So erklärt McLaren sein Boxenchaos in Montreal
Wie McLaren-Teamchef Andreas Seidl die Boxenpanne seiner Mannschaft in Kanada erklärt und warum die Fahrer im Formel-1-Rennen chancenlos waren
(Motorsport-Total.com) - Lando Norris funkt noch, er befinde sich in der Boxengasse. Sein Ingenieur bestätigt den Erhalt der Nachricht. Kurz darauf steht Norris auf dem Stellplatz vor der McLaren-Box - und nichts geht mehr: Vorne links wird der falsche Reifen aufgezogen, rechts gar keiner. Bis das Chaos beseitigt ist und Norris mit einem frischen Satz Hard losfahren kann, vergehen fast 20 Sekunden.
© Motorsport Images
Lando Norris beim verpatzten Boxenstopp der McLaren-Crew in Kanada 2022 Zoom Download
Wie ist es dazu gekommen? Diese Frage ist McLaren-Teamchef Andreas Seidl nach dem Kanada-Grand-Prix 2022 in Montreal sichtlich unangenehm. Er fasst sich daher auch kurz und spricht von einem "Kommunikationsproblem", das zur Panne beim Doppelstopp von Daniel Ricciardo und Norris geführt habe.
"Ich will da nicht zu sehr ins Detail gehen, weil wir uns da intern noch einmal damit auseinandersetzen müssen. Wir müssen uns das anschauen und es beim nächsten Mal besser machen", sagt Seidl.
Das Team war vorgewarnt, dass Norris kommt
Ricciardo, den McLaren erst abgefertigt hatte, erkannte selbst im Rückspiegel "ein bisschen Verwirrung" und macht dies an einer "späten Entscheidung" zum Boxenstopp fest. Wohl deshalb sei es "etwas schiefgelaufen" beim Reifenwechsel, mutmaßt er.
Tatsächlich aber hatte die McLaren-Crew reichlich Vorwarnung: Norris hatte sich ausgangs der Haarnadel auf der Gegengeraden befunden, als in Runde 19 die virtuelle Safety-Car-Phase ausgegeben wurde. Und er fragte sofort nach beim Team: "Was machen wir?" Die Antwort kam prompt: "Komm an die Box."
Dort angekommen musste Norris kurz warten, bis Ricciardo losgefahren war, dann übernahm er den Standplatz vor der Box. Und auf einmal wurde es hektisch, die Mechaniker gestikulierten wild, weil die Reifen für Norris nicht bereitlagen.
Norris genervt: Nichts hat gepasst!
Wie Norris die Szene erlebt hat und ob er sie sich erklären kann? Der McLaren-Fahrer winkt ab: "Da wisst ihr wahrscheinlich mehr als ich. Ich habe auch nur gesehen, was ihr gesehen habt. Wir hatten erst andere Reifen, dann keine Reifen. Also keine Ahnung."
Norris wirkt generell bedient. Er hat nicht nur fast 20 Sekunden beim Boxenstopp verloren, sondern macht im Rennen überhaupt keinen Stich. "Es lief einfach alles schief. Es gab kaum Positives", meint er. Und dann fällt er noch ein vernichtendes Urteil: "Das Auto ist nicht gut genug."
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Er und Ricciardo seien mit dem MCL36 in Montreal "wohl die Langsamsten" gewesen. "Dann kannst du halt nicht überholen und richtest gar nichts aus. So ein Tag ist aber gut, weil er zeigt: Es fehlt noch eine ganze Menge. Denn wir sehen nie wirklich die wahre Pace, sondern sind manchmal mit Glück zur Stelle. So aber sieht man, wo wir in Wahrheit stehen."
Die McLaren-Form sei nicht abhängig von der jeweiligen Rennstrecke, meint Norris weiter. Ob damit alle Hoffnungen für den weiteren Saisonverlauf zunichtegemacht worden seien, sagt er nur: "Ja."
Norris: "Ich will jetzt einfach nur ein kühles Bad nehmen, mir ein Eis holen und dann ab nach Hause."
Auch Ricciardo ohne Chance im Rennen
Auch Ricciardo hält nicht mehr viel in Kanada: "Wenn man so will, dann war es wahrscheinlich kein blitzsauberes Rennen. Es war eines dieser Rennen, in denen ich das Gefühl hatte, ich hänge einfach nur drin. Es gab ein paar DRS-Züge und fuhr da mit, aber ich würde nicht sagen, dass wir irgendwelche Stärken hatten. Es ist uns nicht gelungen, uns in Szene zu setzen."
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"Ich habe zwar ein paar Mal hinein in die letzte Schikane überholt, aber ich glaube, das war gegen zwei Autos auf älteren Reifen. Wir waren eben langsam und damit raus aus der Entscheidung", so erklärt der McLaren-Fahrer.
McLaren-Fahrer müssen das Material schonen
Damit nicht genug: Sowohl Norris als auch Ricciardo mussten in der Schlussphase das Material schonen. Teamchef Seidl verweist explizit auf die Bremsen. Deshalb habe Ricciardo am Ende keine Attacke mehr unternehmen können. Ergebnis: Elfter mit 4,8 Sekunden Rückstand auf die Punkteränge. Norris belegte neun Sekunden dahinter Position 15.
Für Seidl war es daher "aus vielerlei Gründen ein enttäuschendes Wochenende". Die fehlerhaften "Abläufe im Rennen" seien das eine gewesen, die fehlende "Pace des Autos" das andere. "Insgesamt", sagt Ricciardo, "hatten wir Schwierigkeiten".
Einzig das Bouncing stellte sich in Kanada nicht so dramatisch dar wie zuletzt in Aserbaidschan: "Nach Baku hatten wir festgestellt, dass etwas gebrochen war, weshalb mein Bouncing so schlimm gewesen war", sagt Ricciardo. "In Kanada war es besser. Vor Kurve 8 gibt es große Bodenwellen, die dich gegen Rennende ein bisschen nerven, aber sonst nichts Verrücktes."