Haas-Ingenieur: Wollen unsere Fahrer "nicht wie Kinder behandeln"
Haas-Chefingenieur Ayao Komatsu spricht ausführlich über die Spannungen zwischen Mick Schumacher und Nikita Masepin - P18 und P20 im Monza-Qualifying
(Motorsport-Total.com) - "Bei Haas fliegen die Fetzen" war am vergangenen Rennwochenende zu lesen. Die Fehde zwischen Mick Schumacher und Nikita Masepin zieht sich, so viel lässt sich vor dem 14. Grand Prix ihrer Debütsaison sagen, wie ein roter Faden durch das Jahr 2021. Chefingenieur Ayao Komatsu versucht, die Sichtweise des Haas-Teams auf den schwelenden Konflikt der Rookies darzulegen.
"Wir wollen ihnen so viel Freiheit wie möglich geben, sowohl Günther als auch ich selbst. Wir sind ein Rennstall", betont der Japaner. "Wenn wir zu unseren Fahrern sagen würden: 'Schaut her, wir vertrauen euch nicht, daher gibt's eine Teamorder, ihr könnt nicht überholen bis Runde so und so.' Okay, das kann man machen", sieht er ein.
"Aber", betont er, "das hilft niemandem. Sie müssen lernen, hart aber mit Respekt Rennen zu fahren. Es gibt Dinge, die man machen kann, und Dinge, die man besser lassen sollte unter Teamkollegen", weiß der erfahrene Ingenieur. "Aber wir wollen sie nicht wie Kinder behandeln."
"Good Boy" gegen "Bad Boy": So begannen die Spannungen
Diese Sichtweise deckt sich mit Aussagen von Teamchef Günther Steiner. Der Südtiroler hat in dieser Saison eine schwierige Aufgabe. Er muss nicht nur mit unterlegenem Material gegen die rote Laterne in der Konstrukteurs-WM ankämpfen, sondern sich vor allem als Mediator versuchen.
Denn seit Haas die Fahrerpaarung für diese Saison bekannt gegeben hat, bauten sich Spannungen auf. Der Russe Masepin wurde nach der "Grapsch-Affäre", anfänglichen Fehlern auf der Strecke, teils unüberlegten Manövern und Aussagen danach schnell als "Bad Boy" abgestempelt.
Schumacher hingegen ließ die Herzen vor allem der deutschen Fans höher schlagen, erinnert er doch an seinen großen Vater, Rekordchampion Michael Schumacher. Die bedachte und zurückhaltende Art des Deutschen steht im harten Kontrast zu seinem Teamkollegen. Ihm wird oftmals die Rolle des "Good Boy" in dieser Geschichte zugeschrieben.
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Eine Mischung, die zunehmend explosiv wirkt. Bereits im März musste Steiner einsehen: "Mick ist der perfekte Schwiegersohn: nett, arbeitet hart, fleißig. Nikita ist glaube ich ein bisschen emotionaler. Er ist mehr der Angreifer, direkter als Mick." Der Teamchef weiß: "Sie sind nicht die größten Freunde."
Schumacher und Masepin kannten sich schon vor ihrem Engagement beim US-Team aus den Nachwuchsserien. "Er war in Duellen ziemlich aggressiv", erinnerte sich der Deutsche in Bahrain an Zweikämpfe zurück. Vor dem Saisonstart betonte er auch: "Der Respekt ist da."
Davon scheint nun nicht mehr allzu viel übrig geblieben zu sein. Denn spätestens seit dem Grand Prix von Aserbaidschan hat die Beziehung der beiden Risse bekommen, seither sind die Gemüter erhitzt. Was war passiert? Schumacher überholte Masepin auf den letzten Metern im Rennen, der zuckte gefährlich rüber.
Komatsu: "Es liegt an euch, das unter euch zu klären"
Es folgte eine erste teaminterne Aussprache zwischen den beiden. "Es gab ein Missverständnis, aber alles ist gut und wir haben das hinter uns gelassen", ließ Steiner damals wissen. Doch für seinen deutschen Schützling war eine Grenze überschritten worden. Er zeigte sich auch Wochen später noch "erstaunt".
