Formel 1 Monza 2019: Nervenstarker Leclerc bezwingt Mercedes-Duo!
Charles Leclerc gewinnt den Grand Prix von Italien vor Bottas - Lewis Hamilton nach Fehler immerhin Dritter - Sebastian Vettel erlebt ein schwarzes Wochenende
(Motorsport-Total.com) - Nur eine Woche nach seinem Premierensieg in der Formel 1 hat Charles Leclerc ein zweites Mal zugeschlagen. Der 21-Jährige gewann nach elektrisierendem Kampf gegen beide Mercedes-Piloten den Grand Prix von Italien und erfüllte sich damit gleich im ersten Jahr bei der Scuderia den großen Traum, als Ferrari-Fahrer in Monza zu triumphieren.
Neun Jahre nach Fernando Alonso ist Ferrari endlich der 19. Monza-Sieg gelungen, und dementsprechend brachen nach der Zieldurchfahrt alle Dämme. Die begeisterten Tifosi rollten bei der Siegerehrung zwei übergroße Ferrari-Flaggen aus und sangen die Hymne - und vergaßen dabei ein bisschen auf Sebastian Vettel, der nur auf Platz 13 ins Ziel kam.
"Was für ein Rennen. Ich glaube, ich war noch nie so erschöpft", sagt Leclerc. Kein Wunder: Von der ersten bis zur letzten Runde musste er dem Druck der beiden Mercedes-Fahrer standhalten. "Das ganze Rennen von Lewis Hamilton gejagt und unter Druck gesetzt zu werden, ist der ultimative Test", applaudiert Ex-Weltmeister Nico Rosberg.
42 Runden lang spürte Leclerc den Atem von Hamilton im Nacken, und das ohne Pause zum Durchschnaufen. Gleich am Start kam Hamilton auf den ersten Metern besser weg, verlor dann aber doch das Beschleunigungsduell bis zur ersten Kurve. Danach wirkten die Positionen erstmal bezogen. Richtig absetzen konnte sich Leclerc aber nicht.
Mercedes: Hamilton früh, Bottas spät an der Box
In Runde 19 kam Hamilton an die Box und triggerte damit die Ferrari-Crew, die eine Runde später reagierte, um den Undercut abzuwehren. In Runde 23 der erste große Höhepunkt im Duell: Leclerc (auf Hard) lief auf Nico Hülkenberg (Renault) auf, und Hamilton (auf Medium) saugte sich so nahe ran, dass es in der Variante della Roggia erstmals eng wurde.
Aber Leclerc blieb hart und drängte Hamilton neben die Strecke ab - wofür er von der Rennleitung die schwarz-weiße Flagge als Verwarnung kassierte. "Er hat mich ins Gras geschoben", beschwerte sich Hamilton am Boxenfunk. "Beinhart vom Monegassen", kommentierte Formel-1-Experte Alexander Wurz im 'ORF'.
Für Mercedes-Teamchef Toto Wolff gerade noch "im Rahmen. Wir haben gesagt, dass wir härteres Fahren wollen. Wenn Lewis abfliegt, ist es ein bisschen bitter. Dann hätte Charles wahrscheinlich auch eine Strafe bekommen."
Eine Runde später war Hamilton schon wieder dran, realisierte aber: "Er ist auf den Geraden superschnell." Zehn Runden später, als er noch immer nicht vorbei war, flehte er seinen Renningenieur an: "Ich brauche mehr Power, Mann!" Und tatsächlich sollte zwei Runden später die ganz große Chance kommen.
Runde 36: Hamilton nutzt die große Chance nicht
In Runde 36 - Hamilton hielt den Druck permanent aufrecht - verpasste Leclerc nämlich den Bremspunkt in der Rettifilo und musste geradeaus durch den Notausgang. Hamilton war in der Curva Grande dran, musste aber lupfen, weil ihm Leclerc naturgemäß keinen Platz ließ. So war dann auch der Angriff in der Variante della Roggia nicht mehr zwingend genug.
Sechs Runden später schien der Grand Prix entschieden: Nicht Leclerc, sondern Hamilton verbremste sich diesmal in der ersten Schikane - und verlor den Anschluss an den Führenden. Dabei schlüpfte Bottas durch, der sich mit den um sieben Runden frischeren Reifen von hinten nach und nach herangerobbt hatte - und sich anschickte, auf Leclerc-Jagd zu gehen.
"Das ist dein Sieg", feuerte die Mercedes-Box den Finnen an - aber der konnte den Ferrari-Sieg nicht verhindern. In Runde 46 unterlief Bottas in der Ascari-Schikane ein kleiner Fehler, sodass sein Rückstand von 1,1 wieder auf 1,6 Sekunden wuchs. Und in Runde 50 von 53 leistete er sich noch einen kleinen, aber in jener Phase extrem ungünstigen Schnitzer.
