F1-Qualifying Silverstone 2020: "Das ist eine eigene Welt"
Lewis Hamilton schlägt Valtteri Bottas, Mercedes dominiert das Qualifying beim Grand Prix von Großbritannien - Sebastian Vettel unterliegt Charles Leclerc klar
(Motorsport-Total.com) - "25.0? Was zur Hölle!" Der Funkspruch von Ferrari-Pilot Charles Leclerc während Q2 in Silverstone beschreibt ganz gut, wie dominant Mercedes im Qualifying zum Grand Prix von Großbritannien war (Formel 1 2020 live im Ticker!). Am Ende steigerte sich Lewis Hamilton sogar noch auf 1:24.303 Minuten - und war damit um 1,022 Sekunden schneller als der erste Mercedes-Verfolger.
"Das ist eine eigene Welt, wo die herumfahren", schwärmt sogar der sonst zurückhaltende 'ORF'-Experte Alexander Wurz. "Und es war weder von Hamilton noch von Bottas eine Monster-Runde. Da war bei beiden ein bisschen Sand im Getriebe. Trotzdem eine Sekunde Vorsprung, das ist schon echt beeindruckend."
Letztendlich war es ein Duell um die Pole - und eines, das spannender war, als es Hamiltons Vorsprung von 0,313 Sekunden suggeriert. Denn bei der ersten Zwischenzeit des alles entscheidenden Q3-Showdowns lag Valtteri Bottas noch in Führung. Aber dann ist er plötzlich "hinten mehr gerutscht", und so holte Hamilton seine 91. Pole.
Dabei hatte Hamilton in Q2 kurz etwas nervös gewirkt. Der Weltmeister war mit den Set-up-Änderungen, für die er sich nach dem Abschlusstraining entschieden hatte, nicht zufrieden. In Q2 drehte er sich dann, was ihn einen Reifensatz kostete. Danach stand er Carlos Sainz (7./McLaren) im Weg: "Ich hatte Verkehr im letzten Sektor. Es war Hamilton. Inakzeptabel. Inakzeptabel."
Mercedes ist nur bei Hitze verwundbar
Am Freitag sah es noch danach aus, als sei Mercedes in Silverstone verwundbar. Aber das lag wohl nur an den Temperaturen jenseits der 35-Grad-Marke. Bei gut 20 Grad ist Mercedes unschlagbar: "Das Auto ist so gut. Es ist wirklich erstaunlich", wundert sich selbst Bottas.
"Bis Q3", seufzt der Finne, "war es ein gutes Qualifying. Ich habe mich wohlgefühlt. Aber dann begann das Auto zu rutschen. Ich weiß auch nicht warum." Hamilton ist froh, dass er sich im teaminternen Duell durchgesetzt hat: "Valtteri hat mich dieses Wochenende echt gepusht. Es ist mir heute wirklich nicht leicht gefallen."
Bezeichnend für das Ausmaß der Mercedes-Dominanz ist, dass sich selbst Max Verstappen (3.) langsam damit abzufinden scheint, dass der dritte Platz für ihn das Höchste der Gefühle ist. "Normalerweise", sagt er, "werden wir morgen keine Chance haben." Als neues Ziel definiert der Red-Bull-Pilot: "So lange es geht dranbleiben und Punkte sammeln."
Vierter wurde Leclerc, der nach dem Durchhänger in Ungarn an diesem Wochenende wieder die klare Nummer 1 im Hause Ferrari ist. Sebastian Vettel (10.) nahm er fast eine Sekunde ab. Und auf Verstappen fehlte nur eine Zehntelsekunde.
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"Ich hätte nicht damit gerechnet, Vierter zu werden. Und schon gar nicht hätte ich damit gerechnet, auf Medium durch Q2 zu kommen", strahlt der Monegasse. "Das wird uns im Rennen helfen. Unser Renntempo sieht richtig gut aus. Ich glaube, dass da was möglich ist."
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Vettel erlebte seinerseits ein durchwachsenes Wochenende. Am Freitag konnte er wegen technischer Probleme nur halb so viele Runden drehen wie geplant. Das ging am Samstagmorgen so weiter. Im Qualifying hätte es ihn beinahe schon in Q2 erwischt: Nach seiner ersten Runde auf Soft konnte er auf der zweiten auf Medium nicht mehr zulegen. Ihn retteten nur Tausendstel.
"Mit dem Soft zu starten", weiß Vettel, dessen schnellste Runde gestrichen wurde, "ist nicht ideal. Ich habe einfach keinen Rhythmus gefunden. Das Auto war gar nicht so schlecht. Aber für mich hat es heute nicht gepasst. Die Probleme gestern haben es nicht einfacher gemacht."
Die knappen Abstände auch nicht. Nico Hülkenberg kann ein Liedchen davon singen. Wäre er nur 0,2 Sekunden schneller gewesen, wäre er als Siebter locker ins Q3 eingezogen. So schied er als 13. aus. Es sei bei seinem ersten Qualifying seit dem Comeback "nicht einfach" gewesen, "einen Rhythmus zu finden". Etwas anderes zu erwarten, wäre aber auch "utopisch" gewesen, sagt er.
Hülkenberg gibt zu: Bin hart an der Grenze
"Ich will kein Ergebnis prophezeien. Ich will eine gute Leistung abliefern. Und hoffentlich kommt was Zählbares bei rum", sagt er - und leugnet nicht, dass er an seine Grenzen gehen musste: "Der Nacken streckt im Moment die Zunge raus! Die Maschinen sind schon abartig schnell. Das ist echt beeindruckend und Wahnsinn."
Hülkenberg hatten am Freitag noch 0,6 Sekunden auf seinen Teamkollegen Lance Stroll (fiel im letzten Q3-Run noch vom vierten auf den sechsten Platz zurück) gefehlt. Doch in Q2 waren die beiden praktisch auf Augenhöhe. Stroll war zwar nur um 0,065 Sekunden schneller. Das reichte aber, um (zeitgleich mit Pierre Gasly auf P11!) eine Runde weiter zu kommen.
Stroll landete schlussendlich im McLaren-Sandwich zwischen Lando Norris (5./+1,479) und Carlos Sainz (7./+1,662). Die beiden Renaults belegten die Startpositionen acht und neun. Hinter den beiden Mercedes sowie je einem Red Bull und Ferrari kämpfen also mit Racing Point, McLaren und Renault die üblichen Verdächtigen.
George Russell (Williams) schaffte als 15. den Einzug ins Q2 und schlug damit vier Ferrari-Kundenautos. Dass er eine Strafe kassieren könnte, weil er unter Gelb nicht vom Gas gegangen ist, glaubt er nicht: "Ich bin definitiv vom Gas gegangen." Sein Teamkollege Nicholas Latifi schied nach einem Dreher bereits in Q1 aus.