Daniel Ricciardo: Hätte nicht geglaubt, dass es so schwierig wird
McLaren-Pilot Daniel Ricciardo erklärt, warum der Grand Prix von Monaco eine so große Enttäuschung war und wo er mit seinem neuen Team nun ansetzen will
(Motorsport-Total.com) - "Blaue Flaggen für Lando, lass ihn ziehen", lautete die Anweisung an Daniel Ricciardo in Runde 52 des Grand Prix von Monaco. Die Überrundung durch den eigenen Teamkollegen stand sinnbildlich für das gesamte Rennwochenende des McLaren-Piloten im Fürstentum. "Ein Wochenende zum Vergessen."
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Daniel Ricciardo schafft es zum ersten Mal 2021 nicht in die Punkte Zoom Download
Was ging Ricciardo durch den Kopf, als er Norris passieren lassen musste? "Ich hab einfach die Hände in die Höhe gestreckt, sozusagen." Kampflos musste er sich auf Platz 13 fahrend ergeben, denn der Brite war auf Podestkurs unterwegs. "Was sollte ich schon machen?"
Zu jenem Zeitpunkt im Rennen habe er schon nicht mehr an ein gutes Ergebnis geglaubt, gibt der Australier im Nachhinein zu. "Es fühlt sich generell nie schön an, wenn man überrundet wird." Schon gar nicht vom eigenen Teamkollegen.
"Ab in den Mistkübel damit und weitermachen!"
"Ehrlich gesagt war das Rennen aber bis dahin schon sehr schmerzhaft. Das war ein Wochenende zum Vergessen", zieht Ricciardo ein ernüchterndes Fazit.
Schon der Start in seinen fünften Grand Prix mit McLaren besiegelte sein Schicksal. Ursprünglich von Startplatz zwölf aus gestartet - effektiv Startplatz elf aufgrund des Ausfalls von Charles Leclerc - verlor er direkt in Kurve 1 einen Rang an Lance Stroll, hinauf zum Casino wurde er außerdem von Kimi Räikkönen attackiert.
"Auf dem Medium zu Beginn wurde mir gesagt, ich solle den Abstand zu Räikkönen schließen, aber ich konnte einfach nicht näher ranfahren. Da wusste ich schon: 'Das wird ein hartes Rennen'." Das gesamte Rennen hindurch steckte er im Heck des Alfa Romeo.
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In Runde 37 kam Ricciardo an die Box und holte sich einen frischen harten Reifensatz ab. "Auf dem harten hatte ich ein paar saubere Runden und die Rundenzeiten waren okay zu jenem Zeitpunkt des Rennens." Er verschaffte sich freie Bahn und fuhr in Runde 45 etwa absolute Bestzeit im dritten Sektor.
Doch schon wenig später kam Räikkönen nach dessen Boxenstopp wieder knapp vor dem McLaren auf die Strecke zurück. Bis ins Ziel hing er hinter dem Weltmeister von 2007 fest: Platz zwölf.
"Ein Teil von mir möchte sich das alles natürlich ganz genau anschauen, aber andererseits denke ich mir: 'Ab in den Mistkübel damit und weitermachen!'", grinst er.
Teamchef Seidl: " ... dann ist dein Rennen gelaufen"
"Ich denke nicht, dass das ein so schlechtes Rennen von Daniel war", versucht Teamchef Andreas Seidl zu beruhigen. "Bei freier Bahn konnte er in bestimmten Perioden im Rennen zeigen, was er hier in Monaco draufhat."
Das Malheur nahm schon am Donnerstag seinen Lauf und setzte sich am Samstag im Qualifying fort. "Wenn du dein Rennen auf Platz elf startest und dann gleich zwei Positionen in der ersten Kurve verlierst, dann ist dein Rennen gelaufen."
Wie kann es dennoch passieren, dass ein MCL35M auf dem Podium steht, und einer gar nicht in den Punkten landet? Einen Schaden am Auto vermutet Ricciardo jedenfalls nicht. "Ich bin sicher, dass das Team nach dem Wochenende alles überprüfen wird."
Gleichzeitig müsse er an sich selbst weiterhin arbeiten. "Ich werde mir anschauen, was ich besser machen kann." An Selbstvertrauen im Auto mangelte es ihm auf der Mutstrecke nicht, betont Ricciardo. "Ehrlich gesagt nein." Er habe nur erwartet, dass das Wochenende ein wenig einfacher werde, gibt er zu.
"Ich war realistisch und wusste, dass ich es im Rennen nicht herumreißen werde und aufs Podium komme. Schon am Donnerstag war ich nicht schnell, aber ich habe mich im Auto nicht schlecht gefühlt. Ich dachte, bis zum Qualifying könnte ich einen Schritt machen."
Mit all seiner Erfahrung wollte Ricciardo im Zeittraining auf Norris aufholen, doch stattdessen musste er einen Rückstand von rund einer Sekunde auf den Briten verdauen. "Ich habe mich gefreut, nach Monaco zu kommen nach Barcelona, wo wir einen guten Schritt machen konnten", betont er.
Ricciardo erklärt: Das ist die große Schwierigkeit
Doch Ricciardo sei von Beginn an "im Hintertreffen" gewesen: "Wir waren immer zwei Schritte zurück, nicht nur einen."
