Alpine-Ansage an Ocon: Hat er sich widersetzt oder nicht?
Wie Alpine-Fahrer Esteban Ocon beim Formel-1-Rennen in Brasilien mit einer Stallregie seines Teams umgegangen ist wie Fernando Alonso darüber denkt
(Motorsport-Total.com) - Im Formel-1-Sprint von Brasilien hat es gekracht zwischen den beiden Alpine-Fahrern Fernando Alonso und Esteban Ocon, anschließend fand die Teamleitung selbst in der Pressemitteilung deutliche Worte der Kritik. Und auch im Grand Prix gab es klare Ansagen, die Ocon aber nur widerwillig zur Kenntnis zu nehmen schien. Hat er sich etwa einer Stallregie widersetzt?
Die fragliche Situation entstand in der Safety-Car-Phase kurz vor Schluss im Rennen. Alonso hatte die Gelbphase zu einem Boxenstopp genutzt und neue Soft-Reifen geholt, sich dann hinter Ocon wieder ins Feld eingereiht.
Kurz darauf erging der erste Hinweis an Ocon per Funk. Sein Renningenieur Josh Peckett sagte: "Fernando hinter dir hat frische Soft-Reifen. Lass ihn bitte sauber durch. Wir können Vettel immer noch komfortabel abfangen und uns dann mit Bottas beschäftigen. Alles noch drin." Ocon reagierte nicht auf diesen Funkspruch.
Der Renningenieur fordert eine Bestätigung von Ocon
Wenig später meldete sich Peckett erneut bei Ocon. "Also nochmal: Fernando hinter uns hat einen Reifenvorteil. Konzentrieren wir uns nicht auf ihn, sondern unterm Strich darauf, Vettel zu kriegen. Lass uns bitte sicherstellen, dass wir Fernando sauber durchlassen. Und wenn du das bitte bestätigen könntest."
Dieses Mal antwortete Ocon, und das ziemlich barsch: "Lasst mich Rennen fahren! Ich werde [das machen], sobald sich die Situation ein bisschen beruhigt hat. Wir können beim Restart auch alles verlieren."
Das wiederum veranlasste Renningenieur Peckett dazu, seinerseits forscher zu werden: "Esteban, ich will nicht, dass du mit Fernando kämpfst. Verstanden?"
Ocon: "Ich muss jetzt Vettel überholen. Ich werde nicht mit Fernando kämpfen."
Peckett: "Das ist okay. Du kannst Vettel überholen. Ich will nur, dass du dich nicht mit Fernando anlegst. Solange das klar ist."
Wie Ocon die Anweisung des Teams umsetzte
Und es war klar für Ocon: Er tat, wie er angekündigt hatte, überholte Vettel gleich beim Restart eingangs der ersten Kurve und ließ seinen Alpine-Teamkollegen Alonso zur Mitte der Runde vorbeigehen, ohne sich zu wehren.
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Alpine-Teamchef Otmar Szafnauer reagierte nach dem Rennen erleichtert auf diesen Ablauf und sagte bei 'Sky' England: "Wenn man sich teamdienlich verhält, dann geht es besser aus für alle Beteiligten, auch für die Fahrer. Sie haben das gemacht, was man von professionellen Rennfahrern auch erwartet."
Man habe die Fahrer vorab auf die unterschiedlichen Strategien eingeschworen. "Das war ihnen klar", meint Szafnauer. "Fernando war auf drei Stopps angesetzt und fuhr am Ende mit frischeren Reifen. Esteban hat ihn durchgelassen. Das hat wirklich gut funktioniert. Denn wenn man sich gegenseitig ins Auto fährt, nimmt niemand Punkte mit."
Hat Alpine deshalb so nachdrücklich an Ocon gefunkt? Szafnauer antwortet nicht direkt, sondern sagt: "Da ging es darum, dass er beim Restart Sebastian [Vettel] überholen wollte."
"Wenn ich mich recht erinnere, fuhr Sebastian zu diesem Zeitpunkt auf gebrauchten Medium-Reifen. Wir hatten Soft. Esteban hatte Recht, als er sagte, 'lasst mich mal machen, bevor ich Fernando vorbeilasse.' Das war genau richtig und er ist deshalb eine Position weiter vorne angekommen."
