Mercedes nimmt Gridstrafe in Kauf: Bottas erhält vierten Motor in Monza
Nicht nur Red Bull denkt schon am Grand-Prix-Wochenende in Italien über einen Motorwechsel nach, auch Mercedes: Bei Valtteri Bottas wird #4 gezündet
(Motorsport-Total.com) - Vor dem 14. Rennwochenende der Formel-1-Saison 2021 haben die meisten Piloten ihr Motorenkontingent für dieses Jahr bereits ausgeschöpft. Auch die Topfahrer sind auf der Powerstrecke in Monza bereits mit ihrer dritten - und damit finalen - Power-Unit unterwegs. Mercedes hat bei Valtteri Bottas nun gar schon auf Nummer 4 gewechselt.
Der Finne, der am Freitag auf die vorläufige Poleposition fahren konnte, erhielt davor zum Grand Prix von Italien einen komplett neuen Antriebsstrang von Mercedes: ein neuer Verbrennungsmotor, ein neuer Turbo, eine neue MGU-H-Einheit und eine MGU-K-Einheit wurden im Heck des W12 verbaut.
"Wir haben da wieder was entdeckt, ein Leck. Was zumindest so aussieht, dass man kein Risiko eingehen will, weil die Meisterschaft sowohl bei den Fahrern als auch bei den Konstrukteuren entscheidet sich über die DNFs, und die müssen wir in jedem Fall vermeiden", erklärt Toto Wolff die Entscheidung im 'ORF'-Interview.
Auch Hamilton & Verstappen brauchen einen vierten Motor
Der Vorteil des neuen Aggregats sei "minimal", merkt der Mercedes-Teamchef an. "Wir haben schon Abbau, aber nicht so viel. Also am Motor ist wenig um." Dennoch konnte Bottas die Konkurrenz (bis auf Teamkollegen Lewis Hamilton) auf dem Hochgeschwindigkeitskurs um vier Zehntel hinter sich lassen.
Bottas nimmt damit eine Strafversetzung aus Vorsicht in Kauf und wird das Rennen am Sonntag von ganz hinten in Angriff nehmen. Denn im Rekordjahr 2021 darf jeder Fahrer nur drei Motoren verwenden, ansonsten werden Gridstrafen verhängt.
Da nun fast alle Piloten am Limit angelangt sind (Hier geht's zur Übersicht!), überlegen die Topteams nun schon früh in der zweiten Saisonhälfte aus taktischen Gründen zu wechseln.
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Die Highspeedstrecke in Monza bietet sich dafür an: eine Strecke, auf der eine Rückversetzung in der Startaufstellung nicht so sehr schmerzt, da überholen auf den langen Geraden möglich ist. Außerdem kann der Fahrer im Sprint dennoch ein paar Punkte einfahren.
Klar ist: Sowohl Hamilton als auch Max Verstappen werden im Verlauf der zweiten Saisonhälfte ebenso noch einen vierten Motor brauchen. Der Niederländer verlor durch die Kollision mit seinem WM-Gegner nach dem 51g-Einschlag in Silverstone eine komplette Power-Unit.
Der Brite musste hingegen ein Aggregat nach seinem Motorschaden am Trainingsfreitag in Zandvoort abschreiben. Jener Motor, den der Brite im Freien Training eingesetzt hatte, war ein älteres Modell und am Ende des Lebenszyklus angekommen.
Wolff weiß: "Du darfst natürlich auch nicht super clever sein"
Damit steht fest, dass beide WM-Kontrahenten aktuell nur noch zwei intakte Motoren zur Verfügung haben. "Ich glaube, wir haben alle Probleme mit den Aggregaten", meint Wolff gegenüber 'Sky' noch vor dem Quali. "Und vielleicht nicht nur mit der Zuverlässigkeit, sondern auch damit, wie stark diese Aggregate abbauen."
Er betont noch vor der Bekanntgabe des Bottas-Tauschs, dass Mercedes definitiv in Betracht ziehe, beide Fahrer schon in Italien auf den vierten Motor umzustellen. Die beiden Piloten erhielten erst in Belgien nach der Sommerpause ihren jeweils dritten Motor aus Brixworth.
