Reifenpoker in Las Vegas: Leclerc in den Longruns hauchdünn vor Verstappen
Der Formel-1-Grand-Prix von Las Vegas könnte eines der spannendsten Rennen der Saison werden: Ferrari Favorit auf Pole, aber kann man die Pace am Sonntag halten?
(Motorsport-Total.com) - Bei den ganzen Kontroversen und Dramen am Trainingsfreitag der Formel 1 in Las Vegas rückt das Sportliche schon fast in den Hintergrund, obwohl uns den Daten nach zu urteilen, eines der interessantesten Rennen der Saison 2023 erwarten könnte. Ferrari-Pilot Charles Leclerc dominierte nicht nur die Qualifyingsimulationen zu Beginn des zweiten Trainings, sondern konnte sich auch in den Longruns mit viel Sprit am Ende der Session gegen die Konkurrenz durchsetzen.
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Zu schnell für die Kameras? Charles Leclerc war in allen Disziplinen der schnellste Fahrer am Freitag in Las Vegas Zoom Download
Der Las Vegas Strip Circuit hat die Fahrer und Autos dabei nicht nur mit seinen langen Geraden und engen Kurven, sondern vielmehr mit den kalten Umgebungstemperaturen von 12 bis 13 Grad Celsius herausgefordert. Ausreichend Temperatur in die Pirelli-Reifen zu bekommen war bei einer Streckentemperatur von 15 Grad Celsius somit keine leichte Aufgabe.
Bereinigt man die Longrun-Daten um die unterschiedlichen Reifensorten und rechnet einige langsame Runden heraus, dann war Leclerc im Schnitt 0,09 Sekunden pro Runde schneller als sein ärgster Widersacher Max Verstappen im Red Bull. Sein Ferrari-Teamkollege Carlos Sainz gesellt sich mit einem Rückstand von durchschnittlich 0,27 Sekunden pro Runde auf Rang drei im Longrun-Ranking.
Wo Red Bull die Zeit auf Ferrari verliert
Während die Scuderia auf eine schnelle Runde noch in den langsamen Kurven - besonders im zweiten Sektor um die Sphere - die größte Zeit auf Red Bull gutmachen konnte, war es im Longrun eher die Geschwindigkeit auf den langen Geraden. In der Geschwindigkeitsmessung waren die Ferraris im Schnitt elf km/h in ihrer Rennsimulation schneller als die Red Bulls.
In den Qualifyingsimulationen lagen die beiden Teams dort noch auf Augenhöhe, weshalb Red Bull möglicherweise in den Longruns nicht alles in Sachen Motorleistung gezeigt hat. Zudem fährt Red Bull mit einem größeren Heckflügel als Ferrari, was sich beim Öffnen des DRS auf eine schnelle Runde nicht so stark auf den Topspeed auswirkt.
Die Stärken des Red Bulls sind den Daten ebenfalls schnell ausgemacht. Zum einen war im Longrun der Reifenverschleiß deutlich geringer als der von Ferrari, zum anderen kommt man besser aus den engen Ecken heraus und scheint Vorteile bei der Traktion zu haben. Die Ferraris sind dafür in den Bremszonen, beim Kurveneingang und auf den Geraden schneller.
Mercedes solide, AlphaTauri und Alfa Romeo überraschen
Hinter den beiden Teams liegt Mercedes auf dem dritten Rang im Longrun-Kräfteverhältnis mit einem durchschnittlichen Rückstand von 0,47 Sekunden pro Runde. Während in der Qualifyingsimulation erneut zehn km/h in der Geschwindigkeitsmessung auf das schnellste Auto - Sergio Perez im Red Bull - gefehlt haben, waren es im Longrun immerhin nur etwa vier km/h auf die Ferraris.
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Somit dürfte es ein enges Duell zwischen den Silberpfeilen und Aston Martin geben, die allerdings auf eine schnelle Runde mehr überzeugen konnten als im Longrun. Fernando Alonso und Lance Stroll fehlten etwas mehr als neun Zehntel pro Runde im Schnitt, womit man sogar von AlphaTauri (+0,73) und Alfa Romeo (+0,77) geschlagen wurde.
