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57 von 58 Runden auf einem Reifensatz: Wer die Williams-Strategie erdacht hat
Wie es Alexander Albon im Formel-1-Rennen von Australien gelang, von ganz hinten noch in die Top 10 zu fahren und den ersten Saisonpunkt für Williams zu holen
(Motorsport-Total.com) - Ganze 57 von 58 Rennrunden brachte Williams-Fahrer Alexander Albon beim Australien-Grand-Prix 2022 in Melbourne auf nur einem Reifensatz zu. Doch diese Strategie ging auf: In der letzten Runde wechselte er von Hard auf Soft und brachte sein Auto schließlich auf P10 ins Ziel - der erste Saisonpunkt für Williams.
© Motorsport Images
Alexander Albon im Williams FW44 in Melbourne 2022: Am Ende ist es P10 Zoom Download
Wer aber ist verantwortlich für diese außergewöhnliche Strategie? Im Gespräch mit 'Sky' beansprucht Williams-Teamchef Jost Capito diesen Kniff für sich: Er habe das Team regelrecht dazu gedrängt, Albon bloß nicht reinzuholen.
"Sie wollten immer reinfahren, wollten wechseln, da habe ich gesagt, wir warten auf eine rote Flagge", sagt Capito. Ihm sei es gar nicht um etwaige Gelbphasen oder Safety-Car-Phasen gegangen. Er habe stets auf Unterbrechung spekuliert, die Williams einen Reifenwechsel unter Rot in der Boxengasse ermöglicht hätte, ganz ohne Standzeit beim Boxenstopp.
Und Capito war sich seiner Sache sicher: "Ich habe gesagt, die rote Flagge kommt, die rote Flagge kommt. Also zum Schluss war der Abstand doch so groß, dass wir selbst mit einem normalen Boxenstopp Zehnter geworden sind."
Am Ende ist Williams selbst überrascht von P10
Letzteres hat das Team überrascht. Albons Renningenieur James Urwin etwa ordnete ihn bei der Zieldurchfahrt auf P11 ein, korrigierte sich dann aber umgehend. Capito aber meint, er habe sofort gewusst, dass das Top-10-Ergebnis sichergestellt war: "Ich war mir einig! Ja, als er rausgefahren ist, habe ich gesehen, es hat gereicht. Es war dann relativ schnell klar."
Am Ende steht ein wichtiges Ergebnis für Williams: Erstmals in diesem Jahr hat das Team gepunktet, einzig Aston Martin steht nach drei Rennen noch ohne WM-Zähler da. Oder wie es Dave Robson als Leiter Fahrzeug-Performance ausdrückt: "Nach der Achterbahnfahrt der letzten Tage war das ein ausgezeichnetes Resultat für das gesamte Team."
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Denn Albon war bereits mit dem Handicap einer Startplatzstrafe in das Wochenende gegangen und hatte sich im Qualifying obendrein eine Disqualifikation eingefangen, weil er ohne Sprit ausgerollt war. Damit schien sein Schicksal im Grand Prix besiegelt zu sein.
Albon: Chancen vor dem Rennen waren eher "mau"
Albon selbst meint: "Vor dem Rennen hatten unsere Chancen mau ausgesehen. Daher sind wir Risiken eingegangen. Wir dachten: Es spielt eh keine Rolle, was wir machen, wie landen ohnehin auf P19 oder P20."
Genau das erwies sich aber als der Schlüssel zum Erfolg, denn Albon ließ es "langsam angehen" mit den Reifen, belastete die Pneus in den ersten Runden nicht zu sehr. "Wenn du als Letzter losfährst, kannst du dir das leisten. Und dann wurde es besser und besser, je länger das Rennen lief. Am Ende hatte ich den Eindruck, ich fahre 25 Runden lang nur Qualifying-Runden", erklärt er.
Die Erleichterung ist groß bei Williams
Für ihn und das Team sei die Reifen-Haltbarkeit verbunden mit dieser starken Leistung "völlig unerwartet" gekommen. "Das zeigt aber sehr gut, welch gute Arbeit zuhause im Werk verrichtet wird und auch hier an der Strecke", sagt Albon. "Das können Entschlossenheit und Motivation bewirken."
"Ich bin froh, dieses Ergebnis für das Team eingefahren zu haben. Wir haben dieses Resultat dringend gebraucht. Wenn der Saisonstart schwierig ist, musst du das Ruder irgendwie herumreißen. Und jetzt wollen wir mehr. Okay, es gibt keinen Champagner und auch keinen Pokal, aber es fühlt sich gut an."
Eigentlich wollte Williams nur die Reifen testen ...
Umso mehr, weil Capito noch Nachholbedarf beim Reifenhaushalt sieht: "Wir waren das einzige Team, das im vergangenen Jahr nicht den Reifentest fahren konnte. Und uns fehlt noch die Erfahrung für den Reifen und wir haben [dieses Mal] gesagt, wir machen die Strategie, dass wir die Reifen lernen, weil wenn man vom ganzen hinten startet, in die Punkte zu fahren, vergesst es. Wir müssen was über die Reifen lernen."
Laut Capito hatte man es zunächst mit Albon gar nicht darauf angelegt, praktisch auf einem Satz durchzufahren. Es habe sich mehr um einen Versuch gehandelt, um zu sehen, wann Graining einsetzt mit der harten Mischung. "Wir [wollten erfahren]: Wie entwickelt sich das Graining, geht es wieder weg, wie verhält sich das Auto?"
Daraus sei dann ein sehr langer erster Stint geworden. "Das hat sich ausgezahlt", meint Capito bei 'Sky'.
Wie Albon die Strategie erlebt hat
Albon hat es einfach hingenommen. "Um ehrlich zu sein: Ich habe mich anleiten lassen", sagt der Williams-Fahrer. "Ich war überrascht, dass wir bei den Safety-Car-Phasen nie an die Box kamen. Ich dachte mir: Das Team weiß offenbar etwas, das ich nicht weiß."
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Als er aber unter freier Fahrt "richtig gut" und besser als die Konkurrenz mit frischeren Reifen unterwegs gewesen sei, habe er Lunte gerochen. "Wir konnten ja mehr oder weniger mit den McLaren mithalten und uns am Ende sogar von den Alpine absetzen", erklärt er.
"Die C2-Reifen scheinen unserem Auto wirklich zu liegen. Das ist interessant. Wir müssen uns das noch anschauen, weil das ein bisschen unerwartet kommt", meint Albon und scherzt: "Vielleicht müssen wir alles mit diesen Reifen machen, auch das Qualifying!"
Viel Lob für Albon nach Top-10-Fahrt
Für den Auftritt in Australien jedenfalls erntet Albon reichlich Lob: "Alex ist brillant gefahren. Er hat den Hard-Reifen genau richtig behandelt und hatte damit weniger Verschleiß als viele andere Autos", sagt Robson.
Capito fügt hinzu: "Wenn Alex den Helm aufhat, ist er ein Kämpfer. Das hat man [im Rennen] gesehen. Er hat hervorragend verteidigt und angegriffen, hat Rundenzeiten genau gefahren, wie er sie fahren musste, hat die Reifen immer im richtigen Fenster gehalten." Albon sei, so Capito, "ein absoluter Ausnahme-Fahrer".
Positiv vermerkt der Teamchef von Williams außerdem: "Alex fühlt sich sehr wohl im Team und das Team liebt ihn. Er ist einfach ein sensationeller Mensch." Und jetzt ist Albon auch mit einem Punkt in der Fahrerwertung 2022 vertreten.