• 30. September 2020 · 09:01 Uhr

Toto Wolff: Warum die Strafe gegen Hamilton "ein bisschen harsch" ist

Während Toto Wolff die doppelte Zeitstrafe gegen Lewis Hamilton in Sotschi zu hart findet, wundern sich viele Fans über einen ähnlichen Vorfall mit Charles Leclerc

(Motorsport-Total.com) - Die (doppelte) Zeitstrafe gegen Lewis Hamilton beim Grand Prix von Russland in Sotschi sorgt auch drei Tage nach dem Rennen noch für hitzige Diskussionen. Während Mercedes-Teamchef Toto Wolff sagt, dass das FIA-Urteil für ihn "ein bisschen harsch" aussieht, wundern sich Hamilton-Fans im Internet über eine angebliche Benachteiligung im Vergleich zu Charles Leclerc.

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Lewis Hamiltons Vorstartphase sorgte in Sotschi für Probleme Zoom Download

Denn der Ferrari-Pilot hatte beim Vorstart zum Grand Prix von Belgien in Spa ebenfalls nach der eigentlich davor vorgesehenen Position einen Start geübt, wofür er, offiziell wegen "driving unnecessarily slowly during the reconnaissance lap", zunächst zur Anhörung bei den dortigen FIA-Kommissaren Yves Bacquelaine, Garry Connelly, Johnny Herbert und Walter Jobst zitiert wurde.

Leclerc hatte auf seiner Out-Lap die maximal vorgeschriebene Zeit von 2:04.0 Minuten um zwei Sekunden überschritten. Grund dafür war, so steht es in der späteren Urteilsbegründung der Kommissare, dass er die Safety-Car-Linie 2 schon vor seinem Übungsstart überfahren und damit die Zeitnehmung zu früh ausgelöst hatte. Urteil: "No further action".

Da vom Leclerc-Zwischenfall keine öffentlich verfügbaren Onboard-Aufnahmen vorliegen, die über seine genaue Position beim fraglichen Übungsstart Aufschluss geben könnten, ist es nicht möglich, die Situation direkt mit jener rund um Hamilton in Sotschi zu vergleichen. Doch für viele Fans bleibt ein fahler Beigeschmack.

Wolff: "We agree to disagree"

Toto Wolff versteht das Urteil jedenfalls nicht: "Ich war gemeinsam mit Ron Meadows (Teammanager; Anm. d. Red.) bei den Kommissaren. Ihr Urteil war, dass es nicht die richtige Position war. Wo die richtige Position sein soll, ist in den Notizen des Rennleiters aber nicht vermerkt, und es steht auch nicht in den Regeln."

"Daher stimme ich dieser Strafe nicht zu - wir sind uns [mit den Kommissaren] einig darüber, nicht einig zu sein", sagt der Mercedes-Teamchef. "Ich respektiere immer, was die Kommissare entscheiden. Aber in dem Fall stimme ich ihnen nicht zu."

FIA-Rennleiter Michael Masi nimmt die unabhängigen Kommissare in Schutz: "Der Platz für die Übungsstarts ist streckenspezifisch und wird in den 'Event-Notes' deklariert. Bei jedem anderen Event hat sich Lewis an die Erfordernisse in Zusammenhang mit den Instruktionen des Rennleiters gehalten."

Wolff hält dagegen, dass in den inzwischen hinlänglich bekannten "Event-Notes" lediglich stehe, dass Übungsstarts nach der Ampel am der Ausfahrt der Boxengasse durchgeführt werden müssen. Wie weit nach der Ampel, das ist hingegen weder in den offiziellen Dokumenten vermerkt noch ist die Position auf dem Asphalt eingezeichnet.


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Was die Frage aufwirft, warum das nicht einfach gemacht wird. Ein bisschen Farbe kann sich der Milliardensport Formel 1 selbst in Zeiten der Coronakrise sicher leisten. Aber: Eine solche Bodenmarkierung habe es noch nie gegeben, sagt Masi: "Wir spezifizieren nur den Platz dafür." Das sei auch unter seinem Vorgänger Charlie Whiting nicht anders gewesen.

Masi: Mercedes soll nicht vom Thema ablenken

Die Position für die Übungsstarts sei "ein sehr streckenspezifisches Element", winkt der FIA-Rennleiter ab und schiebt den Schwarzen Peter dem Mercedes-Team zu: "Es war einfach ein Fehler. Ich gehe davon aus, dass es eine Fehlkommunikation zwischen dem Team und dem Fahrer mit der Nummer 44 gegeben hat."

"Denn Valtteri und alle anderen Fahrer haben den korrekten Übungsplatz unmittelbar nach der Ampel an der Boxenausfahrt verwendet", unterstreicht Masi. Und das sei auch nicht aus einer Laune der Regelhüter heraus entstanden, sondern: "Der Grund dafür, dass wir einen Platz für die Übungsstarts festlegen, ist die Sicherheit aller Fahrer."

