Mercedes: Was die Trainingsbestzeit in Kanada wert ist

Wie viel Bedeutung das Formel-1-Team von Mercedes der Bestzeit von Lewis Hamilton im Freitagstraining in Kanada beimisst und was Hamilton an seinem Team kritisiert

von Stefan Ehlen · 17.06.2023 01:51

(Motorsport-Total.com) - Mercedes steht vorne nach dem Trainingsauftakt zum Grand Prix von Kanada 2023 in Montreal (alle Einheiten hier im Formel-1-Liveticker verfolgen!). Aber was sind die Plätze eins und zwei durch Lewis Hamilton und George Russell und die Bestzeit von 1:13.718 Minuten auf Soft eigentlich wert?

Lewis Hamilton im Mercedes W14 im Freitagstraining der Formel 1 in Kanada 2023

Das war nach dem Freitagstraining die häufigste Frage an die Mercedes-Protagonisten. Und James Allison als Technischer Leiter des Rennstalls meint im Gespräch mit 'Sky' England: "Es ist natürlich schöner, vorne zu stehen. Ich glaube aber, wir dürfen da nicht zu viel reinlesen."

Denn Mercedes sei im Freien Training auf dem Circuit Gilles Villeneuve anders vorgegangen als die Konkurrenz. "Wir hatten gedacht, der Regen würde etwas eher eintreffen und sind deshalb gleich schon zu Beginn der Einheit auf Longruns gegangen, haben unsere schnellen Runden am Ende eingelegt."

Mercedes' Vorteil: Die späten schnellen Runden

Dieser Einschätzung schließt sich Mercedes-Fahrer Russell an. Auch er "glaubt nicht, dass man zu viel aus den Zeiten herauslesen kann", weil sein Team die "schnellen Runden mit wenig Sprit am Ende" absolviert habe.

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Dabei fand Mercedes ideale Bedingungen vor und erzielte mit Hamilton 1:13.718 Minuten auf Soft. Russell war mit 1:13.745 Minuten nur minimal langsamer, aber ebenfalls noch knapp ein Zehntel besser als Carlos Sainz im Ferrari als bester Mercedes-Verfolger. Weltmeister Max Verstappen im Red Bull lag als Sechster bereits über vier Zehntelsekunden zurück. (Hier das komplette Ergebnis abrufen!)


Wie Russell gegen Hamilton in Rückstand geriet

Doch so ähnlich die Rundenzeiten der Mercedes-Fahrer waren, so unterschiedlich kamen sie zustande: Russell etwa schaltete in Kurve 2 in den dritten Gang und damit tiefer als Hamilton, was zunächst ein kleiner Vorteil war. Bis Kurve 7 aber lag Hamilton um zwei Zehntel vorne.

In den Schikanen machte Russell mit höherem Eingangstempo seinen Rückstand auf den Teamkollegen jeweils wett, verlor jedoch beim Rausbeschleunigen den ganzen Vorteil wieder. Vielleicht auch, weil er etwas später am Gas war.

Vor der Schlusskurve führte Russell dennoch um ein halbes Zehntel, wobei dieses Mal Hamilton den tieferen Gang wählte und beim Beschleunigen ausgangs der Schikane noch an Russell vorbeizog um 0,027 Sekunden.

Hamiltons Fazit zur Bestzeit in Kanada

Was Hamilton dazu sagt? Für den siebenmaligen Formel-1-Weltmeister ist das Ergebnis "okay". Er meint weiter, es sei "nicht das beste [Resultat], aber auch sicher nicht das schlechteste. Es fühlt sich ziemlich ordentlich an", so Hamilton.

Gleichwohl habe Mercedes mit dem W14 in Montreal "definitiv noch zu tun", erklärt er. Konkret stört sich Hamilton vor allem an den Bodenwellen der Strecke und schlägt eine Änderung der Abstimmung vor: "Wir müssen einfach unsere Fahrwerkshöhe im Auge behalten und die Balance in einer Kurve anpassen, dann sollte es passen."

Im Vergleich zum Vorjahr, als Mercedes mit dem W13 in Kanada unterwegs war und mit dem Porpoising-Phänomen zu kämpfen hatte, sei sein Gefühl aber schon "deutlich besser", versichert Hamilton. Der aktuelle W14 sei "ein Schritt nach vorne", zumal mit den in Monaco eingeführten Updates. "Die kann ich definitiv spüren", sagt Hamilton.

Russell setzt auch in Kanada auf den Sonntag

Auch Russell wirkt zuversichtlich, was die jüngsten Modifizierungen am Auto betrifft. "Die dürften uns dabei helfen, die Schwächen des Autos auszumerzen. Wir müssen aber noch herausfinden, wo wir damit stehen", so der Mercedes-Fahrer.

Das Trainingsergebnis sei eher nicht repräsentativ für das wahre Leistungsvermögen seines Teams: "Ich schätze, wir sind immer noch hinten dran, vor allem im Qualifying und im Vergleich zu Ferrari und Aston Martin. Selbst Valtteri [Bottas] sah schnell aus, vielleicht Alpine [ebenfalls]. Aber wir wissen: Sonntags pendelt es in unsere Richtung, und auf den Sonntag kommt es an."

Laut Allison hat Mercedes aber noch nicht alles gezeigt. "Lewis wurde in den letzten Kurven aufgehalten [und] George meldete am Funk, es habe sich nicht wie eine sehr gute Runde angefühlt. Da ist also noch mehr drin und wir können sicherlich noch etwas verbessern am Auto, bevor wir ins Qualifying gehen."

Was Hamilton an seinem Mercedes-Team kritisiert

Wenn sich etwas aus den Trainingsresultaten herauslesen lasse, dann, dass der Mercedes W14 "ordentlich in Form" zu sein scheine, so Allison weiter. "Aber: Die Positionen eins und zwei verdienen wir nicht, weil wir nicht zur gleichen Zeit gefahren sind [wie die anderen Teams]."

Hamilton indes ist "froh, dass wir überhaupt fahren konnten" nach den technischen Problemen, die den Fahrbetrieb im ersten Freien Training weitgehend verhindert hatten. "Keine Ahnung, was da mit den Überwachungskameras passiert ist, aber egal", sagt Hamilton. Das verlängerte zweite Training sei aus seiner Sicht "gut" verlaufen.

Einen Kritikpunkt aber hat der Ex-Champion: "Wir hatten schon seit langer Zeit keine so lange Einheit mehr, und ich hatte deshalb das Gefühl, wir haben die Zeit nicht optimal genutzt. Das werden wir uns nochmal anschauen. Ich wollte nämlich einfach loslegen und die Zeit maximal nutzen." Umso mehr, weil er den Kurs in Montreal "liebe", so Hamilton. "Die Strecke ist klasse."

"Schräger Fan" stört Russell in der Boxengasse

Weniger prickelnd empfand sein Teamkollege Russell eine Szene in der Boxengasse, als ihm ein "schräger Fan den Finger gezeigt" habe "oder so", gerade als er sich auf das Losfahren vorbereitet habe. "Ich muss mir das Video dazu nochmal ansehen und schauen, ob das untersucht werden muss", meint Russell.

Sollte es im Qualifying Mischwetter geben, so schließt er mit Blick auf die Ereignisse des Vorjahres eine Risikostrategie für sich aus: "Vergangenes Jahr habe ich was probiert und bin mit Slicks raus, als es noch nass war. Dann bin ich in der Wand gelandet. Dieses Mal überlege ich mir das zweimal, denn wir wollen natürlich gute Ergebnisse erzielen."