Der AlphaTauri von Yuki Tsunoda und Daniel Ricciardo war dabei das zweitschnellste Auto auf der langen Geraden mit einem Rückstand von nur durchschnittlich 0,4 km/h auf Ferrari. Bei Alfa Romeo muss man hingegen die Frage stellen, ob man wie bereits schon öfter in dieser Saison weniger Sprit als die Konkurrenz an Bord hatte. Dennoch war Valtteri Bottas (+0,77) seinem Teamkollegen Guanyu Zhou (+2,71) meilenweit überlegen.
Sorgen bei McLaren und Perez: Wo ist die Pace hin?
Auf den weiteren Plätzen kommen Williams (+1,05), Alpine (+1,36) und Haas (+1,39). Die große Enttäuschung des Trainingsfreitags ist jedoch McLaren mit einem Rückstand von 1,37 Sekunden pro Runde auf Ferrari, womit man insgesamt nur Neunter in der Team-Hackordnung mit viel Sprit ist.
Dem MCL60 fehlt es grundlegend an Pace, da man sich für einen ganz kleinen Heckflügel entschieden hat, um die Effizienzprobleme der Aerodynamik zu überspielen. Auf den Geraden haben in der Rennsimulation daher nur im Schnitt 1,8 km/h gefehlt, wofür man jedoch in den Kurven den Preis bezahlt hat.
Auf eine Runde macht der DRS-Effekt durch den kleinen Heckflügel nicht so viel aus, weshalb in der Qualifyingsimulation sogar 15 km/h auf Red Bull gefehlt haben. Zudem scheint man die Reifen nicht konstant auf Temperatur halten zu können.
Ein ähnliches Problem scheint im Übrigen auch Max Verstappens Red-Bull-Teamkollege Sergio Perez ereilt zu haben. Auf eine schnelle Runde war der Mexikaner noch etwa eine Zehntel schneller als Verstappen, im Longrun fehlten ihm jedoch satte 1,91 Sekunden pro Runde auf Leclerc und damit 1,82 pro Runde Sekunden auf seinen Teamkollegen!
Reifenpoker: Chaos am Start vorprogrammiert!
Aufgrund der kalten Temperaturen in der Nacht von Las Vegas werden die Reifen daher auch für das restliche Wochenende das bestimmende Thema sein. Der Reifenverschleiß ist gering, wobei die Schwierigkeit besteht, die Reifen überhaupt erst einmal auf Temperatur zu bekommen. Leclerc konnte seine Trainingsbestzeit in seiner dritten schnellen Runde fahren, was zeigt, dass der Verschleiß gering und die Reifentemperatur der Schlüssel ist.
In den Rennsimulationen hat sich zudem gezeigt, dass neben der Outlap auch die ersten beiden Runden des Stints bei den meisten Fahrern extrem langsam waren, was auf eine zu geringe Reifentemperatur zurückzuführen ist. Teilweise wurden die Fahrer bis zu drei Sekunden in ihrer dritten Runde des Stints schneller. Das bedeutet auch, dass für die meisten der Soft der beste Startreifen am Sonntag sein wird, da der C5 noch am leichtesten auf Temperatur zu bringen ist.
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Was die Strategie angeht, so ist eine Einstoppstrategie mit Abstand der schnellste Weg ins Ziel, wobei die Variante Soft-Medium den Daten vom Freitag zu urteilen die schnellste wäre. Der Reifenverschleiß ist extrem gering und da das Rennen zudem nur 50 Runden umfasst, kann man leicht mit den Softreifen 20 Runden hauszuhalten, um später den Medium aufzuziehen.
Der harte Reifen wurde von einigen Piloten im Longrun getestet, konnte aber nur sehr schwer auf Temperatur gebracht werden. Ein Beispiel hierfür ist Yuki Tsunoda, der in seiner dritten Stintrunde fünf Sekunden schneller wurde im Vergleich zu seiner ersten Runde. Auf den harten Reifen zu starten ist nicht nur aus Temperaturgründen nicht zu empfehlen, sondern auch aufgrund des hohen Risikos eines frühen Safety-Cars, was die strategischen Optionen für den zweiten Stint trüben würde.
Beim Blick auf die Daten vom Freitag sieht Charles Leclerc im Ferrari wie der Topfavorit für die Poleposition im Qualifying aus, für das Rennen sollte man jedoch mit einem engen Zweikampf zwischen ihm und Max Verstappen rechnen. Der Schlüssel in Las Vegas sind jedoch die Reifen: Wer das richtige Temperaturfenster trifft und es aufrechterhalten kann, wird mit Sicherheit im Vorteil sein.