GP Sachir 2020: Fragen & Antworten zum F1-Rennen in Bahrain
Was die TV-Übertragung womöglich nicht erklären konnte: Wie George Russell und Lance Stroll den Sieg verloren haben und Sergio Perez zum Held des Abends wurde
(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 hat einen neuen Superstar - aber der hat den Grand Prix von Sachir in Bahrain nicht gewonnen! George Russell, Ersatzmann für den am Coronavirus erkrankten Lewis Hamilton bei Mercedes, fuhr sich mit einer überragenden Leistung in die Herzen der Motorsport-Fans auf der ganzen Welt. Doch der Siegerpokal ging nach 87 chaotischen Runden auf dem "Outer Circuit" nicht an Russell, sondern sensationell an Sergio Perez.
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Sergio Perez hat beim GP Sachir den ersten Sieg seiner Karriere gefeiert Zoom Download
Racing Point feierte mit dem ersten und dritten Platz das bisher beste Ergebnis der Teamgeschichte und übernahm damit auch in der Konstrukteurs-WM wieder den dritten Platz von McLaren. "Jetzt sind wir wieder mittendrin in diesem Kampf", sagt Teamchef Otmar Szafnauer.
Zweiter wurde Esteban Ocon (Renault). Für den Franzosen war es das erste Podium seiner Formel-1-Karriere.
Der tragische Held ist aber Russell. Der 22-Jährige ging am Start in Führung, verlor diese durch eine Panne beim Boxenstopp, fiel hinter Valtteri Bottas zurück, den er das ganze Rennen im Griff hatte. Überholte Bottas mit dem vielleicht spektakulärsten Manöver der gesamten Saison, jagte Perez und hatte eine Hand gefühlt am Pokal - und dann beendete ein Reifenschaden links hinten seine Träume.
"George, es tut mir leid. Es war eine brillante Fahrt", versuchte Toto Wolff noch am Boxenfunk, seinen Ersatzfahrer aufzuholen. Er muntert Russell aber auf: "Es wird nicht seine letzte Chance sein, ein Rennen zu gewinnen. Das ist erst der Anfang. Ein neuer Star ist geboren."
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Russell, der den Start gewonnen hatte, und Bottas fuhren einem souveränen Doppelsieg entgegen, als ausgerechnet Russells Williams-Ersatzmann Jack Aitken in der letzten Kurve den Frontflügel verlor und damit zuerst eine virtuelle und dann eine echte Safety-Car-Phase auslöste.
Mercedes hatte den einzigen Planstopp eigentlich schon absolviert. Aber weil der Vorsprung auf Perez nach hinten groß genug war, entschied sich die Strategieabteilung dazu, auf Nummer sicherzugehen und Russell und Bottas nochmal neue Reifen zu geben. "Es war ein Sicherheitsstopp. Wir hatten mit dem Hard kein Problem, der hätte gehalten", bestätigt Wolff.
Das Malheur war, dass Russells Mechanikercrew aus noch zu klärenden Gründen die Instruktionen vor dem Doppelstopp nicht hören konnte. Und so brach das totale Chaos aus: Die Mechaniker montierten bei Russell Reifen, die für Bottas vorgesehen waren, und umgekehrt. "Das ist uns das letzte Mal im Regen in Hockenheim passiert", erinnert sich Wolff.
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Russell hatte also Bottas' Reifen drauf, und dem wurde mangels seiner eigenen Pneus einfach ein alter Satz draufgeschraubt - was auch erklärt, warum er später im Rennen dann dramatisch an Tempo verloren hat. "Als für Valtteri keine Reifen da waren, wussten wir sofort, dass die bei George drauf sind", seufzt Wolff.
Bottas stand bei seinem Stopp auch noch so lange, dass sogar seine Vorderbremsen zu brennen anfingen (was normalerweise kein Problem ist). Immerhin hatte er die richtigen Reifen drauf. Russell nicht. Der musste eine Runde später nochmal reinkommen. Jetzt lagen die Mercedes nur noch auf P4/5, und Bottas war vor Russell.
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Hätte Mercedes da noch gewinnen können?
Ganz locker sogar. Zumindest Russell hatte die frischeren Reifen als das Führungstrio Perez/Ocon/Stroll. Er fightete sich zuerst an Bottas vorbei und lag schon an zweiter Stelle, als das Drama erneut zuschlug: Reifenschaden links hinten.
"Der Reifenschaden kam wahrscheinlich daher, weil er so oft von der Linie ausscheren musste, um zu überholen", vermutet Wolff. Ein anderer Verdacht: Russell fuhr über Wrackteile seines eigenen Williams in der letzten Kurve, die dort von Aitken verteilt wurden.
Wie dem auch sei: Von ganz hinten kämpfte sich Russell wieder an die neunte Position nach vorne. Am Ende lag er nur 3,2 Sekunden hinter Bottas, dem seinerseits im Finish die Luft ausging. Immerhin waren es für Russell die ersten WM-Punkte seiner Karriere: zwei für den neunten Platz, einer für die schnellste Runde.