Ein Argument, das unser Experte Marc Surer nachvollziehen kann: "Hamilton hat am Ende der unübersichtlichen gebogenen Boxenausfahrt die Starts in einem 45-Grad-Winkel zur Strecke gemacht. An dieser Stelle hat jemand, der den Start korrekt Ende Box gemacht hat, bereits 200 km/h drauf. Es war also auch gefährlich. Somit war die Strafe meiner Meinung nach milde."

Grundsätzlich hätten die Kommissare aber genauso, wie im Fall von Leclerc in Spa, ein "No further action" oder nur eine Verwarnung aussprechen können. Selbst für den Fall, dass sie grundsätzlich der Meinung waren, dass ein Regelverstoß vorlag. Das bestätigt Masi auf Anfrage von 'Motorsport-Total.com'.

"Das Spektrum ist breit", sagt er. "Die Kommissare können jedes Strafmaß aus dem Sportlichen Reglement oder dem Internationalen Sportgesetzbuch anwenden. Dafür haben wir die Kommissare. Es ist ihre Aufgabe zu bestimmen, welche Strafen unter bestimmten Umständen angemessen sind."

Wolff: Warum bisher noch nie so hart bestraft?

Dass es letztendlich zwei Fünf-Sekunden-Strafen geworden sind, stößt bei Wolff auf Unverständnis. Im Interview mit 'Sky' erklärt er, dass es für einen Regelverstoß auf einer Out-Lap am Vorstart seines Wissens "noch niemals eine Strafe" gegeben hat, "die dann im Rennen bestraft worden ist. Das war das erste Mal. Deswegen schaut es ein bisschen harsch aus."

Masi widerspricht: Ein Vergehen vor dem Start erst im Rennen zu ahnden, sei "überhaupt nicht" ungewöhnlich: "Die Kommissare sind der Ansicht, dass er sich damit einen sportlichen Vorteil verschafft hat. Daher empfanden sie eine sportliche Strafe als angemessen."

Dazu muss man verstehen, warum Hamilton überhaupt diese ungewöhnliche Position für seine beiden Übungsstarts gewählt hat. Das erklärt der leitende Renningenieur Andrew Shovlin: "Die Fahrer und auch die Ingenieure suchen normalerweise ein Fleckchen Asphalt, das den Bedingungen ähnlicher ist, die sie dann auch in der Startaufstellung vorfinden."

Daher dürfte Mercedes ihm auch das Okay dafür gegeben haben, nicht direkt nach der Ampel zu starten, sondern etwas weiter draußen. Aber: "Uns war nicht klar, wie weit Lewis rausfahren würde." Denn den ersten Übungsstart hatte der Mercedes-Kommandostand nicht in Fernsehbildern gesehen.

"Den ersten Übungsstart haben wir nicht gesehen", erklärt Shovlin. "Als wir den zweiten gesehen haben, dachten wir schon, dass ihnen das nicht gefallen würde. Wir fanden es aber nicht gefährlich, und weil in den 'Event-Notes' stand, dass es rechts sein muss und nach der Boxenausfahrt, dachten wir, es wäre zweideutig genug, um es verteidigen zu können."

Shovlin gibt zu: Von FIA-Sanktion nicht überrascht

"Aber als wir die Position des Autos sahen, war es keine totale Überraschung, dass das nicht gut ankam", räumt er ein. "Mit Sicherheit hätte es auch Teams gegeben, die sich darüber beschwert hätten. Ich weiß nicht, ob es die FIA und die Kommissare selbst gesehen haben."


Fotostrecke: Sotschi: Fahrernoten der Redaktion

Die Ankündigung Wolffs, gegen die Strafe keinen Protest einzulegen, basierte dann allerdings auf Halbwissen unmittelbar nach dem Rennen. Denn gegen eine Zeitstrafe, die bereits an der Box abgesessen wurde, kann gar kein Protest eingelegt werden. Damit verhält es sich wie bei umstrittenen Schiedsrichterentscheidungen im Fußball.

Bei Mercedes wird man den Zwischenfall nun genau analysieren und versuchen, etwas daraus zu lernen: "Wir müssen uns unsere Prozeduren und unsere Kommunikation anschauen", gibt Wolff zu - und stellt klar: "Wir werden sicher nicht mit dem Finger auf denjenigen zeigen, der das Problem verursacht hat." Das sei nicht Mercedes-Kultur.

"Manchmal sind die Dinge nicht schwarz und weiß, sondern es gibt Raum für Interpretationen. Und es gibt Vernunft. Es ist Tatsache, dass zwei Rennstrafen ausgesprochen wurden für einen Vorfall, der sich vor dem Rennen ereignet hat. Und Vorteil hatte er dadurch auch keinen, denke ich. Denn dort hatte es viel weniger Grip als auf seiner eigentlichen Startposition."

Bitter für Hamilton: Der 91. Sieg, der ihn in der ewigen Bestenliste der Formel 1 auf eine Stufe mit Rekordhalter Michael Schumacher gestellt hätte, wurde so vertagt. Die nächste Chance hat er jetzt ausgerechnet beim Grand Prix der Eifel auf dem Nürburgring, einer Strecke, auf der eine Kurve den Namen "Michael-Schumacher-S" trägt ...

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