Nach Formel-3-Crash: Kopfschütteln über "Baguette-Kerb"
Die Fahrer der Formel 1 äußern Unverständnis über die Platzierung des "Baguette-Randsteins" in der Parabolica und wünschen sich für die Zukunft Kiesbetten zurück
(Motorsport-Total.com) - "Mit einem solchen Crash rechnest du nicht", sagt Pierre Gasly. Damit spricht er aus, was viele denken: Der schwere Unfall von Formel-3-Fahrer Alex Peroni in der Parabolica-Kurve in Monza hat Track Limits und deren Überwachung wieder zu einem dringlichen Thema gemacht. Und die Formel-1-Piloten sind sich einig: Hohe Randsteine haben in der Auslaufzone einer schnellen Kurve überhaupt nichts verloren.
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Blick in die Parabolica-Kurve von Monza, wo einst ein Kiesbett war (Archivfoto) Zoom Download
Ein eben solcher, sogenannter "Baguette-Randstein" hatte den Rennwagen von Peroni im Formel-3-Rennen abheben lassen. Das Fahrzeug flog anschließend gut 80 Meter weit, bis es schließlich auf Reifenstapel und in den Fangzaun krachte. Peroni hatte Glück: Er entstieg dem Wrack aus eigener Kraft und hat sich "nur" eine Wirbelverletzung zugezogen. Doch über seinen Unfall wird noch ausführlich zu reden sein.
Zumal der Automobil-Weltverband FIA umgehend auf den Zwischenfall reagierte und den betreffenden Randstein noch vor der nächsten Einheit entfernen ließ. Eine Entscheidung, die von den Grand-Prix-Piloten begrüßt wird. Valtteri Bottas etwa meint: "Diesen Randstein hätte man gut weglassen können, er spielte nämlich keine Rolle für die Track Limits. Er war an der falschen Stelle und hatte offensichtlich auch die falsche Höhe. Lektion gelernt, würde ich sagen."
Formel-1-Fahrer wünschen sich Kiesbett zurück
Charles Leclerc pflichtet seinem Fahrerkollegen bei und bezeichnet die Platzierung des Randsteins als "ein bisschen sinnlos", weil er ohnehin nicht geholfen habe, die Piloten beim mutwilligen Verlassen der Strecke zu hindern. Für solche Aufgaben gäbe es andere, bessere Maßnahmen, sagt Leclerc. "Früher gab es an dieser Stelle einfach ein Kiesbett. Das war eine gute Lösung für Track Limits. Ich war ein Fan davon."
Auch Lewis Hamilton spricht lobend von der Vergangenheit der Parabolica-Kurve: "Es war viel besser, als es dort am Kurvenausgang noch Gras und Kies gab. Ich kann mich gut erinnern, wie man vor dieser Kurve ein bisschen nervös war. Du wolltest nicht zu weit hineinschießen, um nicht in der Mauer zu landen. Das Gras zog dich sonst nach draußen und du musstest den Preis dafür zahlen, dass du über dem Limit unterwegs warst. Jetzt kannst du über das Limit gehen."
Zu viel Asphalt in den Auslaufzonen macht es den Piloten also zu einfach, meint Hamilton, nicht nur in Monza, sondern allgemein. Romain Grosjean denkt ähnlich: "Ich sage schon seit zwei Jahren, wir brauchen Kiesbetten statt Asphalt in der Auslaufzone. Auch an dieser Stelle sollte es Kies geben. Im Kiesbett machst du langsam, da bleibst du nicht auf dem Gas. Aber [auf Asphalt], da fährst du einfach voll durch, weil du keine Zeit und keine Position verlieren willst."
Hohe Randsteine sind "gefährlich"
Was Grosjean und Co. dabei aber vergessen: Asphaltierte Auslaufzonen wurden einst eingeführt, um zu verhindern, dass sich quer ins Kiesbett abfliegende Fahrzeuge überschlagen. Und: Für Rennstrecken sind asphaltierte Auslaufzonen der beste Kompromiss, um den Anforderungen für Automobil- und Motorrad-Rennserien gerecht zu werden.
Dennoch: Der "Baguette-Randstein" in der Parabolica-Kurve sei überhaupt erst notwendig geworden, weil die Auslaufzone dahinter aus Asphalt bestehe, sagt Grosjean. Er meint: "Ich will lieber Kies überall. Der Randstein hat dort nichts verloren." Was der Zwischenfall in der Formel 3 eindrucksvoll bewiesen habe.
Das sieht auch Nico Hülkenberg so. Er fühlt sich darin bestätigt, nie ein Fan der hohen Randsteine gewesen zu sein. "Wir [Fahrer] haben schon oft gesagt, diese Randsteine sind gefährlich. Dieser Unfall war das beste Beispiel dafür, was passiert, wenn ein Auto mit hoher Geschwindigkeit auf einen solchen Randstein trifft."
Weniger Risiko bei den Piloten, dann ...
Immerhin sei nach dem Crash rasch gehandelt und der Randstein umgehend entfernt worden, sagt Hülkenberg. "Man hat also dazugelernt. Es braucht jetzt aber gar keine große Diskussion. Die Fahrer und alle Beteiligten müssen einfach nur gesunden Menschenverstand walten lassen und kontrolliert vorgehen, dann passt es schon", erklärt der Deutsche. Heißt auch: Die Piloten sind gefordert, weniger risikoreich zu fahren.
Was laut Daniil Kwjat eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Seine Meinung: "Track Limits reichen aus. Vor fünf Jahren gab es noch ein Kiesbett, das war gut. Und mit Track Limits brauchst du diesen Randstein nicht mehr. Warum auch? Wir alle kennen die Regeln und müssen sie befolgen." Also ganz einfach: "Keep it on the black stuff", bleib innerhalb der Streckenmarkierung.
Bei Formel-1-Neuling Alexander Albon scheint diese Botschaft angekommen zu sein. Er spricht von "einer Art Weckruf" durch den wilden Peroni-Unfall und meint: "Erstaunlich ist nur, dass so etwas nicht häufiger vorkommt."
Späte Anerkennung für Cockpitschutz Halo
Erleichterung zieht die Formel-1-Gemeinschaft aber kollektiv daraus, dass die Sicherheitsvorkehrungen am Fahrzeug das Schlimmste verhindert haben und der Grand-Prix-Zirkus nicht innerhalb von wenigen Tagen zum zweiten Mal einen Todesfall betrauern muss.
"Ich mag [den Cockpitschutz] Halo nicht, aber bei diesem Crash hat es [Peroni] wahrscheinlich gerettet", sagt Grosjean. Auch Gasly muss anerkennen: "Ich war nie ein Fan von Halo, aber die Bilder [vom Unfall] sind Grund genug, es zu haben. Wir werden zwar nie erfahren, wie der Unfall ohne Halo ausgegangen wäre, aber ich will mir es gar nicht vorstellen."
Robert Kubica, der 2007 in Kanada einen ähnlich fürchterlichen Unfall leichtverletzt überlebte, spricht indes von "Glück" für Peroni und meint: "Der Unfall war ziemlich extrem, die Konsequenzen aber vergleichsweise gering."