• 04. August 2019 · 19:32 Uhr

Kampf der Giganten: Wie Mercedes Red Bull austrickste

Lewis Hamilton besiegt Max Verstappen in Ungarn mit einem Geniestreich von Mercedes - Die große Analyse: Nicht nur Verstappens Reifenverschleiß war schuld

(Motorsport-Total.com) - Die Siegesfeier begann mit einer Entschuldigung. Lewis Hamilton leistete erst einmal Abbitte bei James Vowles: "Tut mir leid, dass ich die Strategie angezweifelt habe." (Formel 1 2019 im Live-Ticker!)

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Entscheidung vier Runden vor Schluss: Lewis Hamilton lässt Max Verstappen stehen Zoom Download

Am Ende steht Hamilton wieder einmal als Sieger da, auch wenn er selbst zwischenzeitlich den Glauben verloren hatte. Das maifestierte sich in einigen seiner berühmten Funksprüche in Richtung Boxenmauer. Eigentlich schien es, als hätte Max Verstappen alles unter Kontrolle, doch der überraschende Boxenstopp wendete das Blatt in der Schlussphase um 180 Grad.

Es war kein typischer Mercedes-Sieg in kontrollierter Fahrt vorne weg, sondern ein erkämpfter. Köpfchen siegte über reine Stärke. Mit einem zweiten Boxenstopp 21 Runden vor Schluss löste Mercedes eine Pattsituation im Kampf um den Sieg auf. Zunächst sah es nicht so aus, als würde der Schachzug aufgehen. Am Ende passte es aber doch: Eine Offensive von Hamilton ab Runde 57 und am Ende eingehende Reifen bei Verstappen sorgten für die Entscheidung.

"Wir arbeiten jetzt sieben Jahre zusammen, aber jeder Sieg fühlt sich wie neu für uns an", streut der amtierende Weltmeister seinem Team Rosen. Und damit hat er tatsächlich einmal recht. Denn dieser Sieg war so gar nicht Mercedes-like. Die Mannschaft von Toto Wolff zeigte, dass sie auch aus einer Angriffsposition heraus gewinnen kann, statt das Rennen von vorne zu kontrollieren.

Im Red-Bull-Lager ist man hingegen überzeugt, dass nicht allein der spätere Boxenstopp den Ausschlag gegeben hat: Mercedes habe das schnellere Auto gehabt, sagen Teamchef Christian Horner und Red-Bull-Motorsportkonsulent Helmut Marko unisono. "Dass sie so in einem Sekundenfenster dranbleiben konnten, war beeindruckend", findet Horner.

Und auch Verstappen gibt zu: "Natürlich ist es immer besser zu gewinnen, aber manchmal muss man auch realistisch sein. Manchmal ist es einfach nicht dein Tag. Mercedes war einfach schneller. Das habe ich auch immer gesagt, sie sind das dominante Team. Aber wir haben alles darangesetzt, vorn zu sein. Wir haben viele Runden geführt, am Ende hat es nicht geklappt."

Ungewohnte Position für Red Bull

Aber von vorne: Als Hamilton erst einmal an Valtteri Bottas vorbei war (dazu im Laufe des Abends mehr), war schnell klar, dass das Rennen zum Duell werden würde. Endlich zeichnete sich das ab, was die Fans sehen wollten: Lewis Hamilton, unumstrittener König der Formel 1, im Duell gegen Max Verstappen, der an seinem Thron sägt. Mit gleichen Waffen.

Verstappen hielt sich im ersten Stint schadlos und ließ Hamilton nicht in Angriffsposition kommen. Doch die Sorge nach dem Undercut trieb Red Bull. So holte man nach mehreren Finten von Mercedes Verstappen bereits nach 25 Runden rein. Das sollte sich später rächen. Mercedes wartete mit dem ersten Stopp sechs Runden länger.

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Der Abstand begann ab Runde 57 deutlich zu schrumpfen (zum Vergrößern anklicken) Zoom Download

Die Position waren die Bullen auch lange nicht mehr gewohnt. In den vergangenen Jahren war es eher so, dass Red Bull die Strategie diktierte, weil man in der Angriffsposition war und entsprechend aggressiv vorgehen konnte. Jetzt war man plötzlich an der Spitze in der Defensive. "Es ist für den Spitzenreiter immer schwierig", nimmt Horner auf die ungewohnte Position angesprochen Bezug.

