Warum Verstappen kritisch bleibt, aber Las Vegas nicht (mehr?) hasst
Max Verstappen macht keinen Hehl daraus, dass Las Vegas nicht sein Lieblings-Grand-Prix ist, scheint aber am Samstag seinen Frieden damit gemacht zu haben
(Motorsport-Total.com) - Max Verstappen wirkte so, als hätte er seinen Frieden mit Las Vegas letztendlich doch noch gemacht. Als er gegen Mitternacht zuerst vor dem Bellagio und dann nochmal bei Start und Ziel als Sieger gefeiert wurde, vor der atemberaubenden Skyline der Spielermetropole in Nevada, noch dazu aufgestylt in einem Elvis-Overall, da schien er für einen Moment ganz vergessen zu haben, was er noch am Vortag gesagt hatte.
Er freue sich ganz und gar nicht auf das Wochenende, hatte der dreimalige Weltmeister schon vor dem Rennwochenende geraunzt, und nach den ersten beiden Trainingstagen meinte er, wenn Monaco die Champions League ist, dann geht Las Vegas bestenfalls als Bundesliga durch.
In der Nacht von Samstag auf Sonntag, euphorisiert von einem packenden Rennen mit einem für ihn erfreulichen Ausgang, klang das alles ganz anders. "Ein tolles Publikum", winkte Verstappen in die begeisterte Menge. "Ich hoffe, ihr hattet alle Spaß. Wir jedenfalls schon! Ich freue mich schon drauf, nächstes Jahr wieder hierher zurückzukommen."
Das hörte sich fast ein bisschen so an, als hätte ihm Rechteinhaber Liberty Media nach der öffentlichen Kritik an den ersten Tagen des Events nahegelegt, sich zumindest im Rahmen der weltweiten TV-Übertragung am Renntag zurückzunehmen. Etwas, was Red-Bull-Teamchef Christian Horner auf Nachfrage explizit verneint.
Verstappen: Darum funktioniert die Strecke so gut
Das Erfolgsrezept für das spannende Rennen in Las Vegas sei "geringer Reifenverschleiß auf dem harten Reifen" gewesen, sagt Verstappen, und "viel Windschatten auf den langen Geraden. Noch dazu mit Gegenwind. Und in den langsamen Kurven verlierst du auch dann nicht viel, wenn du knapp hinter einem anderen Auto fährst."
Die Geraden zwischen Kurve 4 und 5, 9 und 12, 12 und 14 und dann wieder 16 und 1 seien regelrecht ein "Windschattenfest", urteilt Verstappen nach der actionreichen Premiere auf dem Stadtkurs: "Das hat das Racing viel besser gemacht." Und er stellt klar: "Ich habe ja von Anfang an gesagt, dass das Racing hier gut werden könnte. Das war nie mein Problem."
Was für Verstappen wirklich wichtig ist
Das Problem war ein anderes, wie er präzisiert: "Ein bisschen Show ist schon wichtig. Aber ich liebe Emotionen. Als ich ein kleines Kind war, waren es die Emotionen, wegen derer ich mich in den Sport verliebt habe, und nicht die Show drumherum. Für einen echten Racer sollte es darauf nicht ankommen."
"Ein Formel-1-Auto wird auf einem Stadtkurs einfach nicht so richtig zum Leben erweckt. Das ist nicht so aufregend wie auf einer echten Rennstrecke. In Spa oder Monza gibt es viel Emotion und viel Leidenschaft. Die Fans dort zu sehen, finde ich unglaublich. Wenn ich dort ins Auto steige, bin ich total heiß aufs Fahren. Ich liebe diese Orte."
Was ihn weniger begeistert: "Ich verstehe schon, dass die Fans auch drumherum unterhalten werden müssen. Aber es ist auch wichtig, dass wir ihnen zeigen, was unseren Sport wirklich ausmacht. Denn hierher kommen viele nur, weil sie eine Party feiern oder einen DJ sehen wollen. Das kann ich aber überall sonst auf der Welt auch machen."
Verstappen: Besaufen kann ich mich auch auf Ibiza!
Nach Las Vegas, kritisiert Verstappen, "kommen die meisten nur, weil sie sich besaufen und Spaß haben wollen. Das kann ich auf Ibiza auch machen. Sind das dann unsere echten Fans? Die wollen ihren Lieblingsact sehen, ein paar Drinks nehmen und eine verrückte Nacht erleben. Aber sie verstehen nicht, welche Leistungen wir erbringen."
"Ich finde, wir sollten mehr Zeit in den eigentlichen Sport investieren, in das, was wir hier leisten. Als kleiner Junge wollte ich immer Weltmeister werden. Vielleicht sollten wir das mehr forcieren, erklären, was die Teams so machen, wofür die arbeiten. Das finde ich viel wichtiger als diese ganzen austauschbaren Shows an jeder Straßenecke."
"Mich können diese Dinge jedenfalls nicht begeistern. Ich liebe die Strecken mit Leidenschaft und Emotionen. Ich liebe Vegas, aber nicht zum Formel-1-Fahren. Ich gehe auch mal was trinken, setze im Casino alles auf Rot, gehe gut essen. Aber Emotion und Leidenschaft dürfen nicht fehlen. Das ist hier aber im Vergleich zu den Oldschool-Strecken so", sagt er.
Es war ein leidenschaftliches Plädoyer, das Verstappen am frühen Samstagmorgen nach seiner Poleposition im Rahmen der FIA-Pressekonferenz gehalten hat. Und der dreimalige Weltmeister trifft den Nagel auf den Kopf. Plakativ formuliert: Geht man nach Zandvoort oder Monza im Shirt des Lieblingsfahrers, so kommt man nach Las Vegas im Glitzerkleid und mit Stöckelschuhen.
Erneut Gesangseinlage am Boxenfunk
Am Ende hatte Verstappen dann aber seinen Frieden mit dem neuen Grand Prix gemacht: "Das Rennen war lustig", sagt er. "Heute hat wirklich Spaß gemacht. Ich hoffe, dass alle ihren Spaß hatten." Er selbst auch: In der Auslaufrunde gab's in der zweiten Folge von Verstappen-Radio nach Brasilien diesmal "Viva Las Vegas" von Elvis Presley zu hören.
Teamchef Christian Horner habe die Platte via Boxenfunk eingespielt, "und da kann ich ihn schlecht hängen lassen", lacht Verstappen, der zuletzt in Brasilien Tom Jones zum Besten gegeben hatte. Horner wiederum relativiert Verstappens angeblichen Vegas-Hass, wenn er sagt: "Er hat in einem Elvis-Overall gewonnen und 'Viva Las Vegas' gesungen. So schlimm kann's nicht sein."
Den Overall habe man Verstappen "vor ein paar Wochen" zum ersten Mal gezeigt. "Er wusste davon und war damit einverstanden. Wir respektieren, dass dieser ganze Rambazamba nicht so seins ist. Aber es ist doch erfrischend, dass er bereit ist, seine Meinung ehrlich zu sagen und die Fragen dazu nicht einfach wegzulächeln."