WM-Führung verloren und doch Matchwinner: So kam Verstappen auf P2
Max Verstappen fährt im Regenchaos bis auf Platz zwei vor und übertrifft damit Red Bulls Idealszenario - Was in den letzten Runden geschah
(Motorsport-Total.com) - Die WM-Führung ist wieder futsch, trotzdem darf sich Max Verstappen als moralischer Gewinner des Großen Preises von Russland 2021 sehen - und vor allem des Regenchaos am Schluss. Vor dem Regenschauer sah es so aus, als würde Verstappen mindestens zehn, wenn nicht gar 17 Punkte auf Lewis Hamilton verlieren. Nun sind es nur deren sieben, und die Motorenstrafe ist abgesessen.
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Max Verstappen packt es noch im Regen: Platz zwei vom letzten Startplatz in Sotschi! Zoom Download
Doch wie kam es, dass Verstappen vier Plätze gutmachte, während sich die TV-Bilder auf das Duell um den Sieg konzentrierten? Klar, einen Platz gab es von Lando Norris geschenkt. Einen weiteren gab Sergio Perez her, der (auf eigene Entscheidung, siehe unten) draußen blieb und daher nur Neunter wurde.
Daniel Ricciardos Crew verbockte den Boxenstopp, doch Verstappen war bereits auf der Inlap vorbeigegangen. Auf der regnerischen Fahrbahn stellte er erneut sein Talent unter Beweis. Sowohl Ricciardo (Kurve 8) als auch Sainz (Kurve 14) rutschten von der Strecke. Verstappen konnte in Kurve acht das Fahrzeug auch kaum halten, doch er rutschte nicht so weit raus wie Ricciardo.
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Das letzte Geschenk gab es von Fernando Alonso, der ebenfalls auf Slicks bleiben wollte, damit aber ins Klo griff. Somit war Verstappen plötzlich Zweiter, 53,271 Sekunden hinter Rennsieger Lewis Hamilton. "Das kam ein bisschen aus dem Nichts", gibt er nach dem Rennen zu.
Reifenwechsel war Verstappens Entscheidung
Den Wechsel auf Intermediates an der Schwelle von Runde 48 zu 49 kann er sich ans eigene Revers heften. "Am Crossover-Punkt ist es immer die Entscheidung des Fahrers, weil er das Gefühl hat", sagt Christian Horner. "Wir können lediglich sehen, was von oben kommt. Es wurde lediglich angezeigt, dass es regnet, aber nicht, wie viel, ob es aufhört oder beginnt. Es war sehr schwierig, das zu entziffern."
Funkverkehr von Verstappen, Runde 47: "Vorsicht ab Kurve 2, könnte nass sein", wird der Red-Bull-Pilot gewarnt. Und: "Vergiss nicht, es ist deine Entscheidung, wann wir auf Inters gehen." Verstappen meldet an: "Sehr rutschig, aber ich denke nicht, dass wir stoppen sollten."
Eine Runde später auf der Inlap Runde 48, als er die zwei Plätze gegen Ricciardo und Sainz gutmachte, ändert er seine Meinung: "Ich verliere hier echt Zeit, wir sollten stoppen! Hier fliegen Leute rechts und links ab." Er hat den Satz noch nicht beendet, da heißt es: "Box, Max, bestätigen."
Verstappen traf die richtige Entscheidung genau zum richtigen Zeitpunkt, wie er selbst sagt: "Es war sehr schwierig auf der Inlap, zu entscheiden, ob wir auf Inters gehen wollen. Das Team hat mich ständig gefragt, wie die Bedingungen sind und was ich machen wolle."
In solchen Fällen sei Kommunikation sehr wichtig, fügt er hinzu, betont aber auch: "An einigen Stellen konnte ich den Knopf für den Funk gar nicht betätigen, weil ich das Auto auf der Strecke halten musste. In der Runde zuvor hatte ich noch gedacht, dass wir zu Ende fahren, weil wir nur acht bis neun Sekunden verloren haben."
"Dann war es auf einmal richtig rutschig. Es wurde so schwer zu fahren, dass ich sagte, dass wir an die Box kommen müssen. Wären wir eine Runde früher reingekommen, hätten wir die Inters wohl im letzten Sektor zerstört, weil noch zu viele Stellen trocken waren."