"Wir haben heute gelernt, dass George Russell jemand ist, auf den wir uns in Zukunft verlassen können. Er hat alles, was ein Star der Zukunft braucht", lobt Wolff.
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Hätte es für Mercedes nicht eine Strafe geben müssen?
Artikel 24.2.a des Sportlichen Reglements besagt, dass ein Fahrer pro Rennwochenende nur 13 Reifensätze verwenden darf. Die falschen Vorderreifen von Bottas, die bei Russell montiert wurden, waren jedoch bereits Satz Nummer 14.
Artikel 24.3.e besagt, dass es für dieses Vergehen eine Disqualifikation geben könnte. Betonung auf Konjunktiv ("may result in disqualification")! Das heißt, dass letztendlich die Rennkommissare darüber entscheiden konnten - mit Ermessensspielraum. Letztendlich gab es aber nur 20.000 Euro Geldstrafe.
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Gab's nicht vor dem Stopp schon Probleme bei Russell?
Kurz nach dem ersten (problemlosen) Boxenstopp meldete er am Funk: "No Power." Da rutschte dem einen oder anderen schon das Herz in die Hose. Peter Bonnington gab aber ganz routiniert durch: "HPP Default 35." Trotz der fehlenden Leistung fuhr Russell genau da die bis dahin schnellste Runde im Rennen.
Drei Runden nach ihm kam Bottas zum regulären Stopp. Da wunderten sich viele kritische Formel-1-Fans: Ist dieser "Offset" mit dem sogenannten "Racing Intent" von Mercedes vereinbar, also den Spielregeln zwischen Teamkollegen? Laut Wolff schon. Das sei auch zwischen Hamilton und Bottas in dieser Saison schon mehrfach der Fall und immer gestattet gewesen.
Später hatten die Mercedes-Fahrer noch einmal Sorgen, als beide den gleichen Funkspruch bekamen: "Trackrod Overload". In der Kurvenpassage 7/8 räuberten die beiden so hart über die Randsteine, dass ihre Aufhängungssensoren zu hohe Belastungen registrierten.
In dem Zusammenhang spannend: Russell hatte sich zu Beginn des Rennens erkundigt, ob Bottas härter über die Randsteine fährt als er, und das bejaht bekommen.
Hat Perez jetzt sein Cockpit für 2021 sicher?
Nein. Zwar wurde er in Bahrain bei einem Gespräch mit Helmut Marko erwischt. Dabei soll man aber nur Nettigkeiten ausgetauscht haben. Alexander Albon hat sich jedenfalls nicht mit Ruhm bekleckert, beendete das chaotische Rennen an sechster Stelle. Da hat sich Perez mit seiner phänomenalen Leistung schon eher empfohlen.
Er sagt trotzig: "Wenn ich nächstes Jahr nicht in der Formel 1 bin, dann 2022!" Aus deutscher Sicht betrachtet: Perez' Chancen, gegenüber Nico Hülkenberg den Vorzug zu erhalten, sind beim Grand Prix von Sachir sicher nicht kleiner geworden.
"Perez", sagt 'ORF'-Experte Alexander Wurz, "muss sich als Fahrer nicht bewerben. Er hat das über Jahre gezeigt, dass er als Fahrer eine große Nummer ist." Sollte Red Bull aber an Albon festhalten, wird der sympathische Mexikaner, der die Freudentränen nicht zurückhalten konnte, kein Formel-1-Cockpit haben.
Wie konnte Perez das Rennen noch gewinnen?
Am Start kam er zunächst super weg und bog als Dritter in Kurve 4 ein. Dort kollidierte er jedoch mit Charles Leclerc (Ferrari), der innen viel zu optimistisch war und den Racing Point rammte. Perez musste an die Box kommen, wechselte von Soft auf Medium und lag an letzter Position. Damit schien sein Arbeitstag praktisch gelaufen.
Aber von da an war er - mit Ausnahme der Mercedes-Piloten - der schnellste Mann im Rennen. Mit ein paar beherzten Überholmanövern kämpfte er sich wieder nach vorne. Und beim zweiten Boxenstopp, der für ihn noch ausständig war, kamen die Gelbphasen genau richtig. So lag er nach dem Chaos bei Mercedes plötzlich in Führung. Von da an gab er den Sieg nicht mehr aus der Hand.
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Gelten in Bahrain keine Coronaregeln?
Doch. Die haben die Racing-Point-Mitarbeiter im ekstatischen Jubel einfach kurzzeitig vergessen. Da sie Masken getragen haben, wird die FIA dabei wohl ein Auge zudrücken. Angesichts der besonderen Umstände.
