Rennvorschau Ferrari vs. Red Bull: Wer hat in Baku die Nase vorn?
Leclerc konnte im Baku-Qualifying die 6. Poleposition der Saison holen - Reicht die Ferrari-Pace im Rennen dieses Mal für den Sieg oder schlägt Red Bull wieder zurück?
(Motorsport-Total.com) - Das Formel-1-Wochenende in Aserbaidschan hat einmal mehr gezeigt: Ferrari und Red Bull sind im Vergleich zur Konkurrenz in einer eigenen Liga. George Russell, dem ersten Nicht-Ferrari und -Red-Bull-Fahrer, fehlten mit Platz fünf im Qualifying auf die Poleposition von Charles Leclerc fast 1,5 Sekunden.
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Kann Charles Leclerc nach drei Rennen ohne Sieg trotz Pole in Baku zurückschlagen? Zoom Download
Dementsprechend frustriert war Mercedes-Pilot: "Das langsamste Auto des Feldes ist näher an uns, als wir an Ferrari und Red Bull dran sind." Teamchef Toto Wolff fügt hinzu: "Ich wünsche mir, dass ich in Zukunft nicht mehr auf solche Zeitentabellen schauen muss."
Somit wird auch im Rennen alles auf einen Zweikampf zwischen Ferrari und Red Bull hinauslaufen, es sei denn, der Grand Prix in Baku sollte im Chaos versinken, wie es in der Vergangenheit schon öfter der Fall war. Wer von den beiden Teams die Oberhand haben wird, ist jedoch nicht ganz ersichtlich.
Topspeed-Vorteil spricht für Red Bull
Der Ferrari war mit Leclerc am Steuer das schnellere Auto auf eine Runde, aber die Longruns am Freitag sprechen eher für Red Bull und besonders Max Verstappen. Zudem hat der RB18 einen Topspeed-Vorteil auf den Geraden, was das Überholen erleichtern könnte.
Das sieht auch Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko so: "Wir sind im Topspeed besser, aber nicht mehr so überlegen, da Ferrari einen kleineren Flügel montiert hat." Während Red Bull in den Longruns im zweiten Freien Training im Schnitt noch zwölf km/h schneller auf der Ziellinie war, konnte Ferrari den Topspeed-Rückstand im Qualifying auf nur noch sechs km/h verkürzen.
"Es ist ein Kurs mit langen Geraden, also wissen wir, dass wir überholen können", sagt Marko. "Wenn das Monte Carlo gewesen wäre, dann wären wir eher traurig [mit dem Qualifying-Ergebnis]. Wir wissen über unseren Rennspeed und wir haben beide Autos auf ähnlichem Niveau. Sainz kommt da nicht ganz mit Leclerc mit, das sollte auch einen Vorteil geben."
Auch Red Bulls Rennsimulation in FT2 war besser
"Ich denke generell fehlt uns ein bisschen über eine Runde, aber ganz klar: Im Longrun sollte das Auto normalerweise ziemlich gut sein", zeigt sich Verstappen optimistisch, der von der dritten Position ins Rennen gehen wird. "Ferrari sah aber auch schnell auf der Rennsimulation aus."
Daher glaubt auch Polesetter Leclerc, dass Ferrari gute Karten im Rennen haben wird: "Ich bin wirklich gespannt. Ich denke, dass wir eine Menge Antworten bekommen werden, denn das Reifenmanagement ist hier eine große Sache. In Barcelona und Monaco sind wir gut damit zurechtgekommen und insgesamt hat sich unsere Rennpace seit dem Upgrade deutlich verbessert. Es wird also morgen sehr interessant sein, ob das auch hier der Fall sein wird."
In der Rennsimulation am Freitag hat sich gezeigt, das Red Bull mit viel Sprit etwas vor Ferrari liegt. Verstappen fuhr die schnellste durchschnittliche Zeit vor Leclerc und konnte nicht nur auf den Geraden, sondern auch im kurvenreichen zweiten Sektor überzeugen.
Dennoch sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der Niederländer nur drei Runden mit viel Gewicht gefahren ist und das zweite Freie Training völlig andere Streckenbedingungen vorwies, als für das Rennen am Sonntag erwartet werden. Während der Grand Prix unter heißen Temperaturen um 15 Uhr [Zeit in Aserbaidschan, 13 Uhr deutscher Zeit] starten wird, begann das zweite Training erst 18 Uhr.
