne erbittert darum zu kämpfen. Und wenn man das weiß, muss man ihm mit einem hohen Maß an Vorsicht begegnen."
Und das nicht nur im direkten Zweikampf, sondern auch danach, wie Brundle ergänzt. Er empfand es als "alarmierend", wie Verstappen selbst nach der Berührung mit Norris versucht habe, seinen Gegner "ganz eindeutig zu behindern und, wenn möglich, abzuräumen", so Brundle.
Die Zehn-Sekunden-Strafe sei anschließend praktisch verpufft, weil Verstappen einfach frische Reifen habe holen können. Das stört auch Glock: "Im Endeffekt ist es keine Strafe, weil Max immer noch Punkte mitgenommen hat." Brundle: "Er hat ja sogar seine WM-Tabellenführung noch einmal ausgebaut."
Deshalb zeigt sich Glock "gespannt, ob man da für die nächsten Rennen eine andere Lösung findet".
Wird es jetzt psychologisch bei Red Bull?
Brundle wiederum interessiert sich vor allem für die Dynamik bei Red Bull und fragt sich, "ob nicht langsam der lächerliche Streit zwischen seinem Vater Jos und Teamchef Christian Horner an Max erkennbar wird". Sprich: Ob sich der Dauer-Zwist im Energydrink-Rennstall nicht auf den Fahrer Verstappen überträgt.
Denn Verstappen sei im Zweikampf mit Norris plötzlich in alte Muster zurückgefallen. "Er ist zwar ruhiger und reifer geworden, und mit drei WM-Titeln auf der Habenseite fährt er berechnender", sagt Brundle. "Aber das scheint nur ein dünner Schleier gewesen zu sein, denn in Spielberg war er praktisch Max 1.0, wie er wieder mit seinen Standard-Taktiken und seiner Verleugnung angekommen ist."