Perez geriet auch sonst in Konflikt mit den Regeln. Weil er in Kurve 8 ein paar Mal zu weit neben die Strecke kam, gab's eine Verwarnung wegen Track-Limits (übrigens auch für Bottas). Da sich beide danach sauber an die Grenzen der Strecke hielten, beließ es die FIA aber bei der "gelben Karte".
Wer war schuld am Crash in Kurve 4?
Ganz klar Leclerc. Das sahen auch die FIA-Rennkommissare so und brummten ihm für Abu Dhabi eine Grid-Strafe auf. Ausgelöst hat das Chaos in Kurve 4 aber Bottas. Er rutschte in Kurve 2 ein wenig von der Linie. Dadurch lagen er, Verstappen, Leclerc und Perez plötzlich Seite an Seite. Aber für alle vier Autos war kein Platz.
"Es war sicher kein Fehler von 'Checo'", sagt Leclerc. "Ich gebe ihm keine Schuld. Wenn jemand Schuld hat, dann ich. Ich würde aber sagen, es war weniger Schuld von irgendwem als einfach eine Verkettung unglücklicher Umstände."
Das sieht Verstappen ein bisschen anders: "Keine Ahnung, warum da so aggressiv und rücksichtlos gefahren wurde. Er hat da so spät gebremst. Was erwartet er? 'Checo' kann nicht sehen, was auf der Innenseite passiert", nimmt der 21-Jährige seinen möglicherweise nächstjährigen Teamkollegen in Schutz.
Verstappen selbst versuchte dem schleudernden Racing Point auszuweichen und fuhr neben die Strecke. Er schien die Situation schon im Griff zu haben, da stieg er aufs Gas und krachte in die Barrieren. "Der hat geglaubt, da ist Asphalt", vermutet 'ORF'-Experte Wurz. War aber nicht: "Da war halt Kies. Kannst du nichts machen", seufzt Verstappen.
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Wie fiel Stroll hinter Perez und Ocon zurück?
Perez' Teamkollege war eigentlich besser platziert, das Rennen zu gewinnen. Er lag vor seinem letzten Boxenstopp vor Ocon. "Ich bin ein wenig enttäuscht, weil ich glaube, dass ich eine Chance hatte, das Rennen zu gewinnen", sagt er.
"Esteban hat eine Runde früher gestoppt und hat mich dann gekriegt in Kurve 3 mit dem DRS. Das war schade. Danach in Kurve 4 habe ich mich gegen Sergio verteidigt und die Räder blockiert, dadurch kam er vorbei. Es ist ein wenig frustrierend", so Stroll.
Nach Monza war es bereits der zweite mögliche Sieg, den sich der Kanadier durch eigenes Verschulden durch die Lappen gehen hat lassen. Aber damit kann er diesmal leben: "'Checo' hat den Sieg heute wirklich verdient."
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Warum war Albon wieder so langsam?
Der Thailänder machte das ganze Wochenende keinen Stich gegen Verstappen. Auch im Rennen konnte er sich nicht groß in Szene setzen. "Wir sind schneller, aber wir können nicht fighten", klagte er am Funk über den schlechten Topspeed. Den hatte er sich aber selbst zuzuschreiben, weil er am Samstag ein Set-up mit steilen Flügeln gewählt hatte. Am Ende P6.
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Wie steht's jetzt in der WM?
Bottas hätte nach Verstappens Ausfall mit einem dritten Platz seinen Vizetitel fixieren können. Da bleibt's also noch spannend. Im Kampf um P3 der Konstrukteurswertung liegt jetzt Racing Point (194) vor McLaren (184) und Renault (172). Ferrari (131), das steht jetzt fest, kann 2020 bestenfalls noch Fünfter werden.
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Apropos Ferrari: Wie lief's für Sebastian Vettel?
Der Deutsche erlebte ein verkorkstes Rennen, und zwar von Anfang an. Am Ende wurde er Zwölfter. "Wir reden am besten nicht drüber", sagt er. "Es war kein gutes Rennen für uns. Wir haben alles probiert - ich habe alles probiert. Es hat nur praktisch keinen Unterschied gemacht. Ich habe wirklich hart gekämpft und versucht etwas zu finden, das funktioniert. Es war nur unheimlich schwierig heute. Es scheint, als werden dieses Auto und ich einfach keine Freunde mehr."
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Habe ich sonst was verpasst?
Pierre Gasly (AlphaTauri) hat in der Aufwärmrunde zum zweiten Mal an diesem Wochenende einen Stein an die Hand bekommen. Am Ende verpasste er einen Punkt um weniger als eine Sekunde. Die beiden Debütanten Aitken (16.) und Pietro Fittipaldi (Haas) landeten auf den letzten beiden Plätzen. Fittipaldi wird auch in Abu Dhabi fahren. Bei Aitken hängt das davon ab, ob Hamilton zurückkommt oder nicht.
Wie geht's jetzt weiter?
Der Formel-1-Tross zieht jetzt nach Abu Dhabi weiter. Dort findet in einer Woche, am dritten Adventsonntag, das Saisonfinale statt.