Lando Norris: "Zwei Runden, dann fährt Max auf und davon"
McLaren wäre in einer WM ab Spielberg Zweiter vor Mercedes und Ferrari, trotzdem zeigt das Qualifying in Zandvoort für Lando Norris auch Grenzen auf
(Motorsport-Total.com) - Lando Norris lag nach dem ersten Run im Q3 zum Grand Prix der Niederlande 2023 in Zandvoort sogar noch auf Polekurs und sicherte sich letztendlich den zweiten Platz in der Startaufstellung. Trotzdem sieht er unter normalen Umständen keine Chance, das Rennen gegen Polesetter Max Verstappen zu gewinnen. (ANZEIGE: Sky überträgt das Rennen live. Jetzt WOW holen und ohne Receiver sofort streamen!)
"Ich werde vielleicht zwei Runden an ihm dran sein, dann fährt Max auf und davon", befürchtet der McLaren-Pilot. "Ich denke, die Reifen bauen auf dieser Strecke stark ab, was nicht unsere Stärke ist, und wir haben in manchen Kurven noch ziemliche Probleme." Das bestätigt übrigens auch die GPS-Analyse, die Vorteile für Red Bull insbesondere in langgezogenen Kurven ausweist.
Aber: "Wir haben das Auto seit Freitag verbessert, insofern bin ich etwas besserer Dinge. Ich werde sicher nicht sagen, dass ich es nicht versuchen werde. Aber Max ist einfach auf einem anderen Niveau als alle anderen, wenn es um den Rennsonntag geht, was Reifenabbau und Rennpace betrifft. Also: Ja, es gibt Chancen. Aber es wird schwierig."
Dabei roch es im Qualifying kurzzeitig sogar nach einer Sensation. Nach dem ersten Run in Q3 lagen beide McLaren-Piloten provisorisch in der ersten Startreihe, und Verstappen stand vor seiner letzten Runde unter Druck. Dann passierte dem Lokalmatador in Kurve 1 auch noch ein kleiner Fahrfehler. Norris hatte bei den Zwischenzeiten bis zu 0,185 Sekunden Vorsprung.
Hinten raus war dann gegen Verstappen kein Kraut gewachsen. Ab Ausgang Kurve 1 fuhr Verstappen 0,722 Sekunden auf Norris heraus, ab Kurve 7 lag er im direkten Vergleich in Führung. Was den Verdacht nahelegt, dass Norris seinen Reifen zu früh zu stark beansprucht haben könnte, sodass deren Peak vorbei war, als es ins Finale der Runde ging.
Aber: "Die erste Hälfte der Runde war mega. Die zweite Hälfte war wahrscheinlich eine der schlechtesten zweiten Hälften, die ich je gefahren bin." Auf Nachfrage, ob die Reifen ihren Peak überschritten hatten, verneint er: "Nein, sondern der Fahrer. Die Reifen waren gut bis zum Schluss."
Wo der Kampf um die Pole verloren ging
Nach den ersten Minisektoren witterte kurzzeitig auch der McLaren-Kommandostand eine Sensation. Teamchef Andrea Stella gibt zu: "Nach dem ersten Sektor waren wir ganz aufgeregt. Wir konnten anhand der Telemetriedaten sehen, dass er deutlich schneller war als auf der Runde davor. Aber dann flachte das Delta ab."
Endgültig entschieden war der Kampf um die Poleposition dann in Kurve 10, wo Norris ein marginaler Schaltfehler unterlief, als er direkt vom dritten in den fünften Gang wechselte. Dabei fiel ihm die Motordrehzahl in den Keller: Während Verstappen mit 11.200 Umdrehungen pro Minute beschleunigen konnte, waren es bei Norris nur 9.600.
Klar ist aber auch: Selbst wenn Norris eine für seine Verhältnisse optimale Runde hinbekommen hätte, hätten am Ende zwei bis drei Zehntelsekunden gefehlt. "Er wäre so oder so Zweiter geworden", analysiert Stella. "Der Abstand zu Max war zu groß, selbst mit einer perfekten Runde. Wir müssen einfach akzeptieren, dass wir noch ein Defizit im Auto haben."
Norris seufzt: "Man hofft immer wieder, dass Max irgendwann mal ein Fehler passiert. Aber dem ist nicht so. Nach sechs, sieben Kurven war ich um eine Sekunde schneller als in der Runde davor. Da hoffst du schon, dass was geht. Aber alle anderen haben auch zugelegt, und so toll die erste Hälfte der Runde war - die zweite Hälfte war fürchterlich."
Warum ist McLaren in den schnellen Kurven so langsam?
