George Russell: So hat er seinen Funkspruch gemeint
Warum Williams-Fahrer George Russell beim Formel-1-Rennen in Ungarn sein Team aufforderte, ihn selbst zugunsten des Teamkollegen zu benachteiligen
(Motorsport-Total.com) - "Wenn ihr mein Rennen beeinträchtigen müsst, um Nicky zu helfen, dann macht das. Setzt die Priorität auf Nicky." Das funkte Williams-Fahrer George Russell im Ungarn-Grand-Prix an sein Team. Er lag zu diesem Zeitpunkt hinter seinem Teamkollegen Nicholas Latifi. Aber wie erklärt Russell eigentlich diesen so selbstlosen Funkspruch?
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George Russell im Williams-Mercedes FW43B beim Grand Prix von Ungarn Zoom Download
Rückblickend sagt der Brite, er habe das nicht nur so dahingesagt, sondern "wirklich gemeint". Er habe die aus Williams-Sicht besondere Situation erkannt und die Chance auf ein Sensationsergebnis gesehen. "Ich bin eben ein Teamplayer", sagt Russell. "Das Teamergebnis ist mir wichtiger als mein individuelles Abschneiden."
Latifi lag zu Beginn im letzten Formel-1-Rennen vor der Sommerpause bis Runde 22 auf Platz drei. "Damit könnten wir P8 in der Gesamtwertung sicherstellen", meint Russell. Ein solches Szenario hatte er zumindest vor Augen, als er auf Position sieben den Funkspruch an sein Team absetzte.
Russell hätte schlechte Strategie genommen
"Ich wäre zum Beispiel gerne länger auf der Strecke geblieben, um die Leute vor mir daran zu hindern, einen Undercut [gegen Latifi] zu versuchen oder einen Boxenstopp einzulegen. So hätte zumindest einer von uns gute Punkte mitgenommen."
Tatsächlich holte ihn Williams aber schon in Runde 21 an die Box, Latifi folgte zwei Runden später. So wurde es nichts mit einem Podestergebnis, wohl aber mit Punkten für beide Fahrer: Latifi belegte bei Rennende P8 auf der Strecke vor Russell. Aufgrund der Disqualifikation von Sebastian Vettel wurden daraus die Plätze sieben und acht.
Was Russell in der Box probiert hat
Russell hätte gerne mehr daraus gemacht, schon früher im Rennen: Nach der turbulenten Anfangsphase mit Startcrash und Regen hatte er beim kollektiven Reifenwechsel von Intermediates auf Slicks seine große Chance gewittert.
Er beschreibt es als eine "schräge Situation", die sich ihm da offenbart habe: "Alle haben sich ausgangs der Boxengasse aufgestellt. In außergewöhnlichen Umständen kannst du Autos in der Boxengasse überholen. Ich wusste nicht genau, wie ich mich verhalten sollte, aber ich sah eine Möglichkeit. Ich dachte mir: Komm, das probierst du jetzt."
Für ihn sei das eine schlichte Risikoabwägung gewesen. "Und die potenzielle Belohnung war einfach größer", meint Russell. "Manchmal musst du halt mal was riskieren, wenn so viel auf dem Spiel steht."
Klare Antwort vom Team, aber ...
Also fuhr Russell nach seinem Reifenwechsel an der Autoschlange vorbei und setzte sich an deren Spitze, sodass er als Führender aus der Boxengasse kam. Das aber ist nicht erlaubt. Und das erfuhr Russell just in diesem Moment. Da war es aber schon zu spät.
"Beim Wegfahren von der Box hatte ich nachgefragt: Kann ich diese Autos überholen? Und als ich schon überholte, verneinte das Team meine Frage. Ich wusste also schon ziemlich bald Bescheid."
Die Konsequenz folgte kurz darauf: Williams wies seinen Fahrer an, sich zurückfallen zu lassen. Sein "Risiko" machte sich nicht bezahlt.
Russell rückblickend: Bereue nichts!
"Ich ärgere mich aber nicht", sagt Russell, "weil jeder Fahrer in meiner Position so gehandelt hätte. Und unterm Strich haben wir [auf der Strecke] sechs Punkte geholt."
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"Ich schaue ohnehin immer nach vorne. Wenn etwas erledigt ist, dann ist es erledigt und nicht mehr zu ändern", erklärt der Williams-Fahrer weiter. Und Russell gesteht: "Ich vermutete eine Durchfahrtsstrafe."
Warum die Sportkommissare nicht reagiert haben
Warum aber reagierten die Rennkommissare nicht, wie es Russell erwartet hatte? Formel-1-Rennleiter Michael Masi erklärt auf Nachfrage, Williams habe den Fehler umgehend selbst korrigiert.
"Das Team hat sich sofort gemeldet und sagte: Wir haben einen Fehler gemacht und werden uns hinter Fernando [Alonso] zurückfallen lassen." Damit sei die Sache aus seiner Sicht erledigt gewesen, meint Masi. "Ich hätte es sonst direkt an die Rennkommissare weitergegeben."
Dass sich Russell falsch verhalten habe, sei aber völlig klar: "Man muss in der Reihenfolge, wie man angekommen ist, vom Boxenausgang wieder losfahren. Williams' Box befand sich dieses Mal am Ende der Boxengasse. Sie hätten sich dann zurückfallen lassen müssen."
Unter bestimmten Umständen sei ein Überholen in der Boxengasse erlaubt, sagt Masi weiter, nicht aber in diesem Fall: "Er überholt ein Auto in der Boxengasse beim Start des Rennens. Das ist ein ganz anderes Szenario [als bei den anderen Sessions am Wochenende]."
Russell zeigt sich in jedem Fall "dankbar dafür, dass man da gesunden Menschenverstand hat walten lassen, indem man sagte, ich soll die Positionen zurückgeben."