Durch den Rennabbruch in Spa-Francorchamps sparten alle Teams Laufleistung ein. Doch um in den restlichen neun Rennen genügend Spielraum zu haben, wird ein baldiger Wechsel immer wahrscheinlicher.
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"Das ist ganz interessant, weil du darfst natürlich auch nicht super clever sein", wirft Wolff im 'ORF'-Interview ein. "Weil vielleicht hast du eines von den nächsten Rennen, das so schlecht verläuft, dass du eh weit hinten bist und dann nimmst du den Motor."
Diesen Schachzug hat Red Bull mit Sergio Perez bereits in den Niederlanden vollzogen. Der Mexikaner verpasste den Einzug ins Q2 im Qualifying. Statt von P16 startete er nach einem Motorwechsel direkt aus der Boxengasse.
Der Mercedes-Teamchef gibt auch zu bedenken, dass sich seine Mannschaft im äußerst engen Duell um die Weltmeisterschaft keinesfalls einen Ausfall aufgrund eines weiteren Motorschadens leisten könne. Denn ein Ausfall würde bedeuten, dass man vier Rennen brauchen würde, um wieder aufzuholen, rechnet er vor.
Marko verrät: Verstappen kann warten "bis nach Mexiko"
"Das ist brutal. Man kann es sich also leisten, viermal Zweiter zu werden. Man muss daher auf Nummer sichergehen, während man keine Performance aufgibt." Für den Österreicher ist daher klar: Die Weltmeisterschaft entscheidet sich dadurch, "wer ausfällt" und wer nicht.
Darauf angesprochen, ob Mercedes abwartet, was Verstappen macht, winkt Wolff ab: "Nein, ich glaube, du musst deinen eigenen Weg gehen." Ein wenig anders sieht das Helmut Marko. Sollte Hamilton auch in Monza tauschen, dann sei das "ein Aspekt, der für uns auch überlegenswert ist", erklärt er im 'ORF'-Gespräch vor dem Qualifying.
Wie auch Mercedes betont aber auch der Red-Bull-Motorsportkonsulent, dass die Entscheidung vom Qualifying- und Sprint-Ergebnis abhänge. "Wir haben es nicht eilig. Von der Kilometerleistung können wir warten bis nach Mexiko", verrät der Steirer. Das wären inklusive Italien noch ganze fünf Grands Prix.
Außerdem merkt der Ex-Rennfahrer an: "In Monza schaut es so aus, dass das Überholen leicht wäre, ist es aber nicht. Das hat man voriges Jahr gesehen, wie sich Mercedes nach dem verpatzten Boxenstopp irrsinnig schwer getan hat. Also wenn es nicht Muss ist, werden wir hier sicher nicht wechseln."
Hat der Motortausch bei Bottas nun eine Auswirkung auf die Überlegungen der Bullen? "Nein, wir sind in einer guten Position", merkt Marko nach dem Zeittraining an. "Wir können in beiden Rennen aufs Podium fahren."
Verstappen konnte sich hinter Hamilton auf dem dritten Platz für den Sprint qualifizieren. "Es würde was ändern, wenn wir im Sprint eine Kollision oder irgendwas Technisches haben, dass wir am Ende des Feldes sind. Dann ist es eine Überlegung wert."
Wurz analysiert: Wechsel "noch ein bisschen zu früh"
Für Ex-Rennfahrer und TV-Experten Alexander Wurz käme ein Wechsel bei beiden Topteams in Italien zu früh. "Ich würde sagen, dass ist fast ein bisschen zeitig. Mein Gefühl sagt mir, es ist noch ein bisschen zu früh", analysiert er im 'ORF'.
Red Bull rät er, auf eine Strecke zu warten, die dem RB16B besonders gut liegt. "Ich denke Austin zum Beispiel für Red Bull wäre eine tolle Strecke, um zu wechseln. Aber noch willst du das nicht entscheiden."
Wurz gibt außerdem zu bedenken, dass aufgrund der anhaltenden Pandemie noch gar nicht klar sei, auf welchen Strecken überhaupt noch gefahren werden wird in dieser Saison.
Die "unberechenbare Situation" könnte sich demnach ebenso auf den WM-Kampf zwischen Red Bull und Mercedes auswirken.