Ocon fühlt sich missverstanden für den Funkspruch
Ocon selbst meint, der Dialog am Funk sei energischer rübergekommen, als es für die Beteiligten der Fall war. Er fühle sich auch missverstanden, meint der Alpine-Fahrer. "Ich glaube, da wurde etwas falsch übersetzt, dass ich Fernando nicht vorbeilassen wollte."
"Ich sagte aber: 'Nein, ich lasse ihn nicht beim Restart vorbei. Ich überhole erst mal Seb. Dann, wenn das erledigt ist, finden wir schon einen Weg. Ich werde mich nicht wehren, sondern lasse ihn ziehen.' Und genau so habe ich das auch gemacht."
"Ich hätte ihn eh nicht halten können. Er war auf Soft-Reifen und sehr schnell unterwegs und es ging um Punkte für das Team. Mir war die Situation bewusst. Das Team musste mir da nicht sagen, was zu tun ist."
Alonso: Passt doch alles!
Für Alonso war die ganze Situation ebenfalls kein Thema. Im Sprintrennen hätten er und Ocon "Fehler gemacht", so sagt er. Die Berührung der Teamkollegen sei aber von außen aufgebauscht worden: "Die Leute wollen da eine große Sache draus machen. Aber [im Grand Prix] haben wir alles wettgemacht, weil wir das Beste wollen für das Team", sagt Alonso.
Dabei scheint er zu vergessen, dass er es war, der die Berührung mit Ocon ausgelöst hatte, es im Teamfunk aber sofort anders darstellte: "Ich habe den Frontflügel verloren, dank unseres Freundes." Woraufhin Teamchef Szafnauer sagte, beide Fahrer hätten Alpine "im Stich gelassen".
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Angesprochen auf diese deutlichen Worte sagte Ocon nach dem Grand Prix: "Ich glaube, das Team ist heute happy. Das ist das Wichtigste."
Kein direkter Kontakt zwischen Alonso und Ocon
Außerdem sei die Stimmung im Team weiterhin gut, wenngleich er Alonso einige Äußerungen ankreide: "Es war nicht so nett, was er den Medien gesagt hat", meint Ocon. "Ich habe immer viel Respekt vor ihm. Er ist eine Legende. Ich werde immer Respekt haben vor ihm. Es spielt keine Rolle, was er euch erzählt hat. Ich ziehe es vor, dass wir direkt miteinander reden."
Letzteres aber ist laut Ocon nicht passiert. Nicht am Samstag nach dem Sprint und nicht am Sonntag vor dem Grand Prix. Die beiden Alpine-Fahrer hätten "nicht miteinander gesprochen", so Ocon. Nachsatz: "Das motiviert mich umso mehr, ihn nächstes Jahr zu schlagen." Und dann lacht er.
Alonso sieht indes auch keinen Grund für ein klärendes Gespräch mit seinem Noch-Teamkollegen Ocon: "Wir wissen, wir haben [im Sprint] beide Fehler gemacht. Er hat sich in Kurve 4 zu sehr verteidigt und ich habe die Entfernung auf der Gerade falsch eingeschätzt. Ich wollte bei 300 km/h niemanden berühren, aber okay. Es war mein Fehler."
Beide Alpine fahren in die Punkte
"Ich glaube, in diesen zwei Jahren haben wir einen Fehler gemacht, [am Samstag im Sprint]. Man hat uns viel Schuld aufgebürdet, aber das nehmen wir hin. Hoffentlich machen wir die Fehler nicht wieder. Ich denke, wir versuchen Alpine zu helfen, und zwar jedes Mal, wenn wir ins Auto steigen. Das hat man [im Grand Prix] gesehen."
Alonso beschloss das Rennen auch dank der Überholhilfe von Ocon noch auf dem fünften Platz. Ocon wiederum belegte Platz acht, nachdem er auch - wie geplant - Valtteri Bottas im Alfa Romeo überholt hatte.