Longruns Imola: Red Bull strauchelt, Leclerc und Norris dominieren
Nach dem Trainingsfreitag der Formel 1 in Imola tragen die Favoriten für das restliche Wochenende rot und orange: Was ist mit Red Bull los?
(Motorsport-Total.com) - Der Trainingsfreitag in Imola stand ganz im Zeichen der großen Updatewelle bei den Topteams. Red Bull, Ferrari, Mercedes und Aston Martin brachten eine ganze Reihe von neuen Teilen an die Strecke, doch vor allem bei der Scuderia scheinen die Upgrades voll eingeschlagen zu haben. Charles Leclerc sicherte sich die Bestzeiten im ersten und zweiten Freien Training und auch bei den Longruns mit viel Sprit am Ende der Session war keiner schneller als der Monegasse.
Bereinigt um verschiedene Reifenmischungen sowie unterschiedliche Stintlängen fuhr Leclerc laut den Daten unseres Technologiepartners PACETEQ im Schnitt die schnellsten Longrun-Zeiten, doch McLaren-Pilot Lando Norris ist Ferrari dicht auf den Fersen. Der Miami-Sieger war bereinigt lediglich um 0,004 Sekunden pro Runde langsamer und kann sich damit ebenfalls gute Karten auf eine Siegchance am Sonntag ausrechnen.
Zwar setzte der Brite nach einem Fahrfehler im letzten Sektor nur die zwölftschnellste Zeit im zweiten Freien Training, doch kombiniert hätten seine besten Sektorenzeiten für einen zweiten Platz hinter Leclerc gereicht bei einem Rückstand von gerade einmal 0,087 Sekunden.
Sein bester dritter Sektor stammt dabei von seiner Runde auf den Mediums. Laut den Telemetriedaten der Datenanalyseseite F1 Tempo war Norris im letzten Streckensegment bis zu seinem Fehler mit den Softreifen aber fünf Zehntel schneller. Gut möglich also, dass er die Zeit von Leclerc klar geschlagen hätte.
Viele Ausritte, keine Pace: Was ist mit Red Bull los?
Zurück zu den Longruns. Dritte Kraft hinter Leclerc und Norris war Oscar Piastri im zweiten McLaren mit einem bereinigten Rückstand von etwa einer Zehntel pro Runde. Es folgen Lewis Hamilton (+0,3), Carlos Sainz (+0,41) und George Russell (+0,43). Und was ist mit Red Bull?
Mit einem durchschnittlichen Defizit von über einer halben Sekunde pro Runde war Sergio Perez nur der siebtschnellste Fahrer im Longrun, Teamkollege Max Verstappen fehlten sogar fast sieben Zehntel. Für die schwache Red-Bull-Pace lassen sich aus den Daten mehrere Gründe ableiten.
Das offensichtliche Problem ist der Reifenverschleiß am RB20. Im Schnitt verschlissen die Pneus bei Perez und Verstappen um 0,145 Sekunden pro Runde. Spitzenreiter in dieser Kategorie war Ferrari (0,08), wobei auch McLaren (0,088) überzeugen konnte. Beide Red-Bull-Fahrer hatten große Mühe, konstant gute Rundenzeiten zu fahren, was sich zum Teil auch schon in der Qualifyingsimulation gezeigt hat.
Verstappen setzte den zweitschnellsten ersten Sektor auf den Soft-Reifen, doch im Verlauf der Runde scheint der C5-Reifen am Red Bull eingebrochen zu sein. Besonders im schnellen zweiten Sektor hatte der Niederländer große Probleme, sein Auto auf der Strecke zu halten.
Möglicherweise hat Red Bull auch bei der Motorleistung noch nicht alle Karten auf den Tisch gelegt. Mit einem Topspeed von 296 km/h in der Geschwindigkeitsmessung war nur Alpine-Pilot Pierre Gasly (295) langsamer als Verstappen auf der Start- und Zielgeraden in der Qualifyingsimulation. In den Longruns fehlten Red Bull im Schnitt neun km/h auf Haas, dem schnellsten Team beim Geradeausfahren, womit man deutlich Letzter in dieser Kategorie wurde.
