Helmut Marko verliert Wette: Max Verstappen egalisiert Senna-Rekord
Der Polesetter heißt doch wieder Max Verstappen: Wie Red Bull das kleine Wunder von Imola gelang und welche Rolle Nico Hülkenberg bei der Pole spielte
(Motorsport-Total.com) - Da war er wieder, der Max-Faktor. Oder war es doch eher ein Hülkenberg-Faktor? Oder vielleicht eine Mischung aus beidem? Fakt ist: Mit einem Riesenschritt in Sachen Balance, dem Windschatten von Nico Hülkenberg und der Extraklasse von Max Verstappen wurde ein Rekord von Ayrton Senna eingestellt.
Verstappen holte in Imola seine achte Poleposition in Folge. Senna war dies zwischen Jerez 1988 und Phoenix 1989 gelungen. Eigentlich sprach alles gegen Red Bull. Sogar Helmut Marko wettete gegen Verstappen - und verlor. Und Verstappen gibt selbst zu, dass er schon vor dem Qualifying mit einem Top-5-Ergebnis zufrieden gewesen wäre.
"Es kam überraschend, wir haben fast nicht mehr an diese Poleposition geglaubt", gibt der Red-Bull-Motorsportberater bei Sky zu. "Aber die Änderungen, die wir heute vorgenommen haben, haben uns Schritt für Schritt näher gebracht. Und dann natürlich die unglaubliche Runde von Max, der sich derart gesteigert hat, ohne Fehler."
Der Dank geht auch in eine ungewöhnliche Richtung: "Wir bedanken uns auch bei [Nico] Hülkenberg, der uns in Sektor 1 einen schönen Windschatten gegeben hat, das hat uns zwei Zehntel auf Piastri gebracht. Und die waren letztlich ausschlaggebend, dass Max doch noch die Poleposition erzielt hat."
Was im Fernsehen nicht zu sehen war: Verstappen ließ kurz vor Beginn seiner Runde Nico Hülkenberg passieren, der bereits auf seiner schnellen Runde war. Dann schnappte er sich den Windschatten des Haas und ließ sich die gesamte Zielgerade über ziehen. Hülkenberg fuhr vor der Bremszone auf die Seite. Laut Telemetrie brachte ihm das 0,142 Sekunden.
Allerdings, und das gibt auch Verstappen zu, war die Hilfe etwas zu viel des Guten: Der Niederländer kam dank des Windschattens so schnell auf die Tamburello-Schikane zu, dass er den Scheitelpunkt von Kurve 2 (Eingangs-Links der Tamburello) leicht verfehlte.
Das nimmt den Rhythmus für die gesamte Schikane. So musste er das Auto in Kurve 3 (Rechtskurve) "herumwuchten", weil der Winkel nicht mehr ganz passte. "Ich habe Kurve 2 etwas verpasst", gesteht er. "Geradeaus habe ich etwas gewonnen, aber in Kurve 2 wieder verloren."
"Insgesamt denke ich, dass es mir ein bisschen geholfen hat. Wenn man so schwierige Wochenenden hat, muss man solche Gelegenheiten nutzen. Wir beide waren heute schon ziemliche 'Windschatten-Buddys' da draußen." Die Daten geben ihm Recht: In der Tamburello verlor er 0,062 Sekunden gegenüber seiner ersten Q3-Runde, insgesamt war er im ersten Sektor 0,066 Sekunden schneller.
Hülkenberg sagt dazu: "Max und ich haben uns dieses Qualifying ein paar Mal geholfen, er hat mir einige Male in Q2 geholfen und ich habe den Gefallen hier zurückgegeben." Mit ironischem Unterton fügt er hinzu: "Also ja, manchmal braucht man eben ein bisschen Unterstützung."
Größte Wende seit Beginn der Dominanz
Dass Max Verstappen überhaupt um die Pole kämpfte, war an sich schon ein Wunder. Dass es aber keine gute Idee ist, gegen den eigenen Schützling zu wetten, musste Helmut Marko am eigenen Leib erfahren.
"Ich glaube, wir haben alle nicht mehr damit gerechnet", sagt der 81-Jährige. "Wir haben vorher gesagt: 'Diesmal brauchen wir eine magische Runde von dir.' Sein Renningenieur hat ihn noch zusätzlich angestachelt, indem er sagte, es sei gegen die Poleposition gewettet worden. Damit war ich gemeint, das gebe ich zu."
Es war an diesem Wochenende alles andere als einfach für den amtierenden Weltmeister, denn Red Bull fand in allen Trainings keine Balance. "Wir sind alle Varianten durchgegangen", sagte Marko. "Erst Untersteuern, dann Übersteuern, dann wieder Untersteuern und Aufsetzen. Schließlich war es im dritten Training nur noch Übersteuern."
