Deshalb hat Mercedes mit Lewis Hamilton nicht mehr riskiert
Die Gründe, weshalb Mercedes-Fahrer Lewis Hamilton beim Formel-1-Rennen in Imola nicht mehr probiert hat, um noch in die Punkteränge zu fahren
(Motorsport-Total.com) - Den Heckflügel des AlphaTauri AT03 kann Lewis Hamilton jetzt wahrscheinlich mit geschlossenen Augen nachzeichnen. Denn im Grand Prix der Emilia-Romagna 2022 in Imola brachte Mercedes-Fahrer Hamilton zwei Drittel des Rennens direkt hinter Pierre Gasly zu, immer dicht dran, aber nie nahe genug, um einen Überholversuch zu starten.
Warum aber hat es für Hamilton nie geklappt, Gasly zu überholen? Mercedes' leitender Renningenieur Andrew Shovlin verweist auf den sogenannten DRS-Zug und meint: Wenn mehrere Fahrzeuge hintereinander liegen, die alle auf den verstellbaren Heckflügel zurückgreifen können, verpufft der Effekt für den Hinterherfahrenden.
Dabei wäre der Effekt in Imola eigentlich ziemlich wirkungsvoll, sagt Shovlin: "Zusammen mit dem Windschatten gewinnst du dort rund eine halbe Sekunde gegenüber dem vorausfahrenden Auto."
Im DRS-Zug wird der Vorteil "zerstört"
Doch weil auch Gasly so dicht hinter Williams-Mann Alexander Albon fuhr, dass er ebenfalls von DRS profitierte, sei Hamiltons DRS-Vorteil "zerstört" worden, so Shovlin.
"Gasly und er fuhren praktisch gleich schnell über die Geraden und Lewis war nicht dazu in der Lage, neben ihn zu fahren. Deshalb hing er über das gesamte Rennen in dieser Position fest, und das ist eher frustrierend."
Ob Hamilton mehr Risiko hätte gehen können?
Hätte Mercedes zuvor schon strategisch für eine Neuausrichtung von Hamiltons Rennen sorgen können, der von P14 losgefahren war? Beim Wechsel von Intermediates auf Trockenreifen zum Beispiel kam Hamilton nicht sofort an die Box, sondern erst zwei Runden nach dem ersten Slicks-Wechsler Daniel Ricciardo auf McLaren. Hat man hier also eine Chance verpasst?
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Shovlin meint: "Rückblickend weiß man es immer besser, dann hätten wir es natürlich gemacht."
Man habe sich allerdings dagegen entschieden, weil der Mercedes W13 "am kompletten Wochenende in Imola die Reifen nicht gut auf Temperatur gebracht hat", sagt Shovlin. "Die Gründe dafür müssen wir noch erörtern."
Hamilton wird vom Mercedes limitiert
Diese spezielle Eigenheit des Silberpfeils habe das Team davon abrücken lassen, mit Hamilton ein Experiment zu machen, bei dem es gerade darauf ankommt, die Trockenreifen rasch auf Temperatur zu bringen.
"Dabei sind das Bedingungen, in denen Lewis zu Höchstform aufläuft, wie wir aus Erfahrung wissen. Bei wechselhaftem Wetter ist er sehr, sehr gut", sagt Shovlin.
"Wir haben aber ein grundlegendes Problem mit dem Auto, das sich schwertut, die Reifen auf Temperatur zu bringen. Das müssen wir erst einmal lösen, bevor wir bei wechselhaften Bedingungen wirklich mal was riskieren können."
Auch bei Russell lief nicht alles glatt in Imola
Und obwohl beim Schwesterauto von George Russell vieles besser lief als bei Hamilton und der Mercedes-Neuling in Imola auf P4 ins Ziel kam, ganz fehlerfrei blieb Mercedes in Russells Fall nicht: Beim Reifenwechsel misslang die Verstellung des Frontflügels, sodass Russell im zweiten Stint mit nicht idealer Abstimmung an der Vorderachse unterwegs war.
Wie es zu diesem Fehler kommen konnte? Shovlin muss für seine Erklärung etwas ausholen: "Wenn wir beim Boxenstopp etwas anpassen, dann nehmen wir da einen elektronischen Schraubendreher, bei dem wir eine bestimmte Anzahl an Umdrehungen einprogrammieren."
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"Das müssen wir so machen, weil die Stopps so schnell geworden sind, dass man es nicht mehr manuell machen können, dass der Mechaniker am Frontflügel die Umdrehungen mitzählt. Das macht das Werkzeug."
Das Werkzeug aber macht das nur, wenn es optimal eingesetzt wird. Bei Russell stieß das Team plötzlich auf Schwierigkeiten: "Beide Schraubendreher hatten [bei der Einfahrt des Autos] einen Schubser von den Endplatten des Frontflügels abbekommen und sind dadurch zurückgesetzt worden." Die geplanten Änderungen konnten deshalb nicht vorgenommen werden.
Laut Shovlin hängt das direkt mit aerodynamischen Anpassungen am Fahrzeug zusammen, konkret mit den Endplatten des Mercedes W13. "Bei den Trainings und bei den Boxenstopp-Übungen war uns das nicht aufgefallen", räumt der Renningenieur ein.