Renault: Italien-Freudenfest nur eine Momentaufnahme?
Renault konnte im Italien-Grand-Prix mit dem ersten Top-5-Ergebnis beider Fahrer seit 2008 aufzeigen - Hält die erstarkte Form in Singapur an?
(Motorsport-Total.com) - Das Renault-Team kommt voller Selbstvertrauen aus dem Italien-Grand-Prix zum Nachtrennen nach Singapur. Dort hoffen die Franzosen, dass sie ihre Schwächen gut kaschieren können. Denn um das Saisonziel, den vierten WM-Rang, noch zu realisieren, braucht es ein erneut starkes Ergebnis wie zuletzt in Monza. Langfristig wird das Team bei der Aerodynamik einen neuen Weg einschlagen, kündigt Daniel Ricciardo an.
"Ich denke, dass uns diese Strecke liegt oder unsere Schwächen versteckt", kommentierte Nico Hülkenberg das Qualifying-Ergebnis von Italien. Auf den Rängen fünf und sechs landeten die beiden Werkspiloten. Auf Sebastian Vettel fehlten nur knapp vier Zehntelsekunden. Und das auf einer Power-Strecke. "Ein ziemlich starkes Statement" aus Viry-Chatillon findet Ricciardo.
Zum ersten Mal seit 2007 schafften beide Renault-Piloten die Qualifikation in den Top 6. Das Autodromo Nazionale Monza habe die "guten Seiten" der Renault-Antriebseinheit zu Tage gebracht, meinte der Emmericher. Das sollte sich auch im Rennen bewahrheiten: Rang vier und fünf.
Abiteboul: Positive Energie in Singapur umwandeln
Das letzte Mal gelang Renault diese Ausbeute in der Saison 2008. "Das ist großartig, wie in einer anderen Sportart, einem anderen Leben!", schwärmte Cyril Abiteboul schon am Quali-Samstag. Das Team schaffte in nur einem Rennen den Sprung vorwärts, um satte 22 Punkte.
Das hat der Truppe einen Schub gegeben, berichtete der Teammanager. "Die Gesichter der Jungs in der Garage strahlten plötzlich. Sogar beim Boxenstopp-Training spürt man diese andere Art von Energie." Plötzlich ist das Werksteam dort angekommen, wo es bereits das gesamte Jahr über sein wollte: erster Verfolger der Topteams.
Doch ist das Italien-Ergebnis nur eine Momentaufnahme? "Wir wissen, was fehlt und was wir wollen. Wir müssen das [Resultat] in noch mehr positive Energie umwandeln." Dann werde man in Zukunft auch ein konkurrenzfähigeres Auto haben, prophezeit Abiteboul.
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Die schlechte Nachricht: Renault hat ein funktionierendes Aero-Paket für Strecken, auf denen wenig Abtrieb gefragt ist, wie eben Spa und Monza. In Singapur wird allerdings genau das Gegenteil verlangt. "Das Nachtrennen ist einmalig, hoffentlich können wir dort konkurrenzfähig sein."
Die Europa-Saison habe Großteils Strecken beinhaltet, die nicht der Charakteristik des R.S.19 entgegenkamen, meint Abiteboul. "Im Vorjahr waren wir gegen Saisonende stärker, hoffentlich können wir das in diesem Jahr wiederholen." Er weiß: McLaren, der schärfste Rivale, liegt weiterhin komfortabel voran - und wird in Singapur schwer zu schlagen sein.
"Ja, es sind 21 Punkte", hakte Hülkenberg nach dem vergangenen Grand Prix ein. 65 zu 83 steht es momentan zwischen den beiden Renault-betriebenen Rennställen. Das Team hat das erklärte Ziel keinesfalls aus den Augen verloren. Gesamtrang fünf wäre ein deutlicher Rückschritt im langfristigen Sechsjahresplan.
"Fehlender Optimismus" in Italien verschwunden
Das Ergebnis von Monza ist eine zwischenzeitliche "Erleichterung", so Hülkenberg. Er erwarte für die kommenden "ein oder zwei Rennen" noch neue Updates, die bei der Jagd auf McLaren helfen sollen. Aber warum hat es bisher nicht geklappt?
