Sainz-Ausraster am Funk: Wieder Ärger über Ferrari-Strategie
Weshalb sich Carlos Sainz beim Formel-1-Rennen in Monaco lautstark über die Ferrari-Strategie beschwert hat und was Teamchef Frederic Vasseur dazu sagt
(Motorsport-Total.com) - "Lasst mich eine Weile in Ruhe", funkt Ferrari-Fahrer Carlos Sainz nach einer Dreiviertelstunde im Formel-1-Rennen in Monaco an die Box. Sein Renningenieur Riccardo Adami bestätigt, aber schon kurz darauf ruft er Sainz zum ersten Boxenstopp herein. Und dann platzt dem Formel-1-Fahrer im Cockpit der Kragen.
© Motorsport Images
Carlos Sainz mit beschädigtem Frontflügel am Ferrari SF-23 im Formel-1-Rennen in Monaco 2023 Zoom Download
Unmittelbar nach dem Reifenwechsel in Runde 33 funkt Sainz erneut, dieses Mal aber mit scharfem Ton. Und er sagt: "Was? Scheiße! Das ist genau, was ich gesagt habe! Genau, was ich gesagt habe!"
Denn er ist, wie vor dem Boxenstopp, zwischen Esteban Ocon im Alpine und Lewis Hamilton im Mercedes zurück auf die Strecke gelangt. Eben das hatte er unbedingt vermeiden wollen.
Adami versucht Sainz noch zu beschwichtigen und meint: "Das Ziel war, Hamilton abzudecken." Aber Sainz faucht zurück: "Hamilton ist mir egal! Ich war verdammt nochmal sauschnell unterwegs!"
Verstappen siegt: Hat's Alonso selbst verbockt?
Dass Alonso und Aston mit dem Reifenwechsel ins Klo gegriffen haben, steht fest. Aber war das die Rennentscheidung in Monte Carlo 2023? Weitere Formel-1-Videos
Gedanklich hatte er sich darauf eingestellt, einen Overcut gegen Ocon zu fahren. "Ich hatte mir die harten Reifen gut eingeteilt", sagt Sainz. "Esteban schien dann einen langsamen Stopp zu haben, und ich flog regelrecht in meiner Runde an die Box. Angesichts dieser Pace hätten wir vielleicht etwas mehr Geduld beweisen sollen." Sainz wollte den Stopp also noch hinauszögern, Ferrari aber handelte anders.
Teamchef Vasseur zeigt Verständnis für Sainz
Teamchef Frederic Vasseur kann daher verstehen, dass Sainz nicht begeistert war. Im Gespräch mit 'Sky' meint er: "Carlos war etwas frustriert. Er hing hinter Ocon und sah, wie Alonso und Verstappen wegfuhren. Er hatte wahrscheinlich eine bessere Pace und war frustriert."
Denn die ganze Situation hatte ein Vorspiel: Seit Runde 21 hatte Sainz wiederholt am Funk für einen Undercut gegen Ocon geworben. Tatsächlich rief Ferrari seinen Fahrer dann ebenso wiederholt an die Box, nur um das Kommando dann jeweils kurzfristig zurückzunehmen und schließlich den Overcut zu starten, der nicht aufging.
"Über diesen ersten Stopp kann man streiten", sagt Sainz, nun etwas gefasster. "Ich muss mir das nochmal anschauen, weil meine Runde in die Box sehr schnell war. Ich hatte den Eindruck, bei freier Fahrt wäre da noch einiges mehr drin. Ich hatte meine Reifen geschont. Dann musste ich plötzlich an die Box, das hat mich geärgert. Aber ich hätte meinem Ärger nicht am Funk Luft machen sollen."
Da war schon was in der Hafenschikane mit Ocon ...
Zu diesem Zeitpunkt im Rennen dürfte sich aber bereits einiges angestaut haben bei Sainz. Denn schon vor dem Boxenstopp und den ersten Funksprüchen davor hatte er sich in Runde zwölf bei einer Kollision mit Ocon vor der Hafenschikane den Frontflügel an seinem Ferrari SF-23 beschädigt.
Fotostrecke: Formel 1 2023 in Monaco: Das Wichtigste zum Sonntag
Die wichtigsten Fakten zum Formel-1-Sonntag in Monaco: Wer schnell war, wer nicht und wer überrascht hat - alle Infos dazu in dieser Fotostrecke! Fotostrecke
Eigentlich sei "nichts passiert" in dieser Szene, meint Sainz. Es habe nur eine "kleine Berührung" gegeben. Diese reichte aber aus, um die linke Endplatte am Ferrari-Frontflügel so zu demolieren, dass sie wenig später komplett abfiel. Ferrari nahm aber Abstand von einem Notstopp und Sainz fuhr weiter.
"Das Auto war in Ordnung", versichert Sainz. Er habe nur etwas mehr Untersteuern gehabt, weil der Frontflügel nicht mehr intakt war. "Aber ich war okay damit. Und meine Runde in die Box [vor dem Stopp in Runde 33] war sehr schnell, das Auto hatte also immer noch Leistung."
