Abbruch unter der Lupe: Sebastian Vettel übt Kritik an stehendem Neustart
Artikel 42 des Sportlichen Reglements unter der Lupe: Warum nach dem Crash von Verstappen ein stehender Neustart in Baku die einzig regelkonforme Variante war
(Motorsport-Total.com) - Dass der Grand Prix von Aserbaidschan nach der roten Flagge noch einmal neu gestartet wurde, wurde am Sonntag in der einen oder anderen TV-Übertragung sehr unterschiedlich diskutiert. Am Ende blieben nur zwei Runden, die man sich auch schenken hätte können, fand so mancher Kommentator.
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Max Verstappen hinter dem Safety-Car beim Grand Prix von Aserbaidschan 2021 Zoom Download
Tatsächlich war es zu keinem Zeitpunkt eine realistische Möglichkeit, das Rennen nicht mehr neu zu starten. Die FIA und Rennleiter Michael Masi haben "genau richtig" gehandelt, findet etwa Mercedes-Teamchef Toto Wolff: "Das Rennen musste neu gestartet werden. Es gab keinen Grund, das nicht zu tun, denn es gab ja kein Sicherheitsproblem."
Dabei hätte gerade Wolff nach dem Fehler von Lewis Hamilton beim Neustart allen Grund dazu gehabt, die Entscheidung zu kritisieren. Das tat er aber ebenso wenig wie McLaren-Teamchef Andreas Seidl. "Es ist egal, ob noch zwei Runden zu fahren sind oder 20. Wenn es sicher ist, ein Rennen neu zu starten, dann muss es neu gestartet werden. Auch für zwei Runden."
Schließlich hätten die zwei Runden das Ergebnis noch auf den Kopf stellen können - und was Hamilton betrifft, haben sie das auch. Für Irritationen sorgte zwischendurch allerdings ein Funkspruch von Red-Bull-Teammanager Jonathan Wheatley, der Masi während der Safety-Car-Phase via Funk darum bat, doch über einen kompletten Abbruch des Rennens nachzudenken.
Das hätte, früh genug umgesetzt, nämlich Verstappens Sieg gerettet. Der Niederländer hatte 45 Runden beendet und war ganz am Ende der 46. Runde kurz vor der Start- und Ziellinie gecrasht. Abgebrochen wurde, als sich Spitzenreiter Sergio Perez gerade in Runde 48 befand. Das heißt, im Falle eines endgültigen Abbruchs hätte der Stand am Ende der 46. Runde gezählt.
Um Verstappens Sieg mit einem Abbruch zu retten, hätte Masi also eine Runde früher abbrechen müssen. Denn der Red Bull blieb nach dem Reifenschaden wenige Meter vor der Ziellinie stehen. Hätte Verstappen die noch als Führender überquert, wäre auch ein Abbruch in Runde 48 rechtzeitig für ihn gekommen. Aber das ist im Nachhinein ohnehin nur graue Regeltheorie.
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Wheatleys Funkspruch war, behauptet Masi, ohnehin nicht der Grund für die Entscheidung, das Safety-Car doch reinzuholen und ganz zu unterbrechen: "Ich hatte darüber schon vorher nachgedacht." Den Ausschlag gegeben haben aber letztendlich die vielen Wrackteile bei Start und Ziel, die für die anderen Fahrer ein Sicherheitsrisiko darstellten.
Das wiederum wirft die Frage auf, warum nach Verstappens Crash abgebrochen wurde, nach dem von Lance Stroll ein paar Meter weiter vorne aber nicht. Masi erklärt: Anders als beim ersten Zwischenfall sei man sich beim zweiten nicht sicher gewesen, die Strecke und die Boxengasse rechtzeitig reinigen zu können.
Ob und wie ein Formel-1-Rennen nach einer Unterbrechung neu gestartet wird, regelt Artikel 42 des Sportlichen Reglements der FIA. Da gibt es wenig Spielraum. Es obliegt allerdings letztendlich der Entscheidung des Rennleiters, ob stehend oder hinter dem Safety-Car neu gestartet wird. In Imola wurde das Rennen beispielsweise mit einem fliegenden Start fortgesetzt.
Dass in der Formel 1 im Falle einer Safety-Car-Phase oder einer Rennunterbrechung stehend neu gestartet wird, ist seit 2015 Regelwerk. Allerdings kann der Rennleiter auf Ausnahmen bestehen - wie dieses Jahr in Imola. Dort war eine Seite der Startaufstellung trockener als die andere, sodass ein stehender Start für die Hälfte des Feldes sportlich unfair gewesen wäre.
Masi erklärt auf Anfrage auch, dass es rein theoretisch möglich gewesen wäre, das Rennen in Baku gar nicht mehr neu zu starten und den Stand nach 46 Runden zu werten. "Aber es war genug Zeit, um neu zu starten, und es gab keinen Grund, das nicht zu tun", sagt er. Und ein vorzeitiger Abbruch erfordert immer einen plausiblen Grund und darf nie mutwillig erfolgen.
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Für Verwunderung sorgte beim einen oder anderen Team, dass es so lange dauerte, bis während der Safety-Car-Phase die Entscheidung fiel, doch vorerst abzubrechen. "Ich schätze, der Rennleiter und Pirelli wollten sich ein bisschen Zeit dafür nehmen, genau zu verstehen, ob es ein Problem mit den Reifen geben könnte", begrüßt Seidl.
Der stehende Neustart sei "richtig" gewesen, "auch für die Show. Es ist nichts verkehrt an einem stehenden Neustart, denn die Ausgangslage ist ja zu dem Zeitpunkt im Rennen nicht grundsätzlich anders als zu Beginn des Rennens." Und, wie GPDA-Direktor Alexander Wurz einwirft: Gerade in Baku sind auch Safety-Car-Neustarts nie ohne Risiko.
Doch so mancher Fahrer findet weniger Gefallen an den stehenden Neustarts: "Seit die Amerikaner übernommen haben, überrascht es mich nicht, dass wir immer zuerst ans Entertainment denken", kritisiert etwa Pierre Gasly (mit einem Augenzwinkern). Und Sebastian Vettel findet: "Wir müssen aufpassen, dass das Ganze nicht zu künstlich wird."
"Ich habe mich gewundert", so der Aston-Martin-Pilot, "warum es nach dem Unfall so lange gedauert hat, bis das Safety-Car auf die Strecke kam. Er stand ja mitten auf der Strecke." Carlos Sainz nickt: "Das waren 30 Sekunden, vielleicht eine Minute, und wir mussten alle 'nur' unter Gelb an der Unfallstelle vorbeifahren. Das sollten wir untersuchen", findet er.