Wie erklärt sich der McLaren-Teamchef diesen Leistungseinbruch? "Unser Auto muss einfach auf bestimmte Art und Weise gefahren werden, um die maximale Performance herauszuholen. Lando ist schon daran gewöhnt und managt das. Für Daniel fühlt es sich hingegen nicht natürlich an."
Sein Schützling stimmt dieser These zu: "Das Auto ist sicherlich knifflig zu fahren, man muss sehr präzise sein. Ich fahre es wohl noch nicht so, wie es sich verdient hat, gefahren zu werden." Er akzeptiere, dass er sich noch verbessern und lernen müsse, das Auto besser zu fahren.
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In den Daten habe er schon nach dem Qualifying "Unterschiede" zu Norris erkennen können. "Darum war Lando in dieser Kurve schneller, zum Beispiel. Das kann ich sehen, aber ich bin nicht überzeugt davon, dass ich das auch machen kann."
Er könne die Unterschiede mit freiem Auge teilweise erkennen, schildert Ricciardo. "Einiges davon ist sichtbar und ich sehe es und denke: 'Okay, das würde helfen, das in dieser Kurve zu machen.' Es gibt einige Dinge, die mehr ins Gewicht fallen als andere."
Zwar wisse er grundsätzlich, wo er Rundenzeit auf Norris verliere. Die Schwierigkeit bestehe aber darin, die gewonnen Erkenntnisse in Taten umzusetzen. "Das auszuführen und irgendwie zu perfektionieren, das ist wirklich die Schwierigkeit."
Seidl verrät: An diesen Stellen will das Team nun ansetzen
In Monaco kamen diese Schwächen besonders deutlich zutage. Seidl bestätigt: "Wenn wir uns die Daten ansehen, haben wir eine klare Vorstellung davon, warum Daniel keine Zeit in Q2 fahren konnte, um ins Q3 aufzusteigen."
Jener Fahrstil, der im MCL35M gefragt ist, um ans Limit gehen und Performance abliefern zu können, sei "nicht natürlich" für Ricciardo. "Das ist ein Problem und es braucht Zeit, bis man sich selbst neu kalibriert hat", weiß der Deutsche. Er übt sich weiterhin in Geduld.
Es sei nun wichtig, "Ruhe zu bewahren", betont Seidl. Er beschreibt die weitere Vorgehensweise von McLaren nach diesem enttäuschenden Ergebnis für den Australier: "Wir werden nun die Daten analysieren." Gleichzeitig wird das Team an zwei unterschiedlichen Stellen ansetzen.
Erstens: "Gemeinsam mit Daniel werden wir versuchen, ihn neu zu kalibrieren, um seinen Fahrstil bis zu einem gewissen Grad an unser Auto anzupassen."
Zweitens: "Gleichzeitig schauen wir auf Teamseite natürlich, ob wir das Auto anpassen können, damit es sich für ihn natürlich anfühlt, das Auto schnell zu fahren, und damit er weniger nachdenken muss. Aber natürlich ohne Gesamtperformance zu verlieren."
Seidl weiß, dass die Aufgabe nicht von heute auf morgen gelöst sein wird. "Wir brauchen einfach mehr Zeit, dann bin ich sicher, werden wir in ein paar Rennen nicht mehr darüber sprechen müssen."
Ricciardo: "Racing war schon immer eine Hassliebe"
Ricciardo selbst hatte gehofft, in seinem Prozess der Eingewöhnung schon weiter fortgeschritten zu sein. "Wenn ich zurückblicke, dann war auch der Wechsel zu Renault nicht so einfach, aber in Monaco hatte ich ein recht starkes Wochenende."
Der Unterschied zur Saison 2019: "Wir hatten zu Beginn dieses Jahres deutlich weniger Testkilometer, das ist ziemlich signifikant." In seinem ersten Rennen mit den Franzosen gelang Ricciardo Platz neun in Monaco.
Vor dem Saisonbeginn schätzten Sergio Perez und Sebastian Vettel, die ebenfalls ihr Team wechselten, dass die Eingewöhnung rund fünf Rennen dauern würde. Nach Ablauf dieser Frist muss Ricciardo gestehen: "Ich dachte nicht, dass ich so weit hinten sein würde."
Zwar verspüre er keinen Druck vom Team, alle seien sehr verständnisvoll, doch Ricciardo betont: "Ich persönlich will nicht hier [in dieser Position] sein. Ich will viel weiter vorne liegen. Ich schätze es sehr, dass sie mir Zeit geben, aber seit Bahrain fühlt es sich so an, als hätte ich nicht viele Fortschritte gemacht."
Schlaflose Nächte bereite ihm diese Enttäuschung keine: "Nein, Racing war immer eine Hassliebe für mich. Es gibt Tage, an denen liebe ich es mehr als alles andere. An anderen habe ich keine Antwort."
Ricciardo fühlt sich zurückerinnert an seine Kartzeit. Denn schon in seinem ersten Jahr als Nachwuchshoffnung musste er lernen, mit Enttäuschungen umzugehen. "Ich bin rausgefahren zum Start und der Motor ging nicht an. Ich habe das Rennen verpasst, das war damals ein wichtiges Rennen für mich."
Seine Lektion, die er daraus mitgenommen hat, lautet: "Ich habe sehr früh gelernt, dass Rennautos sehr grausam sein können." Das sei wohl auch in Monaco der Fall gewesen. "Vielleicht hat es dieses Wochenende einfach nicht geklappt und wir stellen es in Baku auf die Strecke und sind wieder mit dabei."