"Rezept für Desaster": Ist Saudi-Arabien zu gefährlich für die Formel 1?
Das tückische Qualifying haben die Formel-1-Piloten in Dschidda überstanden, doch auch vor dem ersten Rennen gibt es noch Sorgen um die Sicherheit
(Motorsport-Total.com) - "Wenn irgendetwas schiefgeht, dann gibt es einen enormen Unfall", ist sich Sergio Perez sicher. Viel wurde im Vorfeld über die Gefährlichkeit des neuen Formel-1-Stadtkurses in Saudi-Arabien gesprochen, dem schnellsten seiner Art. Doch ist er vielleicht sogar zu gefährlich? Zumindest gibt es im Vorfeld des Rennens einige Bedenken seitens der Fahrer.
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Charles Leclerc bekam die Tücke des neuen Kurses als Erster zu spüren Zoom Download
"Es gibt viele Geraden, die eigentlich blinde Kurven sind, von daher hoffe ich das nichts passieren wird", sagt Perez und urteilt: "Ohne echtes Rennen ist es zu gefährlich." Denn das größte Problem soll nicht das Rennen sein, sondern eher das Qualifying, wenn Fahrer mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten um den Kurs fahren.
Denn hinter jeder blinden Kurve könnte ein langsamer Fahrer lauern. "Es ist ziemlich beängstigend, wenn man sich einige Onboards anschaut", sagt Perez und hält das für "unnötig". Williams-Kollege George Russell nennt es sogar "Rezept für Desaster".
Die heikelste Szene am Wochenende kam bislang aus dem dritten Freien Training, als Lewis Hamilton Nikita Masepin im ersten Sektor im Weg stand. Der Russe konnte gerade noch in die asphaltierte Auslaufzone ausweichen - an anderen Stellen gibt es diese aber nicht.
Das heißt, dass die Fahrer an diesem Wochenende noch mehr aufpassen müssen, und auch die Teams müssen die Piloten besser über die Situation im Bild halten. Vor allem das Qualifying stand dabei im Blickpunkt, wenn Fahrer ihre langsamen Aufwärmrunden fahren und Platz lassen, andere Piloten aber mit Vollgas um den Kurs fahren.
Daniel Ricciardo: Wir müssen vernünftig sein
Bis auf kleinere Ausnahmen hat das am Samstag eigentlich ganz gut geklappt, doch die Aufwärmrunde ist laut Lando Norris auch nicht das Problem. Denn dort sei man noch einigermaßen schnell unterwegs: "In den Cooldown-Runden ist es gefährlicher", sagt er. Doch da kommt für seinen Teamkollegen Daniel Ricciardo auch die eigene Verantwortung ins Spiel.
"Wir vertrauen auf das Feedback der Teams, aber wir wissen, dass wir in den blinden Kurven etwas schneller sein sollten, um sicherzugehen, dass wir dort nicht im Weg stehen", sagt der Australier. "Die meiste Zeit liegt es an uns, vernünftig zu sein. Wir wissen, welche Kurven ein bisschen gefährlich sind. Also müssen wir sicherstellen, dass wir in diesen keine Gefahr sind."
Er findet die Strecke gut und möchte daher nicht negativ über sie sprechen. "Ich kann nicht sagen, dass ich mich an diesem Wochenende in Gefahr gefühlt habe", betont Ricciardo. "Natürlich ist es etwas intensiver, weil es ein Stadtkurs ist und die Geschwindigkeiten hoch sind, aber ich hatte keine Bedenken."
Auch Teamkollege Norris betont, dass er sich bislang sicher auf der Strecke gefühlt hat. "Aber dann kann plötzlich etwas passieren und jeder wird sagen: 'Ich habe es doch gesagt!'
Sorge über Crash im Rennen
Zwar ist mit dem Qualifying ein heikler Punkt überstanden, doch wie es im Rennen ausgehen wird, ist eine große Unbekannte. Charles Leclerc musste bisher als einziger Pilot eine etwas unsanftere Begegnung mit der Streckenbegrenzung machen. Doch der Ferrari-Pilot rauschte in Kurve 22 in die Auslaufzone und die weichere TecPro-Barriere.
Solche Unfälle meinen die Fahrer aber nicht, wenn sie an die Gefahren der Strecke denken. Sie sprechen eher die Unfälle auf den Vollgas-Passagen an. "Wenn drei Fahrer nebeneinander sind und einer die Mauer berührt, dann prallt er zurück auf die Gerade", sagt Mick Schumacher. "Es gibt keine Infrastruktur, die verhindert, dass er zurück auf die Strecke kommt."
