George Russell passte nicht mal richtig ins Auto
Mercedes-Chefingenieur Andrew Shovlin erklärt, wie sein Team den Reifenschaden bei George Russell feststellte und welche Schwierigkeiten er überwand
(Motorsport-Total.com) - Das Märchen blieb ihm verwehrt, doch George Russell hat bei seinem Mercedes-Debüt beim Großen Preis von Sachir 2020 einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Natürlich gilt es aber, die sportliche Tragödie aufzuarbeiten. Und da war bei Mercedes nicht nur der verpatzte Boxenstopp.
Russell fing sich auf dem Ausweichset einen schleichenden Plattfuß ein, als er sich gerade schon wieder bis auf den zweiten Platz vorgearbeitet hatte. "Wir waren 0,1 bar aus dem Fenster" erklärt der leitende Renningenieur Andrew Shovlin. Doch Mercedes holte Russell nicht sofort rein.
"Wir haben uns eine Runde Zeit genommen, um zu prüfen, ob das wirklich so ist. Man führt einfach eine Plausibilitätsprüfung durch. Erst dann wird die Kette in Gang gesetzt, man legt den Boxenstopp ein und montiert einen weiteren Satz."
Er versichert, dass alles unter Kontrolle gewesen sei: "Wir wussten von Beginn an, dass wir uns das eine Zeitlang ansehen können. Man muss aber sehr vorsichtig werden, wenn der Druck richtig abfällt. Ab 0,9 bis 0,8 bar kann man die Konstruktion wirklich beschädigen und der ganze Reifen kaputtgehen."
"Wollte es einfach nicht wahrhaben"
Für Russell kündigte sich das Desaster mit einem leichten Übersteuern an: "Ich wollte es nicht wahrhaben. Ich wollte nicht wahrhaben, dass ich einen Reifenschaden hatte. Es fühlte sich noch immer so an, dass man damit umgehen konnte. Aber dann wurde es immer schlimmer und gegen Ende der Runde bekam ich die ersten Aha-Momente und krebste auf der Geraden nur noch herum."
Spitzenreiter Sergio Perez konnte zu diesem Zeitpunkt seinen Vorsprung konsolidieren. "Ganz ehrlich, ich konnte das nicht glauben", so Unglücksrabe Russell. "Wir haben alles gegeben, uns bis in die Nacht zusammengesetzt und alles perfekt umgesetzt. Entsprechend sehen meine Emotionen aus."
Shovlin versichert, dass weder Russell noch Mercedes eine Schuld treffe: "Es ist sehr unglücklich. Wir hatten hier wirklich Pech mit Reifenschäden - drei Stück in zwei Rennen. Das ist nicht gut. Aber das sind Zufallsereignisse. Wir hatten sonst keine Probleme in der Saison. Es ist einfach Pech - nichts, was er oder wir falsch gemacht hätten."
Russell passte nicht richtig ins Auto
Im Gegenteil: Russell muss sehr viel richtig gemacht haben. Denn wie Shovlin erklärt, passte er nicht einmal richtig ins Auto: "Das war echt schwierig. Und noch schwieriger, weil wir schon seit langer Zeit keinen so großen Fahrer im Auto hatten."
George Russell bringt es auf stolze 1,86 Meter Körpergröße. Der letzte Fahrer, der da ansatzweise rankam, ist Jenson Button mit 1,82 Metern. Der ist aber schon seit elf Jahren Geschichte in Brackley. "Jedes Jahr versucht man, das Auto noch enger zu gestalten", sagt Shovlin.
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"Man versucht, hier und da alles etwas mehr zusammenzuquetschen, um noch mehr Performance aus dem Ding zu holen. In einer solchen Umwelt wird es für einen Fahrer von solcher Größe natürlich ungemütlich." Russell ragte deutlich sichtbar weit aus dem Cockpit heraus, was nachteilig für die Aerodynamik ist. Trotzdem biss er sich durch.
"Er hat einen hervorragenden Job gemacht, das auszublenden. Es geht ja nicht nur darum, nicht die normale Sitzposition zu haben. Es kann auch schmerzhaft sein, weil wir ihm einfach nicht genug Platz schaffen konnten. Er wurde zusammengequetscht und der Sitz war nicht gerade perfekt. Das kann beim Fahren echt wehtun. Das waren keine perfekten Umstände für ihn."
Von außen ließ sich der Formel-2-Meister von 2018 wirklich nichts anmerken. Und auch das Team beeindruckte er: "Er hat den Speed sehr schnell gefunden, man schaue sich die Freitagszeiten an. Natürlich ist es mit unserem Fahrzeug einfacher als mit einem Williams, weil es sich schön fahren lässt und keine großen Schwachstellen hat. Es hat guten Grip. In dieser Hinsicht war es einfacher."
Aber eigentlich brauche es mehr als ein Rennen, um sich daran zu gewöhnen, später bremsen, früher ans Gas gehen und die Kurven generell mit höherem Tempo durchfahren zu können. "Er hat da wirklich einen guten Job gemacht und ist das alles sehr methodisch angegangen", lobt der 47-Jährige. "Vor allem, dass er nicht über das Limit hinausgegangen ist."
Doch das Fahren ist nur das eine. Die kompletten Teamabläufe waren völlig anders: Medienrunden, Briefings und vieles mehr: "Es gibt so viele Dinge und Prozedere zu lernen, die gar nichts mit dem Fahren des Autos zu tun haben, die wir ihm einimpfen mussten."
"Wir haben versucht, das auf eine Art zu tun, die ihn nicht überfrachtet. Wir haben ihm nicht am Donnerstagabend erzählt, was am Sonntagmorgen relevant wird. Wir haben das strukturiert gemacht. Aber es ist für Fahrer nicht gerade einfach, von einem Team ins andere zu hüpfen."