Masepin hingegen wollte von einem "Vorfall" nichts wissen. Nach diesem ersten Beinahe-Zwischenfall sorgte nur wenige Wochen später ein Manöver des Russen im Grand Prix von Frankreich für weiteren Unmut bei Schumacher. Auch in Interviews wurde sein Ton schärfer.
"Ich glaube, dass das wahrscheinlich so sein Stil ist, dass wir uns auf dem Level vielleicht nicht ganz verstehen." Und: "Im Endeffekt müssen wir da vielleicht alle unsere Ellbogen ausfahren", meinte der Rookie. Der Teamchef sah hingegen nur "hartes Racing", das keineswegs "unfair" war.
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Wieder war erkennbar, dass sich die Teamführung aus den Scharmützeln - zumindest öffentlich - zum Großteil heraushielt. "Wir erwarten von ihnen, dass sie es selbst realisieren. Wir haben unseren Standpunkt klargemacht. Wir haben gesagt: 'Es liegt an euch, das unter euch zu klären. Wenn ihr das nicht könnt, müssen wir Regeln einführen'", schildert Komatsu.
Davon möchte der Haas-Rennstall aber nur in allerletzter Konsequenz Gebrauch machen. "Denn das würde bedeuten, dass wir nicht Rennfahren", merkt der Japaner an. "Natürlich fahren wir Rennen und sind sehr nah beieinander. Da passiert so etwas nun einmal", das sagte Schumacher nach einer weiteren heiklen Szene.
Im Grand Prix von Großbritannien gerieten die Haas-Piloten, die aufgrund des unterlegenen Materials zwangsläufig meist am Ende des Feldes in kurzer Distanz zueinander starten, erneut aneinander. Im Sprint in Silverstone kam es gar auch physisch zu einer Berührung.
Ingenieur betont: "Wollten Nikita nicht benachteiligen"
Dies sollte allerdings nicht der letzte Zwischenfall bleiben. Den bisherigen Höhepunkt der teaminternen Querelen markieren ein Missverständnis im Qualifying zum Grand Prix der Niederlande und ein erneut heikles Manöver Masepins im anschließenden Rennen in Zandvoort.
Im Zeittraining überholte Schumacher seinen Teamkollegen auf der Outlap vor dem letzten Q1-Versuch, dieser warf ihm daraufhin vor, die interne Absprache über die Reihenfolge gebrochen zu haben. Komatsu erklärt: "Hätten wir nicht versucht, alles herauszuholen und das Bestmögliche zu erreichen, hätten wir die Positionen nicht getauscht."
Doch da der Deutsche Schwierigkeiten beim Aufwärmen der Reifen hatte, erlaubte das Team den Platztausch - was Masepin allerdings zu jenem Zeitpunkt nicht wusste. "Wir haben uns den vorherigen Run angesehen und dachten, es wäre das Beste, wenn wir tauschen, und das taten wir dann auch."
Dem Chefingenieur ist wichtig festzuhalten: "Das haben wir nicht getan, um Mick zu bevorzugen oder Nikita zu benachteiligen. Das müssen beide verstehen." Denn auch wenn Haas in dieser Saison nur um die letzten Positionen kämpfe, wolle man dennoch das Beste aus jeder Situation herausholen.
"Macht man das nicht, dann braucht man auch gar keine Rennen mehr fahren", merkt Komatsu an. Er gesteht allerdings auch, dass das eine "schwierige" Situation gewesen sei. Nach dem Qualifying fand ein Gespräch mit den Fahrern statt. Schon zuvor teilte Masepin öffentlich gegen seinen Teamkollegen aus.
Er bezeichnete Schumacher als "dreist". Der Deutsche habe nun "sein wahres Gesicht" gezeigt. Mit seinem Manöver in der ersten Rennrunde des Grand Prix sorgte Masepin auch schon für die nächste Kontroverse. Wieder zuckte er bei hohen Geschwindigkeiten in letzter Sekunde in Richtung Schumacher.
Komatsu: "Ich hoffe, dass sie reif genug sind ..."
Er sehe dabei "keine Probleme", kommentierte der 22-Jährige seine Aktion danach, "aber ich möchte vorne sein". Schumacher zeigte sich darüber nicht erfreut, wieder sei er "sehr sauer" gewesen, gestand er. "Wir werden dieses Problem auch aus der Welt schaffen. Wie es uns schon mit vielen anderen gelungen ist", kündigte Steiner daraufhin an.