"Das Resultat hätte ich definitiv nicht erwartet, als ich heute Morgen aus dem Bett gestiegen bin", sagt er. "Mit der Strafe nur einen Platz zu verlieren, ist auf jeden Fall nicht schlecht."
"Es ist wie ein Sieg für uns", pflichtet ihm Horner bei. "Von Platz 20 in der Startaufstellung auf Platz zwei zu kommen... Wenn uns das einer vor dem Wochenende angeboten hätte, hätte ich das kaum geglaubt. Nach zwei Mercedes-Strecken mit lediglich zwei Punkten Rückstand in der Fahrerwertung herauszukommen, macht sehr viel Mut."
Gute erste Rennhälfte, doch dann...
Von vorne: Wichtig war von Startplatz 20 zunächst einmal, heil durch die Startphase zu kommen. "Wenn man von ganz hinten startet, kann in der ersten Runde und auch noch im ersten Stint jede Menge passieren, wenn jeder gegen jeden kämpft. Da muss man sich aus allem raushalten und sauber bleiben. Ich denke, das ist uns ganz gut gelungen."
Als Lewis Hamilton im ersten Stint in einem Fahrzeugpaket hinter George Russell festhing, schien es sogar so, als könne Verstappen den Kampf zum WM-Führenden tragen. Er hatte ihn sogar bereits in Sichtweite.
Dabei half ihm ein Set-up mit wenig Abtrieb, was anhand des Heckflügels gut sichtbar war. "Wir sind im Vergleich zu Freitag mit etwas weniger Abtrieb ins Rennen gegangen", erklärt Horner. " Er hat ein paar Runden [am Freitag] hinter Nicholas Latifi gehangen und gesagt, es sei unmöglich [zu überholen]. Das hatte großen Einfluss auf unser Set-up. Wir mussten ihm ausreichend Speed auf den Geraden geben. Das hat sich ausgezahlt."
Doch mit dem regulären Stopp wendete sich das Blatt zu Verstappens Ungunsten. Hamilton, so schien es, würde Erster oder Zweiter werden. Verstappen hing auf Rang sechs fest, als er sich Fernando Alonso beugen musste. Und von hinten kamen noch mehrere Fahrer mit frischeren Reifen.
Was war los? "Meine Reifen waren erledigt", so der 23-Jährige. Ich habe so lang im Verkehr gesteckt und gekämpft. Vorne links war einfach tot. Vielleicht wäre es besser gewesen, auf dem Medium zu starten. Ich hätte aber auch nicht erwartet, dass der Harte so schnell nachlässt."
Horner ergänzt: "Er ist in eine Graining-Phase geraten wie andere Fahrzeuge vor ihm auch. In seinem ersten Stint hatte er viel freie Fahrt und war extrem schnell. Aber so lange hinter anderen Autos herzufahren, vor allem in langgezogenen Kurven wie Kurve 3, hat die Vorderreifen überlastet. Die Reifen waren gerade dabei, sich zu erholen. Deshalb kam er auch wieder an Fernando heran."
Regulärer Stopp für Verstappen nicht zu früh
Generell habe es einen Mangel an Strategieoptionen gegeben, wie Verstappen findet: "Die Boxengasse hier ist so langsam und man verliert so viel Zeit, dass man keine Zweistoppstrategie fahren kann. Ich hatte kaum eine Wahl. Mir war beim Boxenstopp klar, dass es bis zum Ende sehr hart werden würde."
Horner zufolge wäre Platz fünf das Idealszenario in den Berechnungen gewesen, wenn es ein komplett reguläres Rennen gegeben hätte. Bekanntermaßen setzte der Regen noch ein und Verstappen holte sich 18 Punkte ab.
Er weiß selbst, dass er sich als Matchwinner fühlen kann: "Realistisch betrachtet wäre das wohl das bestmögliche Ergebnis für uns gewesen, selbst wenn wir von weiter vorne gestartet wären, sagen wir Platz drei oder vier. Wir haben also nicht wirklich etwas verloren. Aber wir haben einen frischen Motor als Bonus."