In den beiden Formel-2-Rennen war das bislang nicht vorgekommen, auch wenn Red-Bull-Junior Liam Lawson in Kurve 14 an einer ungünstigen Stelle verunglückt war. Er hatte sich aber am Ausgang von Kurve 13 aus eigener Kraft gedreht, war dabei aber die ganze Zeit für alle gut sichtbar außen geblieben.
"Aber wir haben heute die Szene mit Carlos [Sainz] gesehen", fügt Schumacher an. "Er dreht sich und kommt plötzlich auf die Strecke zurück. Wenn dann zehn Autos hinter ihm mit Vollgas ankommen, dann können solche Situationen potenziell schon sehr gefährlich sein."
2022 Veränderungen an der Strecke?
Laut dem Deutschen planen die Organisatoren aber schon Verbesserungsmaßnahmen für das kommende Jahr. "Das wäre gut, denn es gibt einfach zu viele Möglichkeiten, wo auf dieser Runde etwas schiefgehen kann. Und wir wollen nicht warten, bis etwas Schlimmes passiert."
Er würde sich wünschen, dass man die Mauern in den schnellen Vollgas-Kurven etwas versetzt, um besser sehen zu können, was vor einem passiert. "Das würde schon eine Menge helfen", sagt er. "Dann kann auch ein langsames Auto besser aus dem Weg fahren oder zumindest im Spiegel sehen, was hinter ihm passiert."
Denn das wird auch ein Punkt im heutigen Rennen sein: Schumacher wird vermutlich öfter in den Rückspiegel schauen müssen, um andere Fahrer überrunden zu lassen. Doch einfach auf die Seite fahren, ist schwierig, wenn ihm der Platz und vor allem die Übersicht fehlt. "Die Jungs werden etwas geduldiger sein müssen, weil wir nicht einfach verschwinden können", kündigt er an.
Ein Prozent Platz lassen
Williams-Pilot George Russell wünscht sich ebenfalls ein paar Veränderungen an den Streckenbegrenzungen, denn "aufgrund der Natur der Betonmauern musst du die Strecke mit etwas mehr Respekt als Monaco behandeln", sagt er. Denn während Leitplanken im Falle eines Unfalls etwas nachgeben, tun Betonblöcke dies nicht.
"Als Fahrer ist das nicht schön, vor allem wenn sie auch nicht perfekt abgerundet sind. Sie schauen am Scheitelpunkt etwas heraus, von daher muss man in jeder Kurve ein Prozent Platz lassen", so der Brite. "Das habe ich Michael [Masi] und den Streckendesigner bereits gesagt. Es wäre besser, wenn man perfekt abgerundete Mauern hätte."
Doch ungeachtet aller Kritik ist das erwartete Chaos bislang ausgeblieben. Der Guia Circuit in Macau ist für Lando Norris da deutlich schlimmer, denn dort gibt es im im Gegensatz zu Dschidda im Grunde überhaupt keine Auslaufzone.
Warum Saudi-Arabien nicht anfällig für Fehler ist
"Es liegt auch daran, wie glatt die Strecke ist", sagt der Brite. "In Macau machen die Leute Fehler, weil es Bodenwellen, Spalten, unterschiedliche Steigungen und unterschiedliche Beläge gibt. Aber das hier ist einer der ebensten Kurse, die ich je erlebt habe", sagt Norris.
"Das spielt definitiv eine große Rolle. Außerdem ist das Gripniveau in Macau extrem niedrig, während der Grip hier sehr hoch ist. Und wir sind Formel-1-Fahrer, während in Macau Formel-3-Fahrer unterwegs sind", sagt er. "Es ist flüssig und nicht so Start/Stop über Bodenwellen. Das verändert, wie einfach man Fehler machen kann."
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Die große Feuertaufe der Strecke kommt aber im Rennen am Sonntag, wo die letzten Sorgen nicht ausgeräumt sind. "Natürlich habe ich Bedenken", gibt Nikita Masepin zu. "Aber das ist der Preis unseres Jobs. Das ist, als würde ich mich beschweren, Journalist zu sein und zu viel Zeit vor dem Computer zu verbringen und meine Sehkraft zu verlieren. Das ist Teil unserer Arbeit."
Teamkollege Mick Schumacher bringt es auf den Punkt: "Wenn alles gutgeht, dann ist es großartig. Aber wenn nicht, dann bezahlen wir vielleicht den Preis."