• 06. Dezember 2020 · 10:06 Uhr

Toto Wolff schließt Stallorder aus: George Russell darf in Bahrain gewinnen!

George Russells erstes Mercedes-Qualifying unter der Lupe: Warum er in Kurve 1 Zeit verliert, wie er den Windschatten verschlafen hat und was er sich jetzt erwartet

(Motorsport-Total.com) - Obwohl Valtteri Bottas noch um den zweiten Platz in der Fahrer-WM kämpft (zwei Rennen vor Schluss zwölf Punkte Vorsprung auf Max Verstappen), darf er beim Grand Prix von Sachir in Bahrain (F1 2020 im Liveticker: Rennen ab 17:45 Uhr MEZ!) keine konkrete Unterstützung in Form einer Stallorder erwarten: "Sie sind 'free to race'", kündigt Mercedes-Teamchef Toto Wolff an. "Das sind wir den Leuten schuldig."

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Da ist jemand mit zweiten Plätzen nicht zufrieden: George Russel nach dem Quali Zoom Download

George Russell hat im Qualifying bewiesen, dass er für den Finnen ein ernstzunehmender Gegner ist. Am Ende lagen zwischen den beiden 0,026 Sekunden. Was die Frage aufwirft: Braucht es überhaupt einen millionenschweren Superstar wie Lewis Hamilton, um ein Auto wie den Mercedes auf Pole zu stellen, wenn ein 22-jähriger Nachwuchsfahrer ohne jede Praxiserfahrung im F1 W11 EQ Performance damit aus dem Stand in die erste Reihe fahren kann?

"Natürlich braucht's den", grätscht Verstappen rein. "So einer wird in den entscheidenden Momenten den Unterschied machen. Darum ist er ja siebenmaliger Weltmeister." Und auch Russell sagt: "Kerle wie Lewis machen den Unterschied, wenn am meisten Druck im Kessel ist, in Schlüsselsituationen. Das hat Lewis über all die Jahre ausgezeichnet. Ja, er ist ein Superstar. Wäre ich Toto, würde ich ihn auch in meinem Team haben wollen."

Zumal man in Bezug auf Russell die Kirche im Dorf lassen muss. Bottas war im letzten Q3-Run neben Charles Leclerc (der keinen neuen Reifensatz mehr hatte und darum nicht mehr auf die Strecke fuhr) der einzige Pilot, der seine Zeit nicht verbessern konnte. Im Run davor hatte er noch 0,142 Sekunden Vorsprung - was nach wenig klingt, auf einer so kurzen Strecke mit so wenigen Kurven aber relativ viel ist.

Kurve 1: Schwachstelle von Russell

Gleich in der ersten Kurve zeigte sich zum Beispiel, dass Bottas mit seiner Erfahrung gegenüber Russell im Vorteil war und besser abliefern konnte: "Ich hatte dort das ganze Wochenende Probleme", gibt der Mercedes-Junior zu. "Was merkwürdig ist, weil es vergangene Woche eine meiner besten Kurven war."

"Dieses Wochenende war ich in Kurve 1 im Vergleich zu Valtteri wirklich schwach. Er nimmt mir dort viel Zeit ab. Das war mein Schwachpunkt", analysiert der 22-Jährige. "Ich weiß nicht, was es war, aber ich konnte einfach nicht früh genug aufs Gas steigen. Ab Kurve 4 war ich gut unterwegs. Da lag das Auto wie auf Schienen, eine Freude zu fahren. Nur die Kurven 1/2 haben mich im Stich gelassen."

"Ich hatte am Scheitelpunkt immer starkes Untersteuern. Wenn ich also aufs Gas zu steigen versuchte, bekam ich plötzlich schlagartiges Übersteuern. Der Fahrstil, der im Williams so gut funktioniert hat, der funktioniert jetzt auf einmal gar nicht mehr, der ist auch ganz anders als das, was Valtteri und Lewis machen."

