F1-Rennen Mugello 2020: War das die Vorentscheidung in der WM?
Lewis Hamilton gewinnt den Chaos-Grand-Prix in der Toskana und baut seinen Vorsprung in der WM auf 55 (Bottas) beziehungsweise 80 Punkte (Verstappen) aus
(Motorsport-Total.com) - Lewis Hamilton hat den turbulenten Grand Prix der Toskana in Mugello, der gleich zweimal mit roter Flagge unterbrochen und neu gestartet werden musste, gewonnen - und damit einen Riesenschritt in Richtung siebentem WM-Titel gemacht. Denn Mercedes' schärfster Rivale im Kampf um die Fahrer-WM, Max Verstappen, ist leer ausgegangen. Hamiltons Vorsprung auf den Red-Bull-Piloten beträgt nach neun von 17 Rennen der Formel-1-Saison 2020 80 Punkte.
Selbst 'ORF'-Experte Alexander Wurz stimmt zu, dass man Hamilton jetzt schon fast zum WM-Titel gratulieren darf. Fix sind neue Rekordmarken: Der 35-Jährige hat in Mugello zum 42. Mal hintereinander die Zielflagge gesehen (übrigens immer in den Punkten) und damit Nick Heidfeld aus den Statistikbüchern eliminiert.
In seiner gesamten Karriere ist es das 222. Punkteresultat - ebenfalls Rekord, vor Michael Schumacher (221). Und Hamiltons sechster Saisonsieg ist der 100. Triumph der modernen Mercedes-Silberpfeile, seit diese 2010 wieder in die Formel 1 eingestiegen sind. Ganz nebenbei wackelt jetzt auch der Schumacher-Rekord von 91 Siegen gewaltig. Hamilton steht bei 90.
"Es kommt mir surreal vor", sagt der sechsmalige Weltmeister. "Es ist ein Privileg, in dieser Position mit so einem tollen Team und so einem tollen Auto zu sein. Ich bin unendlich dankbar für all die Menschen, die so hart arbeiten. Ich bin ja nur ein Glied in der Kette. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so weit kommen würde."
Mercedes: Einziger Gegner war man selbst
Der Sieg in Mugello war aber kein Selbstläufer. Zwar hat Mercedes das Rennen nach Belieben dominiert - man konnte es sich sogar leisten, die Fahrer anzuweisen, aus Sicherheitsgründen von den Randsteinen wegzubleiben, um keine Neuauflage von Silverstone zu riskieren. Davor hatten nach dem heftigen Abflug von Lance Stroll (Racing Point) einige Angst.
Polesetter Hamilton verlor den ersten Start gegen Bottas, gewann aber den zweiten und dritten - und war auf der Strecke eigentlich nie gefährdet, den Sieg zu verlieren. Besonders eindrucksvoll seine Machtdemonstration in der vorletzten Runde, als er mit 1:18.833 Minuten den Bonuspunkt für die schnellste Runde eroberte - 0,599 Sekunden vor Bottas!
Am ehesten wackelte Hamilton, als beim Re-Start seine Bremsen qualmten. Was in der Live-Übertragung nicht weiter als Gefahr betrachtet wurde, beunruhigte ihn im Cockpit sehr: "Wenn du siehst, wie eine Flamme aus deiner Bremse leuchtet, ist das kein gutes Zeichen", sagt er.
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Bottas seufzt: "Ich bin sehr enttäuscht, denn es war für mich ein Traumstart ins Rennen. Bis zum Safety-Car-Re-Start konnte ich meine Position halten. Als ich die Führung beim zweiten Start verloren hatte, hatte ich keine echten Chancen mehr." 55 Punkte Rückstand in der WM kommentiert er achselzuckend: "Was soll ich machen? Ich muss einfach weiter pushen."
Dritter wurde Alexander Albon (Red Bull). "Es hat eine Weile gedauert", lacht der 24-Jährige nach seinem ersten Podium in der Formel 1. In Brasilien 2019 und Österreich 2020 hatte er die Chance auf einen Pokal noch jeweils nach Kollisionen mit Hamilton verloren. Diesmal setzte er den entscheidenden Stich mit einem überragenden Überholmanöver gegen Daniel Ricciardo (4./Renault).
"Unser Auto ist ziemlich gut auf der Bremse", spielt Albon sein Manöver in der ersten Kurve herunter. Doch Teamchef Christian Horner lässt das nicht gelten: "Daniel ist nicht leicht zu überholen. Jemanden wie ihn außen zu überholen, da muss man schon was können." Albon habe sich sein erstes Podium "wirklich erkämpfen" müssen: "Sehr beeindruckend."
