• 28. April 2023 · 18:45 Uhr

Ferrari: Echter Aufwärtstrend nach Australien oder Leclerc-Special?

Wie sich Ferrari-Fahrer Charles Leclerc die Poleposition beim Grand Prix von Aserbaidschan erklärt und wie Ferrari-Sportchef Laurent Mekies die Lage einschätzt

(Motorsport-Total.com) - Ferrari steht vorne in der Formel 1. Das ist das Ergebnis des Qualifyings zum Grand Prix von Aserbaidschan 2023 in Baku. Aber ist dieses Resultat streckenspezifisch und der Vorliebe von Charles Leclerc für Stadtkurse zuzuschreiben? Oder befindet sich Ferrari seit dem Rennen in Australien wirklich im Aufwind?

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Charles Leclerc im Ferrari SF-23 im Formel-1-Qualifying in Baku 2023 Zoom Download

"Ganz ehrlich: Ich habe die Antwort noch nicht", sagt Leclerc frei heraus. Er traue sich nach dem Zeitfahren in Baku noch keine finale Einschätzung zu, zumal die bisherigen Qualifyings in der Saison 2023 "auch nicht so schlecht" gelaufen seien.

In der Tat: Leclerc hatte beim Auftakt in Bahrain den dritten Platz belegt, war beim zweiten Rennen in Saudi-Arabien sogar in der ersten Reihe gestanden. Einzig in Australien hatte er über eine schnelle Runde kein Top-3-Ergebnis erzielt. "Da bin ich nicht gut gefahren, aber davor hatte nicht so viel gefehlt", meint Leclerc. "Wir haben also im Qualifying gar nicht so viel zugelegt."

Ferrari will eigentlich nur im Renntrimm stärker werden

Ferrari gehe es derzeit ohnehin nicht darum, die Leistung in der Qualifikation zu optimieren. Im Gegenteil: Das Formel-1-Traditionsteam will im Renntrimm besser werden, gerade weil das Qualifying zuletzt für Leclerc und Carlos Sainz meist zufriedenstellend verlaufen ist.

Australien habe sich dabei als richtungsweisend erwiesen, sagt Leclerc. "Dort ist uns ein Schritt nach vorne gelungen. Ich konnte es im Rennen nur nicht unter Beweis stellen." Das Erstrunden-Aus nach Berührung mit Aston-Martin-Fahrer Lance Stroll kam Leclerc beim Grand Prix in Melbourne dazwischen.

"Carlos allerdings hatte im Rennen ein besseres Gefühl", meint Leclerc. "Wie viel besser es jetzt ist, das müssen wir noch abwarten. Es gibt immer noch ein paar Fragezeichen. Ich bin aber überzeugt davon, dass wir einige Schritte in die richtige Richtung gemacht haben, dass es jetzt besser geht im Rennen. Nur ob es reicht, da bin ich nicht sicher."

Ferrari-Sportchef Mekies glaubt einen Trend zu erkennen

Überzeugt ist dagegen Ferrari-Sportchef Laurent Mekies von einem positiven Trend in seinem Team, wo in Baku beide seiner Fahrer im Qualifying in die Top 4 vorgedrungen sind. Er sieht in diesem Ergebnis "ein weiteres klares Anzeichen, dass wir uns in die richtige Richtung bewegen, auch wenn es nur der Freitag ist", so Mekies. Schon das Rennen in Australien habe Ferrari "positive Tendenzen" aufgezeigt.

Mekies verweist an dieser Stelle auf die jüngsten Aussagen von Ferrari-Teamchef Frederic Vasseur, der trotz der "Nullnummer" seines Teams beim vergangenen Grand Prix nicht unzufrieden aus Melbourne abgereist war. "Frederic hat schon Recht, wenn er sagt, wir haben das Auto dort gefühlt in ein besseres Einsatzfenster gebracht. Das hat uns mehr Leistung an die Hand gegeben, vor allem bei niedriger Geschwindigkeit."

Das habe er auch beim Qualifying in Baku beobachtet, sagt Mekies weiter. "Hier gibt es wieder viele langsame Passagen." Und gerade an diesen Stellen auf dem Baku City Circuit hat Leclerc im Qualifying die entscheidenden Hundertstel auf Max Verstappen im Red Bull rausgeholt.

Analyse: Wo Leclerc die Zeit auf Verstappen rausgeholt hat

Die Formel-1-Daten zur Qualifikation in Aserbaidschan zeigen klar auf: Bei der jeweils schnellsten Runde führt Verstappen von Anfang an im Direktvergleich zu Leclerc, der aber am Ende des ersten Sektors virtuell aufschließt. Dann wird es kurvenreicher in Baku, der Topspeed ist nicht mehr so entscheidend. Und zur Hälfte des zweiten Sektors geht Leclerc in Führung, setzt sich nach Kurve 12 immer weiter von Verstappen ab.