"Der Mercedes", sagt Russell, "hat einfach so viel mehr Grip und eine um so viel bessere Vorderachse in jeder Phase der Kurve, dass er mir eigentlich erlauben sollte, ein bisschen mehr Geschwindigkeit über den Scheitelpunkt mitzunehmen. Aber das umzusetzen fällt mir schwer. Es braucht für dieses Auto einfach einen ganz anderen Fahrstil."

Im W11 wie ein Alien gefühlt

Am Anfang habe er sich im W11 wie ein Alien gefühlt, grinst Russell: "Es ist ein ganz anderes Fahren. Du versuchst zu vergessen, was du im Williams gelernt hast, und dir alles neu anzueignen. Im dritten Training habe ich ein paar Dinge ausprobiert, aber das ging gar nicht gut. Da wäre ich schon froh gewesen, wenn ich es in Q3 geschafft hätte!"

Russell war im Abschlusstraining vor dem Qualifying vom ersten auf den siebten Platz zurückgefallen, mit sechs Zehntelsekunden Rückstand. Doch je länger das Qualifying dauerte, desto besser kam er in Schuss. Am Ende verlor er trotzdem zum ersten Mal in seiner Formel-1-Karriere ein Qualifying-Stallduell gegen einen Teamkollegen.

Ob er Bottas im Rennen auch so herausfordern kann? Russell hat den Nachteil, auf der schmutzigen Fahrbahnseite zu starten - und: "Das Qualifying ist das, wo ich mich am wohlsten fühle. Wenn du alles reinschmeißen musst, was du hast, es auf deine Eier ankommt. Im Rennen musst du kontrollierter fahren, mit mehr Finesse. Da habe ich die Erfahrung noch nicht."

Er sei natürlich "enttäuscht, dass am Ende 20 Millisekunden auf die Pole gefehlt haben". Andererseits: "Hätte mir vor einer Woche wer gesagt, dass ich hier P2 in der Startaufstellung sein würde, ich hätte es nicht geglaubt." Und: "Statistisch gesehen ist Valtteri im Qualifying eine Zehntel langsamer als Lewis. Und wir alle wissen, wie gut Lewis ist."

Die verpasste Chance mit dem Windschatten

Zumal er weiß, wo er geschenkte Zeit liegen hat lassen. Im letzten Q3-Versuch fuhr Bottas als Erster auf die Strecke, Russell direkt hinterher. Eine ideale Gelegenheit für den Briten, sich im Windschatten zur Pole ziehen zu lassen. Doch als Bottas vor der letzten Kurve seiner Out-Lap aufs Gas stieg, wartete er zu lange, um den Windschatten-Effekt wirklich zu spüren.

"Ich habe da ehrlich gesagt zu viel Abstand gelassen", gibt er zu. "Ich schaute in den Rückspiegel, weil ich dachte, dass mich Max vor der letzten Kurve überholen könnte." Bis zur ersten Kurve hatte Russell dann schon 0,040 Sekunden Rückstand auf seine vorherige Runde, sagt er. Im Nachhinein betrachtet hat ihn das wohl die Pole gekostet.

"Ich glaube, dass der Wind gedreht hat", vermutet Russell. Das habe Bottas, der gar keinen Windschatten hatte, am härtesten getroffen. "Da hätte ich gratis Rundenzeit gewinnen können", ärgert sich der Hamilton-Ersatzmann. "Zwei Sekunden näher dran und es sieht anders aus. Aber so ist das halt: Hätte, wäre, wenn."

Unterm Strich bleibt für ihn stehen, wie herausragend gut der W11 ist: "Ich konnte gar nicht glauben, wie gut das Auto zum Beispiel über die Randsteine in Kurve 7 ist. Es ist einfach schneller. Das ist das Niveau, auf das alle in der Formel 1 hinarbeiten. Was die Jungs bei Mercedes in Brackley da hingestellt haben, ist einfach unglaublich."

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