Ein zusätzlicher Flap und "ein paar andere kleine Tricks" haben das Problem schließlich gelöst. "Es ging Schritt für Schritt. Es war immer marginal, es waren immer Hundertstel, Zehntel, die gewonnen wurden, aber es ging in die richtige Richtung."
Verstappen empfindet eine große Genugtuung: "Am Ende haben wir alle zusammengehalten, jeder hat sich überlegt, was er tun kann, auch daheim in der Basis, und am Ende haben wir es geschafft."
"Es ist einfach ein tolles Gefühl, wenn man ein schwieriges Wochenende hat und es dann im Qualifying doch noch klappt. Ich hoffe natürlich, dass das nicht allzu oft passiert, aber im Moment bin ich froh, dass wir die Wende geschafft haben."
Wie groß dieser Turnaround war, zeigt die Tatsache, dass sich Verstappen an nichts Vergleichbares erinnern kann: "Im Vergleich zu den letzten Jahren ist das definitiv einer der besten. Wir hatten schon lange nicht mehr das Gefühl, so weit hinten zu liegen. Sicher, in Singapur lagen wir weit zurück, aber das war das ganze Wochenende so."
"Es muss mindestens fünf oder sechs Jahre her sein, dass wir ein Wochenende so gedreht haben. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir hier schon einmal das Ruder so herumgerissen haben."
Schon in Suzuka und Miami war Verstappen vor dem Qualifying mit dem Auto nicht zufrieden. Ist es ein generelles Problem des Red Bull RB20, dass die Abstimmung schwierig ist? Verstappen verneint: "Ich sage das schon das ganze Jahr, es ist eigentlich einfacher als im Vorjahr."
"Die Schwierigkeiten in den vergangenen Rennen waren bei weitem nicht so groß wie hier. Da waren es ein paar Kleinigkeiten, die nicht richtig funktioniert haben. Hier waren wir völlig außerhalb des Fensters. Es ist immer noch ein sehr starkes Auto, in dem ich mich sehr wohl fühle. Nur irgendwie hat es an diesem Wochenende nicht ganz gepasst. Ich hoffe, dass wir daraus viel lernen."
Auf die Updates will er das Problem auch nicht schieben: "Die machen einfach ihre Arbeit. Wir hatten andere Probleme als die Updates." Um aussagekräftige Erkenntnisse über die Updates zu gewinnen, brauche es aber mehrere Rennwochenenden, fügt er hinzu. Allerdings ist das kommende Rennen in Monaco auch nicht unbedingt ein Gradmesser.
Am Ende war es wohl der Max-Faktor, auf unerklärliche Weise mehr aus dem Auto herauszuholen, als eigentlich drin ist. Insofern kam die Egalisierung des Senna-Rekords vielleicht gerade passend zu dieser Situation.
"Die letzte Runde war natürlich All-In mit vollem Risiko", so der 26-Jährige. "Das hat man in der letzten Kurve gesehen, wo ich einen kleinen Moment hatte. Da habe ich einfach versucht, alles aus dem Paket herauszuholen." Der kleine Rutscher ausgangs Rivazza II änderte schließlich nichts mehr an der Pole.
McLaren bleibt eine Gefahr
Es ist aber keineswegs so, dass an diesem für Red Bull schwierigen Wochenende alles wieder in Ordnung ist. Im Gegenteil: Auf den Longruns sah McLaren sehr stark aus, und es ist nicht in Stein gemeißelt, dass die Änderungen, die im Qualifying funktioniert haben, im Rennen ein ähnliches Wunder vollbringen werden.
"Wir haben gekämpft, aber Qualifying ist Qualifying. Das Rennen kann ganz anders aussehen", betont er. Zumal ihm die Erfahrung fehlt: "Ich fühle mich nicht wirklich vorbereitet. Gestern war es auf Long- und Shortruns schrecklich, heute Morgen haben wir noch einen Longrun versucht, aber wir sind nur zwei Runden gefahren, weil ich mich nicht wohl gefühlt habe."
"Mit der besseren Balance sollte es besser werden, aber ich weiß nicht, wie es gegen McLaren aussieht. Die sahen gestern auf den Longruns sehr stark aus."
Und auch Marko rechnet nicht mit einem weiteren Verstappen-Sieg : "Nein, davon sind wir noch weit entfernt. Wir wissen noch nicht, wie der Reifenverschleiß am Ende aussehen wird. Werden es ein oder zwei Stopps? Auf den Longruns waren wir auch nicht so gut. Checo [Perez] war gut, Max nicht so sehr."
Andererseits hat Verstappen nun eine günstige "Track Position", denn in Imola herrscht praktisch Überholverbot. Und die Führungsposition hilft auch beim Reifenmanagement, wie Marko betont: "Wenn er vorne wegfahren kann, ist es viel einfacher, er kann sich das Tempo einteilen, hat freie Fahrt und der Reifenverschleiß ist deutlich geringer." Eine Garantie für den Sieg ist das aber nicht.