Es folgten erneut zwei Aussprachen - eine am Sonntag direkt nach dem Rennen in Zandvoort, eine weitere am Donnerstag in Monza. "Wir hatten eine harte Diskussion nach dem Rennen", schildert Komatsu. "Am Donnerstag haben Günther, die beiden Fahrer und ich noch einmal miteinander gesprochen", bestätigt er.
Der Standpunkt des Teamchefs ist einmal mehr klar. Er möchte sich so wenig wie möglich in das interne Duell einmischen. "Ich könnte jetzt sagen: 'So wird's gemacht, und nicht anders!' Das will ich aber nicht. Ganz bewusst nicht. Sonst lernen sie ja nie, wie man Rennen fährt."
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Solche Aussprachen würden zwar "keinen Spaß" machen, gibt Komatsu zu, aber "es musste [alles] gesagt werden." Der Chefingenieur ist froh darüber, wie das Team sich nach dem vergangenen Rennwochenende gesammelt hat. Allerdings ließ es sich Masepin nicht nehmen, in Italien noch einmal verbal nachzulegen. Schumacher beeindruckte das nicht.
"Ich hoffe, dass sie reif genug sind, sich gegenseitig zu respektieren und sich auf der Rennstrecke korrekt zu verhalten", wünscht sich Chefingenieur Komatsu für die Zukunft. Von anhaltenden Spannungen will er in Italien nichts mitbekommen haben.
Er habe mit beiden Fahrern vor dem Qualifying am Freitag gesprochen. Beide seien "okay" gewesen. "Und auch im Qualifying haben sie sich gut verhalten." Er habe "keine Beschwerden" gehört.
Schumacher auf P18: "Runde war nicht so toll"
Im Zeittraining auf der Hochgeschwindigkeitspiste hatte er erwartet, dass beide Rookies "Schwierigkeiten haben" würden. Denn nach einer Strecke wie Zandvoort, auf der maximaler Abtrieb gefordert ist, fahren die Neulinge in Monza mit komplett konträrem Set-up und möglichst wenig Downforce.
"Zum ersten Mal fahren beide mit einem solchen Low-Downforce-Paket in der Formel 1." Hinzukommt, dass Schumacher und Masepin nur eine Stunde Trainingszeit zur Verfügung hatten, bevor es bereits ins Qualifying ging. Während der Russe einen guten Start erwischte, war der Deutsche "nicht glücklich" mit dem VF-21.
"Dennoch hat er realisiert: 'Okay, das hat mehr zu tun mit dem Abtriebslevel, dem Grip, statt der Balance des Autos'. Daher verfiel er nicht in Panik. Er hat sich die Daten und Vergleiche angesehen." Daher konnte der Deutsche am Ende ebenso Selbstvertrauen im Auto finden.
"Obwohl wir also unterschiedliche Ausgangslagen vorfanden, haben beide im Endeffekt einen guten Job gemacht", ist Komatsu mit seinen Rookies zufrieden. Im Zeittraining habe vor allem Schumacher "gute Arbeit" geleistet, unterstreicht er.
Der Deutsche konnte sich im dritten Versuch auf weichen Reifen auf dem 18. Rang noch vor Masepin und Robert Kubica (Alfa Romeo) einreihen, er war knapp eine halbe Sekunde schneller als der Russe. "Er selbst hat allerdings gemeint, dass seine Runde nicht so toll war", merkt der Chefingenieur an.
Wie das? "Er hat zugegeben, dass er nicht ganz am Limit fahren konnte." Komatsu gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass der Haas-Bolide in diesem Jahr generell kein "einfach zu fahrendes" Auto sei. Und dass eine Stunde Trainingszeit zu wenig sei.
Das wirkte sich auch auf Masepins dritten Q1-Versuch aus. "In Kurve 3 hat er ein bisschen zu viel gewollt in die zweite Schikane rein. Dadurch blockierten seine Hinterräder und er hatte Übersteuern. Das war schade. Aber er hat niemandem die Schuld gegeben [außer sich selbst]."
"Wenn man all das bedenkt, bin ich einigermaßen zufrieden." Denn Haas rechnete schon mit einem noch größeren Rückstand, auch wenn rund drei Zehntelsekunden auf das restliche Feld fehlen.