"Wenn du so nahe dran bist und bremst, dann verlierst du ziemlich viel Last an der Vorderachse", sagt Bottas. "Wir haben wirklich alles versucht, auch mit den Motoreneinstellungen. Es hat aber nicht ganz gereicht." Und auch Hamilton seufzt: "Wenn du so lange so dicht dran bist, lassen irgendwann die Reifen nach. Sie waren heute einfach schneller. Da war kein Vorbeikommen."
Wolff macht Mercedes-Fahrern keinen Vorwurf
Die kleinen Fehler der Mercedes-Fahrer waren letztendlich nur das Symptom der Ferrari-Überlegenheit auf einer Highspeed-Strecke wie Monza: "Wir kommen auf den Geraden nicht ran", analysiert Wolff. "Und wenn du versuchst, das in den Kurven wettzumachen, dann geht dir irgendwann die Strecke aus. Das ist des Öfteren passiert."
Gleichzeitig sei Leclerc ein "hartes, aber brillantes" Rennen gefahren, gratuliert Wolff - und: "Ferrari hatte das beste Paket." Dass die Kombination Leclerc/Ferrari bereits zum zweiten Mal hintereinander gewonnen hat, könnte in der Formel 1 den Beginn einer neuen Ära einläuten. "Er empfindet den Druck als Motivation", staunt selbst Ferrari-Teamchef Mattia Binotto über den Wunderknaben.
Gleichzeitig erlebte Vettel ein Waterloo. Nicht nur, dass er in Leclercs Schatten stand, leistete er sich auch einen peinlichen Fehler, als er sich in der Ascari-Schikane zunächst drehte und dann so unvorsichtig zurück auf die Strecke fuhr, dass Lance Stroll (Racing Point) nicht mehr ausweichen konnte und obendrein eine Beinahe-Kollision zwischen Stroll und Pierre Gasly (Toro Rosso) unvermeidbar wurde.
"Ich habe das Heck verloren und konnte es nicht mehr abfangen", rechtfertigt sich Vettel. Die Situation mit Stroll wurde mit einer Stop-&-Go-Strafe hart, aber gerecht bestraft. "Ich konnte ihn nicht sehen", bedauert der Ferrari-Star und grummelt: "Passiert mir normal nicht." Die härteste Strafe gab's auf der Strecke: In Runde 33 wurde er von Leclerc überrundet.
Für die kuriose und gefährliche Situation wurde übrigens auch Stroll bestraft, denn der zog ein paar Meter weiter mit Gasly das gleiche Spiel ab wie Vettel mit ihm. Weil der Kanadier aber nicht Auslöser der Situation war, waren die Kommissare bei ihm etwas gnädiger und sprachen nur eine Durchfahrtstrafe aus. Das kostete Stroll (12.) wohl mögliche WM-Punkte.
Tolle Performance des Renault-Teams
Fette Punkte sahnte in Monza das Renault-Team ab - und das nicht aufgrund der Ausfälle anderer, sondern aus eigener Kraft. "Seb hat uns heute ein bisschen was geschenkt. Aber ich glaube wirklich, dass wir heute ein Auto hatten, mit dem man Vierter werden konnte", strahlt Daniel Ricciardo, der nur zehn Sekunden hinter Hamilton über die Ziellinie fuhr.
Das lag zugegeben an dessen zweitem Boxenstopp für den Bonuspunkt, aber dass Renault so stark war wie noch nie in der Saison 2019, bewies auch das Überholmanöver von Nico Hülkenberg gegen Vettel in der ersten Runde. Hülkenberg konnte die Position zwar nicht lange halten, kam aber als Fünfter ins Ziel, 12,7 Sekunden hinter Ricciardo.
Alexander Albon (Red Bull) wurde trotz fünf Sekunden Zeitstrafe Sechster, vor Perez und Max Verstappen (Red Bull). Dessen Aufholjagd blieb aus, weil er schon in der ersten Runde um eine neue Nase an die Box kommen musste. Im Finish reichte es nicht mehr für eine Attacke gegen Perez, der seinerseits eine starke Leistung zeigte.
Antonio Giovinazzi (Alfa Romeo) und Lando Norris (McLaren) komplettierten die Top 10. Kimi Räikkönen (Alfa Romeo) wurde 15., nach einer Stop-&-Go-Strafe, weil er die falschen Reifen aufgezogen hatte. Kevin Magnussen (Haas), Daniil Kwjat (Toro Rosso) und Carlos Sainz (McLaren) sahen die Zielflagge nicht.
In der Fahrer-WM ist Hamilton dem Titel wieder einen Schritt näher gekommen. Der Brite führt nun 63 Punkte vor Bottas, 99 vor Verstappen, 102 vor Leclerc und 115 vor Vettel. Seit Monza kann auch rechnerisch kein anderer Pilot mehr Weltmeister werden. Weiter geht's am 22. September mit dem Grand Prix von Singapur.