"War absolut beeindruckt": Was Vasseur an Bearmans Debüt fasziniert hat
Fehlerfrei, gutes Reifenmanagement und die Ruhe behalten: Frederic Vasseur hat viele positive Facetten bei Oliver Bearman gesehen und zeigt sich beeindruckt
(Motorsport-Total.com) - "Als ich Oliver am Freitag darum bat, bei uns einzuspringen, da bin ich nicht von einem derart soliden Wochenende ausgegangen", sagt Ferrari-Teamchef Frederic Vasseur gegenüber Sky und gibt damit genau den Ton vor, was man bei der Scuderia vom Formel-1-Debüt des 18-jährigen Oliver Bearman hält.
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Oliver Bearman feierte in Dschidda ein überzeugendes Formel-1-Debüt Zoom Download
Denn der hat seine Sache in Dschidda sehr gut gemacht, wie Vasseur findet. Bearman hatte Carlos Sainz spontan ab dem dritten Freien Training ersetzt und musste ohne Vorbereitung in sein erstes Formel-1-Wochenende auf einem so schwierigen Kurs wie in Saudi-Arabien starten.
Und da war der Engländer sogar relativ schnell auf Speed und konnte schon im Training mit guten Rundenzeiten glänzen. Doch das ist nicht das, was Vasseur am meisten an Bearmans Debüt beeindruckt hat. "Ich will nicht sagen, dass es einfach ist, die Pace zu haben, aber zumindest ist das etwas, das schaffbar ist", meint er.
"Aber die Tatsache, dass er ein kurzes Wochenende ohne FT1 und FT2 ohne jeglichen Fehler absolviert hat, das ist für mich unrealistisch", so Vasseur. "Ehrlich, ich war absolut beeindruckt davon."
Im Qualifying verpasste Bearman zwar den Einzug in Q3, doch dass er bei seinem ersten Mal so knapp an Lewis Hamilton dran war (0,036 Sekunden), das findet der Teamchef "sehr stark", wie er sagt. Aber: "Ich glaube, dass mit einem sauberen Q2 auch Q3 möglich war."
Starkes Reifenmanagement im Rennen
Auch im Rennen schlug sich Bearman dann beachtlich und konnte sich von Platz elf auf Position sieben nach vorne arbeiten. Vasseur gibt zu, dass er sich im Vorfeld ein wenig Sorgen gemacht hat, ob Bearman alles richtig hinbekommt, denn die Abläufe beim Start und beim Boxenstopp waren für ihn etwas komplett Neues.
"Aber er hat das sehr solide gemacht und sich im Rennen keinen Fehler erlaubt", lobt er. "Er konnte am Ende sogar nochmal zulegen, als wir ihm von Norris und Hamilton hinter ihm berichtet hatten. Insgesamt hat er seine Sache fantastisch gemacht."
Was Vasseur dabei aber noch herausstellen möchte, ist das "klasse" Reifenmanagement, das Bearman dabei an den Tag gelegt habe. "Die Pace ist eine Sache, aber das Reifenmanagement - und da spreche ich ausdrücklich nicht nur vom Rennen, sondern von der gesamten Veranstaltung - war sehr, sehr solide und fehlerlos. Er war auch sehr ruhig am Funk und hat gutes Feedback geliefert."
Bearman: Batterie an falschen Stellen eingesetzt
Bearman selbst hat im Rennen aber noch Dinge erkannt, die er beim nächsten Mal verbessern muss. Im Rennen hatte er sich zeitweise darüber aufgeregt, dass Nico Hülkenberg im Haas sehr langsam unterwegs war.
"Ich war deutlich schneller als diese Leute, aber sie sind cleverer als ich mit dem Energiehaushalt umgegangen", gibt er zu. "Dergleichen hatte ich davor noch nie gemacht. Ich musste mir das praktisch während der Fahrt aneignen."
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Vor allem bei Hülkenberg sei ihm das aufgefallen: "Er hat seine Batterie genau an den richtigen Stellen eingesetzt. Ich dagegen schien es immer an den falschen Stellen zu tun", so der Youngster.
"Ich brauchte ein paar Runden, um dahinterzukommen. Wenn du in einer Runde alles rausholst und die Batterie leermachst, dann brauchst du eine Runde, um sie wieder aufzuladen. Bei meinem Manöver gegen Nico war ich ein bisschen ineffizient, aber ich nehme daraus mit, dass ich die Disziplin gewahrt habe und nicht zu viel probiert habe."
Vasseur lobt Bearmans Ruhe
Apropos Disziplin: die bewies Bearman auch in seiner Einstellung und beeindruckte seinen Teamchef damit ebenfalls. "Er war von Anfang an sehr ruhig. Und das war ein großer Vorteil, weil man den Druck hat und jeder einem sagt, dass er der jüngste Fahrer in einem Ferrari ist und bla bla bla", so Vasseur.
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#9: Daniil Kwjat. Bevor der Formel-1-Nachwuchs Max-Verstappen-Ausmaße annimmt, sorgt 2014 erst einmal Daniil Kwjat für Aufsehen. Der russische Durchstarter hat im Formelsport gerade erst begonnen, sich einen Namen zu machen, da winkt ihm Red Bull schon mit einem Stammcockpit bei Toro Rosso. Mit 19 Jahren und 324 Tagen darf er bereits in Melbourne an den Start gehen. Nur ein Jahr später wird der Junior schon zum Senior und steigt 2015 in den Red Bull - nur um kurz darauf wieder degradiert zu werden. Fotostrecke
"Aber am Ende des Tages war er in der Lage, das auszublenden und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Er hat sich ein klares Ziel gesetzt, er hat nicht zu sehr auf Details geachtet, er hat sich auf das große Thema konzentriert, und am Ende ist es sehr gut gelaufen", sagt er.
Ob Bearman auch in Australien für Carlos Sainz einspringen wird, wird sich erst in Melbourne entscheiden. Vor Ort ist er durch sein Formel-2-Engagement ja ohnehin, doch genau das ist für ihn erst einmal der nächste Fokus.
"Reden in sechs Monaten nicht mehr über Dschidda"
In Dschidda verpasste er die beiden Rennen, obwohl er eigentlich von der Poleposition aus hätte losfahren dürfen. Nach zwei Wochenenden steht er somit noch ohne Punkt da und muss auf die Konkurrenz aufholen: Sauber-Junior Zane Maloney hat nach seinen beiden Siegen in Bahrain schon 47 Punkte Vorsprung auf Bearman.
"Sich wieder in den Titelkampf einzuklinken dürfte eine Herausforderung werden", sagt Vasseur.
Der Auftritt in Dschidda ist für den Ferrari-Teamchef ohnehin nur ein Schritt, und nicht das finale Ziel. Bearman muss in der Formel 2 und bei seinen Freitagseinsätzen für Haas in diesem Jahr beweisen, dass er 2025 ein Stammcockpit verdient hat.
"In sechs Monaten reden wir nicht mehr über Dschidda, sondern wir reden über Mexiko und Brasilien und ob er sich gut geschlagen hat. Jeder einzelne Tag wird eine neue Herausforderung", sagt er. "Aber wenn er seinen Ansatz so behält, dann wird es schon gut laufen."