Aston Martin langsam, aber mit besserem Reifenmanagement als zuletzt
Doch nicht nur bei Red Bull läuft es noch nicht ganz nach Plan mit den neuen Updates, denn auch Aston Martin hat sich mit schnellen Rundenzeiten, sowohl auf eine schnelle als auch auf mehreren Runden im Longrun, noch bedeckt gehalten. In der Rennsimulation am Ende des zweiten Trainings handelte sich Fernando Alonso einen Rückstand von neun Zehnteln pro Runde auf Spitzenreiter Leclerc ein.
Immerhin scheint man durch die neuen Teile den ersten Eindrücken zufolge beim Reifenverschleiß einige Fortschritte gemacht zu haben. Mit einem durchschnittlichen Abbau von 0,085 Sekunden pro Runde war nur Ferrari in dieser Kategorie besser. Negativ aufgefallen ist dafür der Topspeed, vor allem auf einer Runde.
Racing Bulls klarer Favorit im Mittelfeld
Das stärkste Auto im Mittelfeld scheint Racing Bulls zu haben. Yuki Tsunoda sicherte sich im zweiten Training den dritten Platz hinter Leclerc und Piastri und auch die Longruns des italienischen Teams konnten sich sehen lassen. Mit einem Rückstand von etwas mehr als einer Sekunde pro Runde lagen Tsunoda und Teamkollege Daniel Ricciardo im Bereich der Aston Martins.
Im hinteren Feld geht es dafür eng zur Sache. Sauber (+1,33), Williams (+1,39), Alpine (+1,41) und Haas (+1,41) wurden von weniger als eine Zehntelsekunde pro Runde im Longrun getrennt. Da das Überholen in Imola historisch schwierig ist, wird es bei der ähnlichen Rennpace vor allem auf das Qualifying am Samstag ankommen, um sich für den Grand Prix eine gute Ausgangslage verschaffen zu können.
Weichere Reifen, aber wieder ein Einstopprennen?
Obwohl Pirelli im Vergleich zum letzten Rennen im Jahr 2022 die Reifenmischungen eine Stufe weicher gewählt und dabei den C3 bis C5 nominiert hat, lassen die Daten vom Freitag vermuten, dass auch die 2024er-Ausgabe des Rennens in der Emilia Romagna ein Einstopprennen sein wird. Grund ist das zweitlängste Boxenstoppdelta der Saison von 28 Sekunden, was Reifenwechsel sehr kostspielig macht.
In den Longruns am Freitag hat sich herauskristallisiert, dass der weiche Soft-Reifen wohl kein Thema für das Rennen sein wird, da der Verschleiß zu hoch ist. Zwischen dem Medium und dem Hard haben sich aber auch große Unterschiede gezeigt. Über eine kürzere Stintlänge von rund zehn Runden war die härtere Mischung rund zwei Zehntel pro Runde langsamer, doch der Reifenverschleiß war nur etwa halb so groß wie beim Medium, was über eine längere Distanz Vorteile hat.
Der gelbe C4-Reifen baute um 0,110 Sekunden pro Runde ab, der harte C3 nur um 0,059 Sekunden pro Runde. Hochgerechnet sollte damit für das Rennen die Einstoppvariante Medium-Hard mit einem Reifenwechsel in Runde 25 ideal sein. Die schnellste Zweistoppstrategie, Medium-Hard-Hard, wäre hochsimuliert etwa drei Sekunden über die komplette Renndistanz langsamer. Zudem müsste man bei einem zusätzlichen Stopp Autos auf der Strecke überholen können, damit die Strategie Sinn macht.
Eine ausführliche Analyse der Daten des Imola-Freitages gibt es auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de, wo Datenexperte Kevin Hermann mit der Strategiesoftware OneTiming von PACETEQ die wichtigsten Erkenntnisse der Longruns zusammenfasst. Zudem berichten Christian Nimmervoll und Frederik Hackbarth über ihre Eindrücke vor Ort.