Quali Baku: Wie Leclerc die Red Bulls besiegt hat

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Charles Leclerc steht auf Pole für den Grand Prix von Aserbaidschan - ist aber nicht Favorit auf den Sieg. Trotz herausragender Leistung. Weitere Formel-1-Videos

Gerade Kurve 12 ist eine Schlüsselstelle im Rundenvergleich: Leclerc durchfährt die langsame Stelle mit 118 km/h und damit elf km/h schneller als Verstappen, nimmt den Speed-Vorteil anschließend auch auf die kurze Gerade mit. Wirklich entscheidend ist dann aber die Beschleunigung aus Kurve 15 heraus: Hier baut sich Leclerc einen Puffer von zwei Zehnteln auf, von dem er bis ins Ziel nur einen kleinen Teil verliert.

Wie Leclerc seine Pole-Runde bewertet

Leclerc selbst gibt an, "wirklich zufrieden" zu sein mit seiner Runde, obwohl er in Kurve 1 gleich zwei Zehntel hatte liegenlassen. "Das war ganz schön haarig", meint er. "Aber ansonsten war es eine ziemlich saubere Runde."

"Auf Stadtkursen versuchst du auf deiner Runde in Q3 immer noch mehr Druck zu machen als davor. In der letzten Runde gibst du einfach alles und wartest ab, was dabei herauskommt. Bei so wenig Trainingszeit vorab musst du gleich voll da sein. Und ich hatte hier von Anfang an ein gutes Gefühl und bin wirklich happy."

Leclerc-Spezialität oder echte Ferrari-Form?

Ob er sich in Baku besonders leichttue, wird Leclerc gefragt. Immerhin steht er mit Ferrari im dritten Jahr in Folge auf Startplatz eins. Er selbst kann sich das nicht erklären: "Es geht einfach gut hier bei mir. Es gab aber auch Jahre, da war das nicht so, auch im Qualifying. Ich weiß es nicht."


Fotostrecke: Formel 1 2023 in Aserbaidschan: Das Wichtigste zum Freitag

"Generell liebe ich Stadtkurse, nicht nur Baku, sondern auch Singapur und Monaco. Das sind wahrscheinlich meine drei Lieblingsstrecken im Kalender. Mir gefällt die Herausforderung, auf solchen Kursen ans Limit zu gehen. Du kannst nicht über das Limit hinausgehen, sonst bezahlst du den Preis. Das macht mir Spaß." Ein Geheimnis, was ihn auf Stadtkursen so viel schneller mache, habe er aber nicht.

Ferrari-Sportchef Mekies wiederum findet, Leclerc sei in Baku "besonders gut unterwegs" und sagt: "Er holt hier einfach etwas mehr raus. Er ist ja generell stark im Qualifying, aber hier in Baku legt er nochmal eine Schippe drauf. Das ist gut."

Ein wichtiges Ergebnis für die Moral bei Ferrari

Und es ist Balsam auf die geschundene Ferrari-Seele, die nicht nur einen schwachen Saisonstart, sondern auch anstehende Personalabgänge zur Kenntnis nehmen musste. Unter diesen Umständen fühle sich der erste Platz im Qualifying "gut" an, meint Leclerc. Mehr noch: "Das gesamte Team hat das gebraucht."

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Ferrari-Fahrer Charles Leclerc zeigt demonstrativ auf das Ferrari-Logo Zoom Download

Bleibt nur die Frage, was Ferrari im weiteren Wochenendverlauf aus dieser Ausgangslage machen kann. Laut Leclerc hat sein Team mit der Poleposition bereits die eigenen Erwartungen übertroffen. "Das ist eine wirklich gute Überraschung. Aber für den Sprint und den Grand Prix müssen wir abwarten. Da sehe ich uns etwas mehr im Hintertreffen."

"Wir dürfen nicht vergessen: Unser Auto liegt vielleicht immer noch hinter Red Bull. Es wird also wohl schwierig, die Führung zu behalten, aber das ist das Ziel", sagt Leclerc.

Ferrari denkt schon langfristig

Oder wie es Mekies formuliert: "Am Sonntag kriegen wir die Antwort. Dann erfahren wir, wie unser Kompromiss [bei der Abstimmung des Autos] im Vergleich zur Konkurrenz ausgefallen ist. Der jüngste Trend sah uns am Sonntag etwas schwächer als am Samstag. Wir arbeiten hart daran, diese Balance zu drehen. Daher ist es gut, am Sonntag von vorne loszufahren. Dann schauen wir, was unsere Rennpace hergibt."

Und genau daran will Ferrari in den kommenden Wochen weiterarbeiten: am Renntrimm. "Darauf liegt unser Hauptfokus", erklärt Sportchef Mekies. "Wir wissen natürlich, dass Red Bull beim DRS am besten aufgestellt ist. Wir versuchen uns in diesem Bereich zu steigern. Priorität hat aber, den Renntrimm zu verbessern."

Ferrari wisse, dass es hier keine kurzfristigen Lösungen gäbe, versichert Leclerc. Deshalb sagt er: "Aktuell liegen wir im Renntrimm etwas zurück und müssen zusehen, dass wir möglichst viele Punkte holen. Später im Jahr geht es dann darum, Siege einzufahren, sofern wir dann stark genug sind."

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