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Stallregie bei Racing Bulls: "Wollt ihr mich verarschen?"
Wie die Stallregie von Racing Bulls beim Formel-1-Auftakt 2024 in Bahrain eskalierte und wie der neue Teamchef Laurent Mekies zu dieser Situation steht
(Motorsport-Total.com) - "Wollt ihr mich jetzt verarschen?" So platzt es kurz vor Schluss beim Formel-1-Auftakt 2024 in Bahrain aus Yuki Tsunoda heraus. Denn sein Team Racing Bulls hat ihn gerade darauf hingewiesen, er möge seinen Teamkollegen Daniel Ricciardo vorbeilassen. Und diese Botschaft kommt bei Tsunoda gar nicht gut an.
© Motorsport Images
Yuki Tsunoda im Racing Bulls VCARB 01 beim Formel-1-Auftakt 2024 in Bahrain Zoom Download
Er erklärt: "Ich war gerade drauf und dran, Magnussen zu überholen. Ich war Seite an Seite mit ihm auf der Zielgeraden. Und dann soll ich einen Platztausch vornehmen. Da habe ich ehrlich gesagt nicht verstanden, was sich das Team dabei gedacht hat."
Tsunoda hätte es ahnen können
Doch eigentlich hätte es Tsunoda wissen können oder sogar wissen müssen. Denn "wir sprechen vor einem Rennen über solche Dinge", sagt Ricciardo bei Sky. "Wir sitzen gemeinsam in der Strategie-Besprechung. Es gibt keine Geheimnisse."
"Und es war klar: Es gibt eine sehr gute Chance, dass ich das Rennen auf besseren Reifen beenden würde. Und wenn ich mit einem Geschwindigkeitsvorteil ankommen würde, dann würde es eine Stallregie geben."
Genau diese Situation ist eingetreten: Ricciardo fuhr im letzten Stint auf frischen Soft-Reifen, Tsunoda hatte Hard am Auto. Ricciardo kam deshalb um über eine halbe Sekunde pro Runde näher an Tsunoda heran, der auf P13 hinter Magnussen festhing.
Und Ricciardo machte Druck am Funk: "Ich will das nicht verlieren. Probieren wir was." Woraufhin sein Ingenieur den Positionstausch ankündigte. Verbunden mit dem Hinweis: "Lass uns das nutzen und die drei vor uns noch abfangen und in die Punkte fahren!"
Der Funkspruch kommt, aber keine Reaktion
Acht Runden vor Schluss erging ein simpler Funkspruch an Tsunoda: "Positionstausch, Positionstausch." Was Tsunoda mit dem bereits geschilderten Spruch quittierte - und nicht sofort Platz machte.
Ricciardo erkannte, was im Auto vor sich vorging: "Ich muss nichts sagen", funkte er. Dann, hörbar enttäuscht: "Wir haben eine ganze Runde verloren!"
Schließlich ließ ihn Tsunoda nach erneuter Aufforderung doch noch ziehen, aber nicht ohne einen weiteren schnippischen Kommentar abzusenden: "Danke, Leute, das weiß ich zu schätzen." Und kaum lag er hinter Ricciardo, herrschte er diesen indirekt an über Funk: "Dann soll er mal draufdrücken!" Und: "Er ist gar nicht schnell!"
Das brachte Tsunoda offenbar so sehr auf, dass er sich in der Auslaufrunde nach dem Rennen zu einem Schlenker-Manöver gegen Ricciardo hinreißen ließ. Ricciardo am Funk: "Was zur Hölle stimmt nicht mit ... Entschuldige, ich spare mir das. Da reden wir noch drüber!"
Kein direktes Gespräch zwischen Ricciardo und Tsunoda
Doch unmittelbar nach dem Rennen ging Ricciardo seinem Teamkollegen bewusst aus dem Weg. Begründung: "Er soll sich erstmal beruhigen. Wir wissen ja, wie er ist. In dem Moment ist er sehr ... Er ist Yuki. Wenn wir aber im Besprechungszimmer sitzen, wird er völlig okay sein."
Er selbst sei "natürlich okay", betont Ricciardo und erklärt: "Ich denke langfristig, und vor uns liegt eine lange Saison. Deshalb müssen wir zusammenarbeiten können. Ich will daher nicht mit einer verärgerten Einstellung reingehen. Wir müssen einfach sehr ehrlich und realistisch damit umgehen, dass das so nicht hätte passieren sollen."
Was Teamchef Mekies zur Situation sagt
Das sieht auch der neue Racing-Bulls-Teamchef Laurent Mekies so, bei allem Verständnis für Tsunodas Ausgangslage: "Für einen Fahrer ist es immer frustrierend, wenn er zum Platztausch aufgefordert wird, vor allem in einer Situation, in der er gerade attackiert. Du willst immer noch mehr Runden, um das zu schaffen."
