Hamilton nach spätem Reifenwechsel und P5: "Ein bisschen frustrierend"
Lewis Hamilton wollte in Istanbul ohne Boxenstopp durchfahren, was laut Pirelli "ziemlich gefährlich" gewesen wäre - Wolff erklärt, wie Entscheidung zum Stopp fiel
(Motorsport-Total.com) - Mercedes-Pilot Lewis Hamilton hat den Grand Prix der Türkei 2021 in Istanbul von P11 in der Startaufstellung kommend als Fünfter beendet. Beim gleichzeitigen zweiten Platz von WM-Rivale Max Verstappen (Red Bull) hat Hamilton damit acht Punkte auf diesen eingebüßt und nun im Titelkampf, sechs Rennen vor Schluss der Saison, sechs Punkte Rückstand auf.
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Mit P5 in Istanbul ist Lewis Hamilton in der WM auf P2 hinter Max Verstappen gefallen Zoom Download
Bis in die 50. der 58 Rennrunden im Istanbul Park hatte es so ausgesehen, als könne Hamilton Dritter, oder zumindest Vierter, werden. Dann aber wurde er in der 51. Runde doch noch zum Reifenwechsel an die Mercedes-Box gerufen. Man wechselte von Intermediates auf neue Intermediates, da die Strecke während des gesamten Rennens nie komplett abgetrocknet war.
Hamilton war sich sicher, das Rennen ohne Boxenstopp über die Runden bringen zu können. Die Team- Entscheidung zum Stopp konnte er nicht nachvollziehen und äußerte dies kurze Zeit später via Funkspruch: "Warum zur Hölle haben wir die Position aufgegeben?" Antwort: "Wir wären eh zurückgefallen."
Im Dialog zwischen Hamilton und Mercedes via Funk ging es um Ferrari-Pilot Charles Leclerc, der letzten Endes Vierter wurde hinter Sieger Valtteri Bottas sowie dem Red-Bull-Duo Verstappen und Sergio Perez. Leclerc war wenige Runden vor Hamilton zum Wechsel auf neue Intermediates an die Box gekommen. Dennoch hatte Hamilton das Gefühl, ihn mit seinen deutlich abgefahreneren Intermediates hinter sich halten zu können.
Denn Leclercs frische Reifen fielen kurz nach dem Aufziehen in ein Performance-Loch. So konnte er nicht in Riesenschritten auf Hamilton aufholen. Als Hamilton aber wenige Runden später seinerseits zum Reifenwechsel gerufen wurde, musste man feststellen, dass genau dieses Performance-Problem der Intermediates auch ihn heimsuchte.
So hatte Hamilton letzten Endes keine Chance, Leclerc wieder zu überholen. Im Gegenteil: Es gelang ihm gerade so, als Fünfter vor Pierre Gasly ins Ziel zu kommen. Der AlphaTauri-Pilot hatte in der Anfangsphase des Rennens eine Fünf-Sekunden-Strafe kassiert, weil es in der ersten Kurve nach dem Start zur Kollision mit Fernando Alonso (Alpine) gekommen war. Ohne die Strafe gegen Gasly hätte Hamilton sogar die Top 5 verpasst.
Hamilton wollte ohne Boxenstopp durchfahren
"Wir hätten nicht reinkommen sollen! Ich habe es dir gesagt!", lautete ein weiterer Funkspruch Hamiltons, den er vier Runden vor Schluss absetzte. Am Mercedes-Kommandostand aber hatte man die Entscheidung zum Stopp nicht nur damit gerechtfertigt, dass Hamilton ohnehin hinter Leclerc zurückgefallen wäre, sondern auch damit: "Letzte Chance, dass wir vor Gasly bleiben können."
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Als Hamilton nach dem Rennen gefragt wird, ob er das Gefühl hatte, mit seinem Satz Intermediates vom Start bis ins Ziel durchfahren zu können, antwortet er: "Na ja, ich habe gehört, dass Ocon durchgefahren ist. Deshalb würde ich mal sagen, dass sie wahrscheinlich hätten halten können."
Dem entgegnet man seitens Pirelli, dass ein Durchfahren ohne Boxenstopp absolut am Limit gewesen wäre. "Am Ende des Rennens war im Grunde nur noch die Konstruktion der Reifen übrig. Es ist schon ziemlich gefährlich, die Grenzen so auszuloten", sagt Mario Isola. Ein Bild der Reifen am Alpine von Esteban Ocon, aufgenommen im Parc Ferme, bestätigt diese Einschätzung.