Für die Berührung macht Sainz weder sich noch Ocon einen echten Vorwurf. Der Alpine vor ihm sei eher mittig gefahren bei der Anfahrt zur Schikane. "Mit diesen Autos ist dann kein Platz mehr, [zumindest] rechts war keiner mehr", sagt Sainz. "Er hat früh gebremst vor der Schikane, also probierte ich etwas. Ich hatte eine gute Pace und wollte es versuchen", so erklärt Sainz. Er scheiterte auf der Außenbahn.
Sainz fliegt ab im Nassen und verliert Plätze
Das "bisschen Glück" über die fast folgenlose Berührung aber wandelte sich bei einsetzendem Regen in noch mehr Frust bei Sainz, als er sich in Runde 54 bei Mirabeau von der Strecke drehte und einige Positionen einbüßte. Entscheidend dabei: Er fiel hinter seinen Ferrari-Teamkollegen Charles Leclerc zurück.
Und warum das Ganze? "Mir ging das Heck weg, als ich bremste", sagt Sainz. Er habe es noch geschafft, das Auto in einen Dreher zu zwingen und einen Einschlag zu vermeiden. "Es hat mich Zeit gekostet, aber ich habe es noch gerettet", so formuliert es der Ferrari-Fahrer.
Sainz verteidigt sich weiter: "Heute hat sich praktisch jeder mal gedreht, glaube ich. Jeder war mal an den Leitplanken dran. Es war ein Glücksspiel unter diesen Bedingungen. Die Reifen waren da ehrlich gesagt eine Katastrophe. Sowohl mit Intermediates als auch mit Trockenreifen kämpften wir [im Nassen] nur ums Überleben."
Sainz hatte noch eine offene Rechnung mit Ocon
Obwohl Sainz damit raus war aus dem Kampf um den dritten Platz, hatte er noch immer nur Ocon als Gegner im Sinn: "Ich wollte etwas anders machen als er. Da war wahrscheinlich noch etwas Frust vom ersten Stopp im Spiel", sagt Sainz.
Ocon hatte bereits in Runde 54 gestoppt und Intermediates geholt. "Ich bin eine Runde länger draußen geblieben, aber dann war es zu nass für Trockenreifen und ich verlor viel Zeit." Umso mehr, weil er sich beim Reifenwechsel hinter Teamkollege Leclerc anstellen musste, denn Ferrari holte beide Autos direkt hintereinander zum Service in die Box.
Darüber ärgert sich Sainz aber schon gar nicht mehr: Der zweite Stopp im Nassen sei in Monaco ein "Glücksspiel" und "man ist entweder eine Runde zu früh dran oder eine Runde zu spät". Und er sei wohl "am schlechtesten" davongekommen.
Leclerc ergreift Partei für seinen Teamkollegen
Leclerc nimmt seinen Ferrari-Teamkollegen in diesem Punkt etwas in Schutz: "Ich glaube, es war für uns beide schwierig. Und rückblickend ist es immer einfach, die Strategie zu kritisieren, noch dazu auf einer solchen Rennstrecke."
"Meist läuft es ja so: Du kommst früh rein und danach gibt es eine Safety-Car-Phase. Dann fragst du dich, warum du so früh reingekommen bist."
"Wir wussten schon, dass es schwierig werden würde. Heute haben wir auf ein Safety-Car gewartet und überraschenderweise hat niemand einen Fehler gemacht. Daher gab es keine Safety-Car-Phase. Dann ist es eben so."
Kein Vorwurf an die Ferrari-Strategen von Leclerc
Den Ferrari-Strategen macht Leclerc ausdrücklich keinen Vorwurf. "Natürlich würde ich es rückblickend anders machen. Aber im Auto hast du nicht alle Informationen an der Hand. Deshalb glaube ich, wir haben es dieses Mal richtig gemacht."
Anders als im Qualifying, als Ferrari Leclerc zu spät über Lando Norris hinter ihm in Kenntnis gesetzt hatte, was in einer Strafe gemündet und Leclerc Startplatz drei gekostet hatte. So war Ferrari von Anfang an "im Hintertreffen", wie es Leclerc ausdrückt.
Ferrari-Teamchef Vasseur formuliert es anders: "Wenn man von Platz vier und sechs startet, weiß man direkt, dass man irgendwann zocken und etwas versuchen muss." Und Ferrari sei bei den ersten Reifenwechseln "etwas zu optimistisch" gewesen. Das müsse sein Team als Lektion hinnehmen.
"Man lernt immer an einem harten Wochenende", sagt Vasseur. "Man lernt mehr von einem harten Wochenende als von einem guten Wochenende."
"Wenn wir uns den ersten Teil des Wochenendes angucken, kann man sagen, dass die Pace gut war. Wir haben aber die Pace in Q3 verpasst, und wenn man von Platz vier und Platz sechs startet, muss man irgendwann ein Risiko eingehen. Da bereue ich nichts, was das Rennen angeht."
Am Ende stehen die Positionen sechs für Leclerc und acht für Sainz, womit Ferrari nur zwölf Punkte aus Monaco mitnimmt und in der Konstrukteurswertung der Formel 1 weiter an Boden verliert auf Red Bull, Aston Martin und Mercedes.