Liam Lawson: Daniel Ricciardo "hat mir jede Hilfe angeboten"
Nach dem spontanen Einsatz in Zandvoort kann Liam Lawson in Monza mit ein wenig Vorbereitung ins Wochenende gehen - Daniel Ricciardo war "extrem hilfsbereit"
(Motorsport-Total.com) - Hinter Liam Lawson liegt eine extrem aufregende Woche. Noch vor sieben Tagen wusste der Neuseeländer nicht, dass er schon bald ein Formel-1-Fahrer sein würde, doch der Unfall von Daniel Ricciardo im Freitagstraining von Zandvoort hat dem 21-Jährigen eine Chance eröffnet, in der Königsklasse Fuß zu fassen.
Von heute auf morgen musste Lawson für Ricciardo einspringen und sah seinem Formel-1-Debüt entgegen - und das ohne Freitagstraining und bei wechselnden Wetterbedingungen, die schwieriger nicht sein könnten. Dafür hat Lawson seine Sache aber gut gemacht: Er hielt das Auto auf der Strecke und lag am Ende als 13. sogar vor seinem Teamkollegen Yuki Tsunoda.
An diesem Wochenende darf er in Monza seinen zweiten Grand Prix bestreiten - diesmal aber mit deutlich mehr Vorbereitung. "Es fühlt sich natürlich besser an, sich besser auf das Wochenende vorbereitet zu haben", sagt Lawson, der in Zandvoort erst am Donnerstag aus Japan gekommen war, ohne zu wissen, ob er überhaupt gebraucht werden würde.
Vor Monza konnte er zumindest im Simulator sitzen und auch ein wenig mehr Zeit mit seinem Team und vor allem mit den Ingenieuren verbringen. "Das hilft definitiv, wenn wir in das Wochenende gehen."
Denn bereit fühlte er sich in den Niederlanden für sein Formel-1-Debüt nicht, und dementsprechend nervös war er davor - vor allem vor dem Qualifying. "Ich hatte ja keine andere Wahl. Ich musste das Auto fahren."
Vor dem Rennen sei er hingegen nicht so nervös gewesen, was aber vor allem an der Tatsache lag, dass so viel los war, dass er gar nicht genügend Zeit hatte, um an seine Nerven zu denken.
Debüt unter schwierigen Bedingungen
Das Rennen selbst schmiss ihm dann wirklich alles entgegen, was man bei einem Formel-1-Debüt so erleben kann: ein trockener Start, ein Wechsel auf Intermediates nach einer Runde, eine abtrocknende Strecke, wieder ein Regenschauer, eine rote Flagge und ein siebenründiger Sprint in der Schlussphase.
Die Bedingungen waren für ihn dabei eine große Herausforderung: "Du musste mit diesem schnellen Auto so viel Vertrauen haben, und das in diesen Bedingungen zu bekommen, war in der kurzen Zeit wohl das schwierigste", sagt er. "In gewisser Weise spielst du es vor, bis du es hast. Und das kam, um ehrlich zu sein, erst gegen Rennhalbzeit."
Analyse Rennen: Regenchaos in Zandvoort!
Warum hat Alonso im packenden Finish gegen Verstappen nicht alles riskiert? Eine von vielen Fragen nach dem irren Chaos-Grand-Prix der Niederlande. Weitere Formel-1-Videos
Der schwierigste Einzelmoment sollte kurze Zeit später folgen, als es nach rund 60 Runden wieder anfing zu regnen - und zwar richtig. Viele Fahrer wurden kalt erwischt, und nach dem Unfall von Guanyu Zhou wurde das Rennen erst einmal unterbrochen. "Überall sind Autos abgeflogen, und es war einfach extrem schwierig, das Auto nicht selbst wegzuwerfen", sagt Lawson.
Doch ihm gelang es, das Auto auf der Strecke zu halten und sein Hauptziel zu erreichen: die 72 Runden zu absolvieren.
So konnte Lawson eine Menge lernen und auf Speed kommen, was ihm für die nahe Zukunft helfen sollte. In Monza möchte der Neuseeländer auf dem ersten Wochenende aufbauen und in sein erstes Wochenende mit echter Vorbereitung starten. "Normalerweise möchtest du ein, zwei Wochen haben, um dich einzustimmen, aber wir hatten nur zwölf Stunden oder so."
Hilft die Erfahrung aus DTM, F2 und Super Formula?
Dabei hat Lawson in seiner Karriere bewiesen, dass er schnell mit neuen Situationen zurechtkommen kann. Ein beeindruckender Fakt in seiner Karriere ist nämlich, dass er sein jeweils erstes Rennen in der Formel 2, der DTM und der Super Formula immer gewinnen konnte.
Das ist ihm in der Formel 1 mit AlphaTauri natürlich nicht gelungen, doch zumindest war die große Bandbreite an Vorerfahrung eine Hilfe, auch wenn er das für die einzelnen Serien nicht überbewerten möchte.
"Es ist nicht so, dass die DTM dir jetzt speziell für die Formel 1 hilft, oder dass die Formel 2 speziell hilft", sagt er. "Aber dass ich diese ganze Vielfalt habe, hat mir dabei geholfen, mich schnell an Dinge anzupassen, was in Zandvoort natürlich die größte Herausforderung war."