Auffällig: Norris war im Qualifying ausgerechnet in den langsamen Ecken tendenziell schneller als Verstappen, verlor dafür aber in den schnelleren Kurven. Das hätte man nach dem bisherigen Saisonverlauf eigentlich genau andersrum erwartet, war McLaren doch bisher auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke in Silverstone am konkurrenzfähigsten.
"Stimmt", sagt Stella, "dass wir in Kurve 1 nicht am schnellsten sind. Ferrari ist da schneller als wir, und Verstappen auch. In den Kurven danach sind wir konkurrenzfähig. Kurve 7 ist schwierig. Erstens kommt es dort auf Anpressdruck an, und zweitens ist entscheidend, ob du am Boden streifst oder nicht. Und sie ist sehr langgezogen."
"Unsere Fahrer sagen, wenn du mit dem Lenkrad so lang arbeiten musst, dass du in die Phase kommst, in der es eine klare Kurvenmitte gibt, dann ist das genau eine Schwäche von uns", verrät Stella. "Selbst in schnellen Kurven, in denen wir an und für sich ganz gut sind, verlieren wir also Zeit, wenn es wirklich langgezogene Kurven sind."
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Kurve 7 werde man nach dem Rennwochenende "genau studieren, denn wir hätten eigentlich damit gerechnet, dort konkurrenzfähiger zu sein. Wenn ich mir die GPS-Overlays anschaue, dann sind andere Autos dort schneller als wir. Ich denke, wir haben eine Idee davon, warum das so ist. Aber vielleicht verstehen wir noch nicht alles."
Neuer Heckflügel kam nicht zum Einsatz
Auffällig auch: McLaren fuhr am Samstag mit einem anderen Heckflügel als am Freitag. Stella erklärt: "Den Flügel, den wir am Freitag getestet haben, wollten wir einsetzen, falls es komplett trocken geblieben wäre. Damit kannst du weniger Anpressdruck fahren und somit weniger Luftwiderstand generieren, was der Gesamteffizienz geholfen hätte."
"Aber bei den regnerischen Bedingungen im Qualifying dachten wir, dass es besser wäre, so viel Anpressdruck wie möglich ans Auto zu packen. Trotzdem: Die Daten, die wir am Freitag mit dem neuen Flügel gesammelt haben, waren positiv. Wir werden ihn in den nächsten Rennen sicher einsetzen. Aber nicht in Monza!"
Das hat allerdings nichts mit der Qualität des Heckflügels zu tun. Sondern Monza ist, anders als Zandvoort, eine klassische Low-Downforce-Strecke. Dort stellen alle ihre Flügel so flach wie möglich ein, um auf den langen Geraden schnell zu sein. Viele Teams bringen sogar eigene Low-Downforce-Pakete zum Grand Prix von Italien.
McLaren: Platz 2 in der "Seit-Spielberg-WM"
Für McLaren hält der Aufwärtstrend jedenfalls an. In den ersten acht Saisonrennen gelangen dem britischen Team nur drei Punkteresultate: zwölf (glückliche) Zähler in Melbourne, zwei in Baku, drei in Monte Carlo.
Seit dem Spielberg-Update hat McLaren an vier Wochenenden durchschnittlich 21,5 Zähler angeschrieben. Oder, anders formuliert: Hätte die Formel-1-WM 2023 erst in Spielberg begonnen, würde zwar Red Bull mit 182 Punkten überlegen führen. Doch McLaren war seither mit 86 Punkten das zweitbeste Team, vor Mercedes (80), Ferrari (69) und Aston Martin (42).
"Seit Silverstone sind wir uns ziemlich sicher, dass wir wirklich besser sind", beteuert Norris. "Sogar schon nach Österreich hatten wir ein gutes Gefühl, einen Schritt gemacht zu haben. Danach schafften wir dann zwei Podestplätze, hatten ein schwieriges Spa, wurden dort aber trotzdem Siebter. Zandvoort ist eine Strecke, die uns besser liegen sollte, und das konnten wir auch beweisen."
"Leider muss ich vom zweiten Startplatz immer noch mehr nach hinten schauen als nach vorn, aber wir sehen das trotzdem positiv. Als wir den ersten Teil des Upgrades in Österreich eingeführt haben, hätten wir sowieso nie und nimmer damit gerechnet, Red Bull herausfordern zu können. Sondern wir sind immer noch angenehm überrascht darüber, so konkurrenzfähig zu sein", sagt er.
Woran das liegt, ist für Norris klar: "Es ist eine Mischung. Wir haben sicher einen Schritt nach vorn gemacht. Aston, würde ich sagen, eher einen Schritt nach hinten. Und Ferrari sieht einfach nicht mehr so stark aus wie vergangenes Jahr oder am Beginn der Saison. Und das Gute ist: Wir haben noch ein bisschen was im Köcher."