F1-Qualifying Spielberg 2020: Hamilton fährt mit "Herz in der Hose" auf Pole
Das Qualifying zum GP der Steiermark in der Analyse: Wie Hamilton & Verstappen dem Geschehen ihren Stempel aufgedrückt haben und Ferrari erneut versagt hat
(Motorsport-Total.com) - Lewis Hamilton hat sich in einem spannenden Qualifying zum Grand Prix der Steiermark am Red-Bull-Ring in Spielberg (Formel 1 2020 live im Ticker!) die Pole-Position gesichert. Der Mercedes-Fahrer stellte bei strömendem Regen sein außergewöhnliches Talent unter Beweis und hängte seine ersten Verfolger Max Verstappen (Red Bull) und Carlos Sainz (McLaren) um 1,216 beziehungsweise 1,398 Sekunden ab!
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Lewis Hamilton ist im Regen-Qualifying in Spielberg auf Pole gefahren Zoom Download
Die große Enttäuschung des Qualifyings war erneut das Ferrari-Team. Nach P7/11 vor einer Woche reichte es diesmal nur zu P10/11 - und das trotz des Regens, wo doch Sebastian Vettel und Charles Leclerc als ausgewiesene Regenspezialisten gelten.
"Ich dachte, wir können einen Unterschied machen", seufzt Vettel. "Man hat aber gesehen, dass wir uns in allen drei Sessions unheimlich schwergetan haben. Unser Auto war nicht gut für Regen abgestimmt." Auch Leclerc klingt ernüchtert, wenn er sagt: "Wir sind einfach nicht schnell genug. Bei 1,8 Sekunden Rückstand kannst du das drehen und wenden, wie du willst: Wir haben zu tun."
Vettel hat das Auto sogar "ein paar Mal" außer Kontrolle verloren: "In der letzten Runde habe ich dann probiert, in Kurve 8 den Fuß unten zu lassen, und habe dann wahrscheinlich eine Pfütze erwischt. Dann ging's ab! Zumindest musste ich es probieren. Ich war schon ein bisschen hinten auf der Runde. Es war den Versuch wert."
Verstappen: Bei mehr Regen in Q3 keine Chance
An der Spitze lief alles auf ein Pole-Duell der Superstars Hamilton und Verstappen hinaus. In Q1 hatte Hamilton die Nase um 0,109 Sekunden vorn, in Q2 um 0,113 Sekunden. Rechtzeitig zum Beginn von Q3 nahm der Regen nochmal zu. "Da taten wir uns ein bisschen schwerer", sagt Verstappen. "Ich brachte in den Kurvenkombinationen die Power nicht mehr so auf die Straße."
Das Resultat war ein Dreher in der allerletzten Runde: "Ich kam ein bisschen auf den Randstein und habe die Kontrolle verloren", erklärt der 22-Jährige und gibt zu: "Die letzte Runde wäre besser gewesen - aber ich glaube: nicht gut genug, um Lewis zu knacken. P2 ist auch gut."
Hamilton war bei den extremen Verhältnissen (das Qualifying begann wegen des Regens mit 46 Minuten Verspätung, das Abschlusstraining hatte die FIA sogar ganz abgesagt) eine Klasse für sich. "Ich liebe solche Tage. Besonders, wenn du am Ende auf Pole stehst", lächelt er, räumt aber ein: "Du fährst komplett blind. Einmal ist mir echt das Herz in die Hose gerutscht!"
Angesichts der Gischt war das Qualifying besonders in Q3 ein echter Blindflug für die Fahrer. Ein Wunder, dass es zwar ein paar Ausritte gab, aber keine richtigen Unfälle. Verstappen schildert aus Fahrersicht: "Sobald du innerhalb von sechs Sekunden zu einem anderen Auto bist, siehst du mit diesen Autos und den breiten Reifen absolut gar nichts mehr."
Wolff: Regen zeigt die Klasse der Fahrer
Da sieht man dann, wer Autofahren kann, meint Mercedes-Teamchef Toto Wolff: "Da sind nicht nur Lewis oder Max vorn, sondern auch Ocon auf P5, Sainz auf P3, Russell mit dem Williams auf P12. Wenn man Ocon gegen Ricciardo sieht und Russell nahe an den Ferraris, der fast in die Top 10 gefahren wäre - da kommt dann die Klasse der jungen Fahrer sehr stark raus."
Carlos Sainz sicherte sich den dritten Platz und bescherte dem McLaren-Team damit das nächste Erfolgserlebnis. Wichtig, denn Teamkollege Lando Norris wird wegen Überholens unter Gelb im Freien Training vom sechsten auf den neunten Platz zurückgereiht. Sainz bleibt aber zurückhaltend: "Wir haben Leute wie Albon und Bottas hinter uns. Die werden schwer zu schlagen sein."
Bottas, Saisonauftakt-Sieger vor einer Woche, verlor als Vierter eineinhalb Sekunden auf Hamilton. Ein Rückstand, den er zumindest teilweise erklären kann: "Ich brachte nicht genug Temperatur in die Vorderreifen, und deshalb glasierten glaube ich meine Bremsen. Das ist gerade im Regen extrem ärgerlich, denn da brauchst du Vertrauen ins Auto."
Esteban Ocon (Renault) fuhr sensationell auf P5 und gewann damit das Stallduell gegen Daniel Ricciardo (9.) um drei Zehntelsekunden. Alexander Albon (Red Bull) fehlten 1,738 Sekunden auf Polesetter Hamilton: P7. Und Pierre Gasly (AlphaTauri) stellte als Achter unter Beweis, dass das erste Rennen in Spielberg keine Eintagsfliege war.
Williams: Erstmals seit 2018 nicht in Q1 raus
Die positive Überraschung des Qualifyings: George Russell beschert Williams erstmals seit Brasilien 2018 einen Q2-Einzug. "Hätte mir das vor dem Wochenende jemand gesagt, ich hätte es nie und nimmer geglaubt", grinst er. Die negative: Podiumskandidat Racing Point scheitert mit Sergio Perez schon in Q1 und mit Lance Stroll in Q2.
Bitter besonders für Perez (und Williams-Rookie Nicholas Latifi, dem es genauso erging), der gerade auf einer schnellen Runde war, als die Session 13 Sekunden vor dem Ende wegen Antonio Giovinazzi (19./Alfa Romeo) abgebrochen wurde. Ganz ohne Zeit blieb Romain Grosjean (Haas). Bei ihm streikte die Wasserpumpe.
Übrigens: Für Leclerc könnte das Qualifying noch ein Nachspiel haben. Er soll Daniil Kwjat (14./AlphaTauri) behindert haben. Das wird an der ersten Startreihe aber nichts mehr ändern. Und auch nicht an der Bewunderung für Hamiltons Leistung. "Brutal. Das ist eine eigene Welt", schwärmt zum Beispiel 'ORF'-Experte Alexander Wurz.
Hamilton war während des Qualifyings voll im Tunnel. Einmal bat er seinen Renningenieur darum, ihn doch bitte in Ruhe zu lassen. Positiv für das Rennen: Die Technik sollte jetzt okay sein. "Wir haben das Problem über Nacht entdeckt. War nix Großes", gibt Hamilton Entwarnung. "Ich glaube, dass es morgen auch im Trockenen besser laufen wird."