Allerdings muss er sagen, dass ihn die japanische Super Formula, in der er derzeit fährt und vor dem letzten Wochenende auf Position zwei liegt, besser auf die Formel 1 vorbreitet habe als die eigentliche Nachwuchsserie Formel 2.
"Das Auto ist deutlich näher an der Formel 1, und es hilft, dass das Reglement deutlich offener ist", meint Lawson. "Man hat innerhalb der Teams deutlich mehr Entwicklung und lernt als Fahrer deutlich mehr, wie das Auto und das Set-up funktioniert - und das ist für die Formel 1 sehr wichtig. Davon haben wir in der Formel 2 nicht genug bekommen."
Welche Rolle Supercar-Ass Shane van Gisbergen spielt
Wer bislang eine wichtige Rolle in Lawsons Karriere gespielt hat, ist Shane van Gisbergen. Wer ihn nicht kennt: Van Gisbergen ist ebenfalls Neuseeländer, 34 Jahre alt, und vor allem durch die australische Supercars-Meisterschaft bekannt, die er dreimal gewinnen konnte.
Er hat aber auch schon einen NASCAR-Sieg auf dem Konto (bei seinem Debüt) und Einsätze in der Rallye-WM, den 24 Stunden von Le Mans oder GT-Serien vorzuweisen. "Egal ob Matsch oder Asphalt, ob Autos oder Motorräder - er macht alles", sagt Lawson. "Und er ist extrem gut, sich an verschiedene Dinge anzupassen."
Er habe Lawson in seiner Karriere bislang geholfen und unterstützt, wie dieser sagt: "Ich hatte das Glück, ihm in jungen Jahren zu begegnen. Und für Neuseeländer ist es ziemlich schwierig, irgendwo an die Spitze zu kommen, von daher bleiben wir alle in Kontakt und sprechen miteinander. Es ist ziemlich cool, solche Beziehungen zu haben."
Seit seinem Debüt hat Lawson aber noch nicht mit ihm gesprochen, dafür aber mit Daniel Ricciardo, dessen verletzungsbedingter Ausfall Lawsons Debüt erst ermöglicht hat. "Er war immer noch an der Strecke, und Daniel, der ein großartiger Fahrer ist, war extrem hilfsbereit und bot jede Hilfe an, die er geben konnte", lobt er.
"Das ist natürlich nicht die Art, wie ich in die Formel 1 kommen wollte. So etwas möchte man nicht sehen, vor allem nicht bei jemandem wie Daniel. Aber man bekommt nur einen Versuch, und der kommt eben jetzt."
Lawson fühlt sich nicht übergangen
Ricciardo hatte das Cockpit bei AlphaTauri selbst erst zwei Rennen zuvor bekommen. Der Australier ersetzte den glücklosen Nyck de Vries, dessen Formel-1-Karriere nach zehn Rennen vorerst schon wieder beendet ist. Viele waren aber der Ansicht, dass man Lawson die Chance im Juniorteam hätte geben sollen statt dem schon in die Jahre gekommenen Australier.
Freitag: Ricciardo verpasst GP, Verstappen rastet aus!
Verstappen hat Hülkenberg im zweiten Training in Zandvoort übel beschimpft. Und Ricciardo muss das Rennen verletzungsbedingt auslassen. Weitere Formel-1-Videos
Er selbst hat aber nicht das Gefühl, dass er dabei übergangen wurde: "Nein, ich bin ja immer noch in meiner eigenen Saison", winkt er ab. "In dieser Situation machte es also mehr Sinn, sich für Daniel zu entscheiden, für jemanden, der so viel Erfahrung hat wie er, im Vergleich zu jemandem, der noch nie in der Formel 1 gefahren ist."
"Das Einzige, was mich interessiert, sind meine Chancen auf eine Zukunft in der Formel 1, und das war meine erste Frage. Und darauf habe ich mich im Grunde genommen konzentriert", sagt der 21-Jährige.
Kann er sich für 2024 empfehlen?
Mit seinen Einsätzen kann er sich jetzt für ein Stammcockpit 2024 empfehlen, denn bei Red Bull scheint die Situation abgesehen von Max Verstappen noch vollkommen offen zu sein. Sergio Perez besitzt zwar einen Vertrag für das kommende Jahr, doch eine mögliche Ablösung ist trotzdem immer wieder ein Thema.
Sollte der Mexikaner gehen müssen, dann wäre Ricciardo wieder ein Kandidat, der ein Cockpit bei AlphaTauri freimachen würde. Aber vielleicht ist das Cockpit dort auch ohnehin frei, weil man den Routinier nicht ein ganzes Jahr im Juniorteam parken möchte - und weil er das vielleicht auch selbst nicht möchte. Und auch Yuki Tsunoda ist nicht fest im Sattel.
Doch Ricciardo hat mit dem Ausfall aktuell keine Chance, sich zu empfehlen. Die hat aber dafür Lawson, der weiß, dass jetzt der Zeitpunkt ist, an dem er liefern muss. "Wie gesagt, du bekommst nur eine Möglichkeit, von daher verstehe ich die Wichtigkeit", sagt er.
"Aber ich versuche mich noch nicht für das kommende Jahr in Stellung zu bringen. So weit schaue ich noch nicht. Aktuell liegt der Fokus auf diesem Wochenende und wie wichtig das ist. Aber das war's dann auch schon, um ehrlich zu sein."