Wie lief die Entscheidungsfindung bei Mercedes, ob man Hamilton an die Box holt oder nicht, im Detail ab? "Es ist natürlich im Auto ganz schwer zu verstehen, wie die Situation ist", sagt Mercedes-Teamchef Toto Wolff gegenüber 'ServusTV' und erklärt: "[Hamilton] wollte erst draußenbleiben. Da waren wir aber eineinhalb Sekunden langsamer als der Rest, mit Gefahr auf mehr. Denn Leclerc ist plötzlich ganz langsam gefahren."
"Du weißt halt nicht, wie lange die Reifen halten", sagt Hamilton. "Somit gibt es natürlich ganz klar die Sorge um die Lebensdauer. Am Schluss hatte ich zu kämpfen, denn es gab extrem wenig Grip. Rückblickend hätte ich wohl besser draußenbleiben sollen oder aber deutlich früher an die Box kommen sollen. Denn wenn du erst acht Runden vor Schluss reinkommst, hast du keine Zeit mehr, die Graining-Phase dieses Medium-Reifens auf einer abtrocknenden Strecke richtig zu durchlaufen."
Deshalb sei ihm am Ende "klar gewesen, dass ich noch mehr verlieren würde", so Hamilton, dessen abschließendes Urteil lautet: "Es ist ein bisschen frustrierend, aber ändern können wir es jetzt auch nicht mehr. Als ich an dritter Stelle lag, fühlte ich mich richtig gut und dachte: Wenn ich diese Position einfach halten kann, dann ist das ein großartiges Ergebnis vom elften Startplatz kommend. Letzten Endes ist es nicht ganz so gut ausgegangen. Andererseits hätte es aber auch schlimmer kommen können."
Toto Wolff: "Wir haben gegambelt"
Wolff meint: "Ich glaube, die Entscheidungen waren so richtig. Wir haben gegambelt auf eine entweder auftrocknende Bahn, oder aber das bis zum Ende auszuhalten. Dann aber war's so langsam, dass wir die Position verteidigen mussten, auch gegen Gasly."
"Es ist ganz schwierig", bemerkt Wolff zur Entscheidungsfindung zwischen Fahrer und Team in einer solchen Situation: "Die 'Winning Combination' ist natürlich, wenn die Kommunikation zwischen Fahrer und Engineering optimal läuft. Das heißt: Wir wissen genau, dass der Fahrer meint und was er sagt. Und gleichzeitig versteht er, dass wir das große Bild im Griff haben."
"Das ist etwas, was man einfach immer noch verfeinern muss", so Wolff. "Man hat es heute auch wieder gesehen: 'Wie fühlst du dich auf der Strecke? Alles super, ich bleib draußen.' Aber die Rundenzeit ist einfach viel zu langsam. Daran muss man einfach arbeiten, immer wieder."
Mit dem Wissen, das man nach dem Rennen hat: Was wäre laut Wolff rückblickend die ideale Entscheidung gewesen? "Die richtige Entscheidung wäre wahrscheinlich gewesen, es sehr konservativ anzugehen und an die Box zu fahren, als alle für die Intermediates an die Box kamen. Dann wären wir hinter Perez herausgekommen, wahrscheinlich hinter Leclerc, und hätten dann mit ihnen auf der Strecke um Platz drei gekämpft. Das wäre wahrscheinlich das Richtige gewesen, aber das kann man nur im Nachhinein sagen", so der Mercedes-Teamchef gegenüber 'Sky Sports F1'.
Wolff sieht WM-Situation (noch) gelassen
Die WM-Situation, in der Hamilton am Sonntag in Istanbul acht Punkte auf Verstappen verloren hat und jetzt sechs Punkte hinter diesem nur noch Tabellenzweiter ist, sieht Wolff (noch) gelassen. "Red Bull hat sich sehr gefreut, dass sie am vergangenen (Renn-)Wochenende mit einer Strafe nur sieben Punkte verloren haben", spricht er auf Verstappens Grid-Strafe beim Russland-Grand-Prix in Sotschi an.
"Wir haben heute acht Punkte verloren. Insofern ist das keine Katastrophe, aber es wäre besser gegangen", sagt Wolff und blickt voraus: "Sechs Punkte machen im Moment nichts aus, können aber am Ende etwas ausmachen. Im Moment ist es der Unterschied zwischen einem ersten und einem zweiten Platz. Insofern muss man das einfach Rennen für Rennen nehmen und den bestmöglichen Job abliefern."
Sechs Rennen stehen in der Formel-1-Saison 2021 noch auf dem Plan. Das direkt nächste findet am 24. Oktober auf dem Circuit of The Americas in Austin statt.