Ricciardo: Mehr war einfach nicht drin
Ricciardo hatte beim letzten Re-Start zunächst sogar Bottas überholt, konnte den Mercedes aber erwartungsgemäß nicht hinter sich halten - und verlor dann auch das Duell gegen Albon: "Wir können sagen, dass wir das Podium verloren haben. Aber schneller waren wir einfach nicht", meint er. "Unsere Strategie war toll, wir haben Stroll undercuttet, die Starts waren super."
Sergio Perez belegte nach 59 Runden den fünften Platz, vor Lando Norris (McLaren) und Daniil Kwjat (AlphaTauri). Der Mexikaner stand aber über weite Strecken im Schatten seines Teamkollegen Stroll. Das lag nicht in erster Linie daran, dass er das Autofahren verlernt hat - sondern daran, dass Racing Point nur für ein Auto das neueste Update fertig hatte.
Das ist jetzt aber Schrott, denn beim Crash ausgangs Arrabbiata endete Strolls rosa Bolide zumindest dem ersten Eindruck nach als Totalschaden. Sein Fehler war das nicht: "Es war ein Reifenschaden oder ein Aufhängungsdefekt. Jedenfalls ist was gebrochen", ist er sich sicher. Sonst wäre Platz drei möglich gewesen.
Für einen der großen Favoriten, Max Verstappen, war das Rennen schon in der ersten Runde vorbei. Der Red-Bull-Pilot kam auf den ersten Metern zunächst gut weg und schien die Mercedes zu attackieren, als er plötzlich dramatisch langsamer wurde und im Feld nach hinten durchgereicht wurde.
"Ich habe schon auf dem Weg in die Startaufstellung gemerkt, dass wir wieder ein Problem mit dem Motor haben. Das ist einfach nicht behoben", ärgert sich Verstappen und ergänzt: "Ich glaube, es war genau das gleiche Problem wie in Monza." Am Boxenfunk klang er weniger diplomatisch, als er den Honda-Motor als "fucking Shitshow" bezeichnet hat.
Kurz danach braute sich das nächste Unheil zusammen, als Monza-Sieger Pierre Gasly (AlphaTauri) von Kimi Räikkönen (Alfa Romeo) links und Romain Grosjean (Haas) rechts in die Zange genommen wurde. Das Trio verlor die Kontrolle - und Räikkönen rauschte von hinten in Verstappen rein, für den das Rennen damit beendet war.
Red Bull: Chancen in der WM nur noch minimal
Genau wie der Traum davon, jüngster Formel-1-Weltmeister aller Zeiten zu werden. Nach neun von 17 Rennen hat der 22-Jährige 80 Punkte Rückstand auf Hamilton. "Mit Max war die reelle Gewinnchance da", findet Red-Bull-Motorsportkonsulent Helmut Marko. "Alles in allem ein turbulentes Rennen mit einem schlechten Ausgang für uns."
Schlecht war der Ausgang auch für Ferrari, beim 1.000. Grand Prix der Scuderia. Charles Leclerc lag zwar phasenweise an dritter Stelle, wurde aber nach hinten durchgereicht, ohne sich wehren zu können. Irgendwann hatte er die Nase voll und wechselte auf "Plan C, weil wir nichts mehr zu verlieren haben. Wir sind eh so langsam."
Das ging aber auch in die Hose, denn Leclerc konnte mit dem Hard, den er beim ersten Boxenstopp aufziehen ließ, nicht bis zum Ende durchfahren. Letztendlich gewann er wegen der Fünf-Sekunden-Strafe gegen Räikkönen noch eine Position und wurde Achter. "Ein schwieriger Moment für mich und Ferrari", gibt er zu.
Teamkollege Sebastian Vettel konnte Räikkönen trotz dessen Strafe nicht überholen und wurde Zehnter, immerhin 2,4 Sekunden vor George Russell (Williams). Er wirkt resigniert, wenn er sagt: "Wir hatten einfach nicht die Pace. Sehr ernüchternd. Phasenweise war sogar Williams schneller als wir."
Insgesamt sahen in Mugello nur zwölf Fahrer die Zielflagge. Verstappen und Gasly wurden gleich in der ersten Runde eliminiert; Antonio Giovinazzi (Alfa Romeo), Kevin Magnussen (Haas), Carlos Sainz (McLaren) und Nicholas Latifi (Williams) beim heiß diskutierten Crash beim Re-Start in Runde 7.
Die Art und Weise, wie etwa Giovinazzi und Sainz von hinten ins Feld hineinrauschten, das noch nicht auf Speed war, löste nach dem Rennen eine Diskussion über die Sicherheitsstandards in Mugello aus. Hamilton winkt ab: "Ich finde nicht, dass es zu gefährlich ist - sondern alte Schule, mit den Kiesbetten und den kleinen Auslaufzonen."