"Weil wir Fehler gemacht haben. Wir hatten Zuverlässigkeitsprobleme und manchmal auch Strafen. Wenn du dann nicht von vorn startest und nicht in deiner eigentlichen Position auf der Strecke bist, dann wird es schwierig." Manchmal habe auch einfach die Pace gefehlt.
Der "fehlende Optimismus", den Ricciardo in den vergangenen Jahren von Renault-Seite in Italien wahrgenommen hat, sei 2019 ausgeblieben. "Daher ist es etwas so Besonderes, dass sie es in Monza hingekriegt haben und deutliche Fortschritte erzielen konnten", freute er sich nach dem Rennen.
Fotostrecke: Renault-Meilensteine in der Formel 1
Grand Prix von Großbritannien 1977 in Silverstone: Mit Jean-Pierre Jabouille gibt der französische Automobilhersteller Renault sein Formel-1-Debüt. Es handelt sich um einen Werkseinsatz mit zunächst einem Boliden. Beim Debüt startet Jabouille von Position 21, fällt im Rennen aber aufgrund eines defekten Turboladers aus. Auch bei vier weiteren Starts in der Saison 1977 sieht der gelbe Renault RS01 die Zielflagge nicht. Fotostrecke
Er hofft ebenso, dass die Franzosen ihre Erkenntnisse aus dem Aero-Paket mit wenig Abtrieb auch auf das Paket für hohen Abtrieb, das in Singapur zum Einsatz kommen wird, transferieren können. "Obwohl wir damit weniger Grip hatten durch die flacheren Flügel, fühlte es sich einfacher zu fahren und balancierter an."
Das Monza-Paket sei "großartig", weshalb Ricciardo unschlüssig ist, was er vom Nachtspektakel in Asien erwarten soll. "Das bedeutet ja nicht, dass wir es nicht auch bei niedrigen Geschwindigkeiten richtig hinbekommen können."
Dem Ex-Red-Bull-Piloten fällt es nach seinem bisher besten Renault-Ergebnis sichtlich leichter, seinen Wechsel vom Topteam zu den Gelben nicht zu bereuen. Nach einem ersten starken Wochenende in Kanada mit Platz sechs war Italien der zweite Hoffnungsschimmer.
Änderung der Aero-Philosophie für 2020
"Es hat ein bisschen Zeit gebraucht bis zum zweiten großen Ergebnis. Es ist zwar kein Podium und ich bekomme keinen Champagner dafür, aber das ist schon ein schönes Stück Selbstverwirklichung." Es sei an der Zeit gewesen, dieses Ergebnis einzufahren. Deshalb hatte Ricciardo nach dem Rennen auch Gänsehaut. "Jeder hat so hart dafür gearbeitet, wir alle verdienen es."
Indirekt deutete Ricciardo nach dem Grand Prix auch an, dass der Druck in Frankreich ob des schlechten Saisonstarts immer weiter gestiegen ist: "Die Franzosen halten mit ihren Emotionen nicht hinterm Berg. Man konnte spüren, dass etwas im Busch war. Daher bin ich froh, dass jetzt alle die Schultern etwas lockern können."
Längerfristig will sich Renault für die Zukunft besser aufstellen. Gegenüber der 'BBC' hat der 30-Jährige verraten, dass die Philosophie des R.S.19 2020 nicht weiterverfolgt werden wird. "Wenn ich mit dem Team spreche, scheint uns die Basis des Autos zu limitieren. Wir haben es zwar entwickelt, aber es kann nicht mehr wirklich weiterentwickelt werden."
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Deshalb will das Werksteam für kommendes Jahr die Aero-Philosophie ändern. "Anfänglich mag das zwar härter sein, doch im Endeffekt werden wir dadurch mehr Abtrieb-Punkte, wie wir das nennen, erhalten." Renault scheint wohl ähnlich wie Ferrari ein Konzept verfolgt zu haben, das den Abtrieb generell limitiert.
Das steht im starken Kontrast zu Mercedes. Der W10 scheint zwar schwieriger ins optimale Arbeitsfenster zu kommen, funktioniert dann aber im Endeffekt besser - auf allen Streckentypen. Für Renault und Ricciardo hängt von dieser Richtungsänderung ab, wie erfolgreich die Partnerschaft langfristig sein wird und ob man 2021 das große Ziel, um den WM-Titel zu kämpfen, tatsächlich erreichen wird.