"Allerdings waren wir eben das einzige Team mit einem Auto auf frischen Reifen", sagt Mekies bei Sky. "[Den Platztausch] nicht zu machen, das wäre ein Fehler gewesen."
Das werde Tsunoda rückblickend auch erkennen. "Ich verstehe die Emotionen in dem Moment, aber ich bin sicher, es wird anders sein, wenn wir die Situation und die Daten gemeinsam anschauen", meint Mekies.
Tsunoda fordert Erklärungen ein
Und Tsunoda selbst brennt tatsächlich auf die Aufarbeitung der Stallregie: "Es ist schwer nachvollziehbar für mich. Vielleicht gab es da [beim Team] bestimmte Gedanken. Die muss ich verstehen. Wir müssen uns das anschauen, denn ich verstehe es wirklich nicht."
Aber Fragezeichen blieben so oder so, sagt Tsunoda weiter. Denn erstens habe Ricciardo "auch nicht überholt" und zweitens gab es vor der Zieldurchfahrt keinen Platztausch zurück: Ricciardo lief auf P13 ein, Tsunoda belegte P14.
Ob er erwartet habe, am Ende wieder vorbeigelassen zu werden, wird Tsunoda gefragt. Antwort: "Um ehrlich zu sein: Ja. Andererseits war es außerhalb der Punkte."
Wie Ricciardo sein Vornebleiben rechtfertigt
Das gleiche Argument verwendet Ricciardo zur Begründung, weshalb er Tsunoda die Position nicht mehr zurückgegeben hat: "Ob ich nun 13. oder 14. bin, ich glaube nicht, dass sich ein Fahrer darum schert. Ich nicht. Wenn das Team gemeint hätte, ich soll ihn vor der Ziellinie wieder vorbeilassen, dann hätte ich das gemacht. Mir bedeutet das nichts."
"Aber solange wir nicht in den Punkterängen liegen, wen interessiert es schon? Es ist doch wirklich nur dann relevant, wenn es um Punkte geht", sagt Ricciardo.
"Wenn er mich für P9 durchgelassen hätte und Zehnter gewesen wäre, dann dreht man es vielleicht wieder, wenn ich nicht P8 erreichen kann. Aber das hat heute keine Rolle gespielt."
Umso schlimmer sei aus seiner Sicht, dass diese kleine Zusammenarbeit auf der Strecke nicht funktioniert habe. "Es gab ja auch nichts zu verlieren, weil wir ohnehin außerhalb der Punkte lagen. Er hätte mich einfach ziehen lassen können", meint Ricciardo.
Was schiefgelaufen ist bei Racing Bulls
Das ist aber nicht passiert, und hier erkennt Ricciardo mehrere Versäumnisse: "Ich glaube, die Anweisung [zum Platztausch] kam schon eine Runde zu spät. Und als er reagierte, war es zu spät."
"Bei diesen Soft-Reifen ist jede Runde entscheidend. Ich glaube also, ich habe wahrscheinlich zweieinhalb gute Runden mit diesen Reifen verloren. Das hat vielleicht den Unterschied ausgemacht", sagt Ricciardo.
"Hätten wir Stroll auf P10 noch kriegen können? Nein. Im besten Fall hätten wir vielleicht Zhou attackieren können. Punkte wären also schwierig gewesen, aber wir mussten eben etwas probieren. Das Team hat die Entscheidung getroffen, aber dann liegt es an Yuki, Platz zu machen."
Ricciardo will den Konflikt nicht eskalieren lassen
Über die Nachbesprechung hinaus soll dieser "kleine Konflikt" aber nicht getragen werden, meint Ricciardo: "Es war das erste Rennen von 24 und das soll nicht den Ton angeben. Wir reden darüber. Und hoffentlich kann er sagen, wenn er sich beruhigt hat: 'Ja, okay, ich hätte eine Runde früher Platz machen sollen.'"
In seiner ersten Stellungnahme nach dem Rennen aber wollte Tsunoda "eigentlich gar nicht darüber reden", weil es für ihn "schwer nachvollziehbar" gewesen sei. Doch er zeigt sich offen für konstruktive Kritik: "Wir müssen uns das für die Zukunft anschauen."
Tsunoda hinterfragt seine Rennstrategie
Gleiches gelte für die Strategie im Grand Prix: Von P11 kommend wurde Tsunoda nur 14. und sagt: "Mit jedem Stopp ging es rückwärts. Das ist ziemlich schmerzhaft, aber wir werden daraus lernen. Hoffentlich. Damit wir sowas in Zukunft vermeiden."
"Wahrscheinlich gibt es einen Grund, warum die Strategie nicht aufgegangen ist. Vielleicht muss ich mich da selbst steigern und auf dem Laufenden bleiben, wie die Reifensituation ist, damit [das Team] die Strategie optimal trifft." An den Boxenstopps habe es jedenfalls nicht gelegen: "Die Mechaniker waren gut. Ich glaube, es lag eher an der Strategie an sich."