Wie sich McLaren gegen den Vorwurf der Stallregie für Norris wehrt
Formel-1-Team McLaren wehrt sich gegen den Vorwurf, es könnte beim Rennen in Ungarn eine versteckte Stallregie zugunsten von Lando Norris angewendet haben
(Motorsport-Total.com) - Runde 17 im Ungarn-Grand-Prix 2023 auf dem Hungaroring: McLaren holt mit Lando Norris das schlechter platzierte Auto zuerst zum Boxenstopp herein. Und das hat Folgen, denn nachdem auch Oscar Piastri beim Reifenwechsel war, findet er sich plötzlich hinter dem Teamkollegen wieder. Hat McLaren hier also eine versteckte Stallregie zugunsten von Norris angewendet?
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Lando Norris und Oscar Piastri beim McLaren-Teamfoto nach dem Rennen in Ungarn Zoom Download
Das verneint McLaren-Boss Zak Brown bei 'Sky' England entschieden und meint: "Es ging rein um die beste Strategie für das Team, basierend auf dem, was wir dachten, dass Lewis [Hamilton] tun würde."
Und von Hamilton ging zu diesem Zeitpunkt eine akute Gefahr aus: Er war kurz zuvor im DRS-Fenster hinter Norris aufgetaucht und hatte in Runde 16 seinen Stopp eingelegt. Das setzte McLaren unter Druck, ebenfalls zum Reifenwechsel abzubiegen. Die einzige Frage war nur: Mit welchem Auto zuerst?
Warum McLaren zuerst Norris reingeholt hat
Diese Frage beantwortet McLaren-Teamchef Andrea Stella so: "Man nutzt einfach die natürliche Sequenz und covert mit dem Auto, das mehr dem Risiko ausgesetzt ist, erst danach mit dem anderen." Sprich: Weil Norris das hintere Fahrzeug war und damit mehr Gefahr lief, von Hamilton per Undercut überholt zu werden, holte McLaren Norris als Ersten herein.
Doch das allein hat nicht den Ausschlag gegeben, meint Stella, zumal Piastri in Runde 18 bei seinem Boxenstopp sogar 0,370 Sekunden weniger Zeit in der Boxengasse verbracht hat als Norris in Runde 17. Entscheidend sei aber vielmehr Norris' "unheimlich schnelle" Out-Lap gewesen, erklärt Stella. "Das hat dann dazu geführt, dass Oscar die Position verloren hat."
Auch er betont, es sei nie darum gegangen, einen Fahrer zu bevor- und den anderen zu benachteiligen: "Bei solchen Entscheidungen stellen wir das Team an erste Stelle. Wir denken als ein Team. Und erst in zweiter Instanz gehen wir dann die interne Situation an."
"Wenn man es mit anderen Gegnern außerhalb des Teams zu tun hat, dann muss man schon sehr vorsichtig sein, dass man sich nicht in ein internes Duell verzettelt, das dem gesamten Team schaden könnte. Das wollen wir vermeiden", sagt Stella, und deshalb habe Norris den Vorzug erhalten.
Wie Piastri auf die Reihenfolge beim Boxenstopp reagiert
Piastri beschäftigt all das nicht weiter. Man habe ihm die Szene "bisher nicht" erklärt, sagte er unmittelbar nach dem Rennen in Ungarn. "Ich schätze, der Undercut fiel deutlich größer aus als erwartet."
Es sei aus seiner Sicht "natürlich nicht ideal" gewesen, hinter Norris zurück auf die Strecke zu kommen. "Unterm Strich aber hat das mein Rennen nicht verändert", meint Piastri. "Ich bin 30 Sekunden nach ihm ins Ziel gefahren, also hat das keinen großen Unterschied gemacht. Ich hatte einfach nicht die Pace, um mit Lando mitzuhalten oder ihn gar zu attackieren."
Welchen Schaden Piastri am Auto hatte und warum
Aber warum ist Piastri nach dem ersten Stint nicht mehr mitgekommen mit dem McLaren-Schwesterauto? Teamboss Brown verweist auf "ein bisschen" Schaden am MCL60 von Piastri, was schlussendlich auch dazu geführt habe, dass Hamilton noch vorbeigekommen sei.
Teamchef Stella bestätigt das und meint, Piastri sei zu hart über die Randsteine gefahren, weshalb der Unterboden des Fahrzeugs gelitten habe. "Es ging um Abtrieb auf der Hinterachse, die Leistung ging etwas zurück und der Reifenverschleiß fiel etwas größer aus", erklärt er. "Das war ein Grund, weshalb es Oscar nicht gelungen ist, an Lando dranzubleiben, und es hat dazu beigetragen, dass andere Autos aufgeholt haben."
Bleibt die Frage, wie der Schaden entstanden ist. Vielleicht in der Szene in Runde 49, in der Red-Bull-Fahrer Sergio Perez überholte und Piastri im Positionskampf in Kurve 2 rechts außen von der Strecke rutschte? "Nicht notwendigerweise", sagt Stella. Man habe aber anhand der Unterboden-Sensoren erkannt, dass die Aerodynamik gestört sei.
Reifenverschleiß war ein "Killer" für Piastri in Ungarn
Vor allem der erhöhte Reifenverschleiß aber habe Piastri gekostet, meint Stella. Piastri selbst bezeichnet den Verschleiß als einen "echten Killer" für sein Rennen in Ungarn und sagt: "Ich schätze, das war der Schlüssel zum Erfolg in diesem Rennen. Ich hatte mir das Leben im ersten Stint einfach gemacht [mit dem guten Start und P2], aber ausgehend davon ging es dahin."
"Der erste Stint war gut, der zweite und der dritte waren ziemlich durchschnittlich. Es hat mir einfach viel an Pace gefehlt und ich hatte Schwierigkeiten mit den Reifen", erklärt Piastri. "Deshalb bin ich zufrieden mit P5, weil zwischendurch sah es mal so aus, als würde ich noch weiter zurückfallen."
Und es war knapp beim Zieleinlauf: Piastri kam mit einem Polster von nur 3,253 Sekunden auf Mercedes-Fahrer George Russell über die Linie.
Welche Hausaufgaben Piastri aus Ungarn mitnimmt
"Das müssen wir uns anschauen", meint Piastri. "Es ist eines der ersten Rennen, in dem ich so viel Reifenverschleiß hatte, mit mehreren Boxenstopps und dergleichen. Da gibt es also einiges zu lernen."
"Das Auto kann mehr. Lando hat gezeigt, dass wir selbst bei großer Hitze vorne dabeibleiben können. Ich muss also sehen, was ich besser machen kann, um die Reifen besser zu schonen. Leider lernt man sowas nicht im Training oder beim Testen. Du musst es auf die harte Tour lernen in den Rennen. Und natürlich will ich mich so schnell wie möglich steigern, denn es warten Pokale auf uns, wenn wir alles richtig machen."
Denn das sind die gestiegenen Ansprüche von McLaren seit dem großen Österreich-Update. Ohne die technischen Neuerungen wäre McLaren in Ungarn nicht zweite Kraft gewesen hinter Red Bull, meint Piastri: "Mit dem alten Auto wären wir wahrscheinlich mit einer Runde Rückstand ins Ziel gekommen. Von daher war es ein wirklich positives Wochenende für das Team."