Angesprochen auf die Rennsimulation, sagt Leclerc: "Es sah stark aus. Ob es im Vergleich zu Red Bull stark genug ist, das werden wir sehen. Ich denke, seit wir das neue Paket haben, haben wir verschiedene Dinge ausprobiert und nach meinem Gefühl fühlt es sich im Rennen besser an. Ich bin also optimistisch."
Helmut Marko sieht Red Bull strategisch im Vorteil
Dennoch hat die Rennsimulation den Red-Bull-Motorsportkonsulenten überzeugt. Auf die Frage, was für einen Red-Bull-Sieg spricht, sagt Marko: "Der Topspeed und das wir im Renntrimm, das heißt mit vollen Tanks, das schnellere Auto haben, so wie Ferrari auf die einzelne Runde besser zu sein scheint."
Neben der Höchstgeschwindigkeit und der Rennpace, sieht Marko sein Team auch in Sachen Reifenstrategie vorn: "Es wird darauf ankommen, wer die Reifen besser behandelt. Wir haben zwei Satz neue harte Reifen, Ferrari hat nur noch einen. Das kann, wenn die Temperaturen ähnlich hoch sind, wie es heute zum Mittag war, einen Vorteil für uns bringen."
"Wenn es wieder eine taktische Entscheidung geben sollte, wer kommt wann rein und wie oft, ein oder zwei Stopps, sind wir vielleicht auch wieder besser", so Marko, der mit seiner Aussage auf die Ferrari-Strategiepanne in Monaco anspielt.
In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass normalerweise ein Stopp am schnellsten in Baku ist, jedoch ist es mit potenziellen Safety-Cars und roten Flaggen sinnvoll, mehrere Reifen in der Hinterhand zu haben. Was Marko jedoch unterschlagen hat, ist, dass Ferrari noch zwei neue Medium-Reifen hat, während sowohl Verstappen als auch Perez nur noch einen haben.
Verstappen sicher: Am Start wird es wohl eher nichts
"Bei den hohen Temperaturen könnte es ein Vorteil sein, wenn das Safety-Car herauskommt und davon gehe ich aus, dass es Safety-Cars geben wird, wenn man sich die Formel 2 heranzieht. Die sind ja nicht einmal eine Runde hinter dem Safety-Car gekommen, dann hat es schon wieder gekracht", so Marko.
Strategisch gesehen hat Ferrari einen weiteren Nachteil, da sich Carlos Sainz nur auf dem vierten Platz qualifizieren konnte, wie Marko betont: "Gott sei Dank ist Sainz nur Vierter, weil wenn die vorne zu zweit gefahren wären, hätten sie wahrscheinlich einen Abstand schaffen können. Aber so wird das, glaube ich, ein sehr gutes und hartes Rennen. Und ich hoffe, dass wir aus eigener Kraft gewinnen."
Am Start sollte es für die Red-Bull-Piloten jedoch schwierig werden, die Führung zu übernehmen, da der Weg zur ersten Kurve sehr kurz ist. "Der Plan ist natürlich, als Team das Ergebnis zu optimieren. Die Anfahrt zu Kurve eins ist sehr kurz, da kann man nicht viel machen. Aber es ist ein langes Rennen und Baku hat gezeigt, dass viele Dinge passieren können", sagt Verstappen.
Kann Leclerc die Negativserie aus vergebenen Poles beenden?
Nachdem Leclerc aus den drei Polepositions zuvor kein Kapital schlagen konnte, hofft der Monegasse in Baku endlich "den Job beenden" zu können: "Die vergangenen beiden Wochenenden hat es nicht geklappt, deshalb wäre es schön, wenn es hier funktioniert. Mal sehen, wie die ersten Runden aussehen werden und dann versuche ich, die Führung zu behalten."
Leclerc sollte sich in jedem Fall beeilen, so schnell wie möglich einen Vorsprung von einer Sekunde herauszufahren, denn neben dem Topspeed-Vorteil von Red Bull machen Windschatten plus DRS noch einmal etwa 30 km/h aus.
Es könnte somit ein ähnliches Szenario wie in Saudi-Arabien geben, als Leclerc nach dem Safety-Car den Vorsprung auf Verstappen lange bei eineinhalb Sekunden halten konnte, ehe der Niederländer für den Ferrari-Piloten letztendlich nicht mehr zu halten war, als er es einmal in das DRS-Fenster schaffte.
Dafür müssen die Red Bulls im kurvenreichen zweiten Sektor in Baku an Leclerc dranbleiben. "Ferrari ist sehr stark in Sektor zwei. Wenn sie dort einen Vorsprung herausfahren können, hilft auch der ganze Topspeed nicht mehr", analysiert Verstappen.