Toto Wolff: Hamiltons Pole-Runde "nicht von diesem Planeten"
Auch ohne Einsatz des DAS-Systems hat Lewis Hamilton beim Grand Prix in Spielberg selbst Regenspezialist Max Verstappen zum Statisten degradiert
(Motorsport-Total.com) - In einem Qualifying wie jenem zum Grand Prix der Steiermark in Spielberg (Formel 1 2020 live im Ticker!), geprägt von heftigem Regen und rutschigen Verhältnissen, setzen sich normalerweise nur die Besten der Besten durch. Und die, die ihre Reifen am besten ins richtige Temperaturfenster bekommen.
Das Gummi darf nicht zu kalt sein, denn sonst bieten die Reifen keinen Grip; aber auch nicht zu heiß, weil sich die Regenreifen sonst in ihre Einzelteile auflösen. Praktisch, könnte man meinen, wenn ein Team dann ein System wie DAS (Dual-Axis-Steering) hat, das angeblich dazu dient, die Reifentemperatur in den Aufwärmrunden besser zu managen.
Umso überraschender, dass DAS im Qualifying nicht eingesetzt wurde. Das behauptet zumindest Toto Wolff: "Ich glaube, wir haben DAS in keiner der Runden verwendet. Aber die Reifentemperaturen spielen definitiv eine Rolle. Man konnte beim letzten Anstellen an der Ampel schon sehen, dass einige Teams sehr heiße Reifen hatten, die gedampft haben, und andere nicht."
"Ich vermute, es geht mehr ums Set-up, wie man die Reifen in der Session selbst ins richtige Temperaturfenster bekommt. Denn wenn nicht, dann fehlt dir Grip", erklärt der Mercedes-Teamchef. "Sind die Reifen zu heiß, bist du am anderen Ende des Spektrums. Das ist genauso kontraproduktiv."
Hamilton: Größter Vorsprung seit Rosberg 2014
Aber Polesetter Lewis Hamilton hatte DAS gar nicht nötig, um seinem ersten Verfolger Max Verstappen, selbst auch erklärter Regenspezialist, sagenhafte 1,216 Sekunden Rückstand aufzubrummen. Das ist der größte Vorsprung eines Polesetters in der Formel 1 seit Silverstone 2014, als Nico Rosberg im Mercedes Sebastian Vettel im Ferrari um 1,620 Sekunden abgehängt hat!
Wolff schwärmt: "In ganz seltenen Momenten sehen wir Leistungen, die einfach nicht von diesem Planeten sind. Wenn man sich die Onboard anschaut, hat er das Auto am Limit balanciert, mit Aquaplaning. Seine Gaspedalkontrolle war unglaublich. Und ich kann mich nicht erinnern, wann wir zum letzten Mal 1,2 Sekunden Abstand zwischen dem Ersten und Zweiten hatten."
Auch wenn Verstappen ohne seinen Dreher im dritten Sektor seiner letzten Runde natürlich viel näher an Hamilton dran gewesen wäre. Im ersten Sektor hatte der Red-Bull-Pilot nur 0,033, im zweiten dann 0,375 auf Hamilton eingebüßt. Geht man davon aus, dass er auch im letzten Sektor noch etwas Zeit verloren hätte, wäre wohl rund eine halbe Sekunde zusammengekommen.
Hamilton schwärmt trotzdem davon, dass seine letzte Runde "ganz ehrlich fantastisch" war: "Die hohe Kunst ist, die Reifen gut zu managen, die Batterie, genau zu wissen, wann du deine paar Runden mit dem Quali-Motorenmodus fährst, die richtigen Gaps zu suchen und keinen Fehler zu machen, wenn es drauf ankommt."
"Das war eine Runde! Die davor hätte auch gereicht, aber die letzte Runde war wirklich so nahe dran an perfekt, wie es bei solchen Bedingungen halt möglich ist. Und wenn ich dran denke, dass der Regen am Ende eher zugenommen hat, macht es mich noch glücklicher, dass ich mich sogar noch steigern konnte", so der Mercedes-Superstar.
Silverstone 2008: Hamiltons Meisterstück
Da werden Erinnerungen an sein magisches Regenrennen in Silverstone 2008 wach, in dem er bis auf die Top 3 alle überrundet und mehr als eine Minute Vorsprung auf den Zweitplatzierten (Nick Heidfeld) herausgefahren hat.
"Da wirst du eins mit deinem Auto", berichtet er, "und du musst die Dynamik deines Fahrstils von Kurve zu Kurve neu beherrschen, wenn die ganzen Pfützen daherkommen und sich ja auch dauernd verändern. Und du musst schauen, dass du möglichst kein Auto vor dir hast, was auch eine enorme Herausforderung ist. Umso mehr bin ich super glücklich."
Wolff ist beeindruckt. Solche Runden seien nur möglich, sagt er, wenn "Fahrer und Auto verschmelzen und eins werden. Ein perfektes Auto, mit den Reifen im richtigen Temperaturfenster, eine perfekte Fahrbarkeit der Power-Unit mischen sich mit Können und Intelligenz des Rennfahrers: Nur dann sieht man solche Leistungen."
Aber bei allem Lob für Ausnahmekönner Hamilton: Jede Pole ist auch eine Teamleistung. Das will Wolff nicht unerwähnt lassen: "Bei solchen Bedingungen musst du wirklich auf der Höhe sein, den Fahrer anzuweisen, wo die Lücken sind, wie sich das Wetter entwickelt. Der Fahrer füttert retour, was er auf der Strecke sieht. Das Intercom-Protokoll muss da sehr präzise sein."
"Es hilft sehr, wenn Ingenieur und Fahrer schon lange zusammenarbeiten und einander vertrauen. Dann kannst du mit deinen Nachrichten sehr direkt sein, weil die Beziehung gefestigt ist. Wenn ihr die ganzen Funksprüche zwischen Boxenmauer und Garage gehört hättet, dann muss ich sagen, dass ich heute wirklich stolz auf das Team bin! Das war alles perfekt synchronisiert."