"Wenn man hinten liegt, ein schnelleres Auto und einen Gratis-Boxenstopp hat, dann hat man nichts zu verlieren. Es hat für sie heute funktioniert, Gratulation an Lewis und Mercedes - gut gemacht." Bereits nach dem ersten Stopp machte Hamilton mächtig Druck und wäre in Runde 39 beinahe vorbeigekommen, als sich beide eine halbe Runde duellierten. Mit letzter Kraft wehrte Verstappen ab und schickte Hamilton in die Auslaufzone.

Übrigens: Wäre Hamilton hier vorbeigekommen, wäre es womöglich umgekehrt gelaufen. "Wir das hätten das dann nicht gewagt, weil das zu viel Risiko war", sagt Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. "Man will die Position auf der Strecke halten." Hamilton kam aber nicht vorbei, der Punktsieg im Duell der zwei zweikampfstarken Fahrer ging in die Niederlande.

Erst Zweifel, dann Attacke

Danach schien Hamiltons Energie aufgebraucht zu sein. Die Pattsituation dauerte rundenlang an, bis Mercedes das Heft nach 48 Runden in die Hand nahm. Es war lange Zeit nicht klar, ob der zweite Stopp funktionieren würde. Vor allem Hamilton machte seinem Unmut wie üblich am Funk Luft. "Ich dachte definitiv nicht, dass das ein Geniestreich war", gibt der fünfmalige Weltmeister zu.


Fotos: Grand Prix von Ungarn


"Im Auto habe ich natürlich eine andere Sichtweise. Ich war hinter ihm und hatte sechs oder sieben Runden frischere Reifen. Zu diesem Zeitpunkt war ich deutlich schneller und ich dachte, ich müsste das einfach verwalten und den Druck hochhalten. Sie sagten mir dann, dass wir auf die Zweistoppstrategie gehen würden. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie das funktionieren sollte."

Tatsächlich machte Hamilton auf frischen Mediums für sieben Runden keine großen Fortschritte, wie unsere Grafiken zeigen. Seine Zeiten bewegten sich im 1:19er-Bereich. Das konnte Verstappen beinahe mitgehen, wenn auch nicht ganz.

"Zunächst fühlte es sich auf dem Medium gar nicht gut an", sagt der 34-Jährige. "Danach war es okay, dennoch fuhr er immer noch meine Zeiten. Da wusste ich, ich müsste jetzt beginnen, Qualifying-Zeiten zu fahren."

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Der Grund: Verstappens Reifen brachen erst kurz vor Schluss ein - zuvor gab es eine Hamilton-Offensive Zoom Download

Und das tat er dann auch: Ab Runde 57 begannen die Zeiten in den 1:18er-Bereich zu purzeln, während Verstappen weiter seine Zeiten um die 1:20er-Marke fuhr. Das erlaubte es dem Mercedes-Piloten, mehr als eine Sekunde pro Runde aufzuholen. Die Reifenprobleme bei Verstappen sorgten erst ab Runde 63 für wirklich langsame Rundenzeiten. Doch da stand schon fest, dass Hamilton auch ohne den Einbruch herankommen würde.

Jener war auch während seiner gefürchteten "Hammertime" nicht ganz ohne Zweifel: "Ich dachte nicht, dass die Reifen halten würden. Ich musste einfach die ganzen Zweifel aus meinem Kopf kriegen und es einfach versuchen. Wenn es nicht funktioniert, dann eben nicht. Hätte es nicht geklappt, wäre das frustrierend gewesen, da ich zuvor auf dem harten Reifen schon dachte, dass ich mehrere Möglichkeiten hätte, um vorbeizukommen."

Bei der ganzen Aufholjagd musste er auch noch Bremsprobleme managen. "Wir hatten diese Probleme am gesamten Wochenende", lässt er durchblicken. "Die vorderen Temperaturen waren unterschiedlich und ich hatte mit Verglasung zu kämpfen. Im Rennen habe ich viel Lift-and-Coast betrieben und die Bremse zeitweise für eine halbe Runde nicht einmal berührt, um Energie für den Moment aufzusparen, als es drauf ankam."

Doch der Zweikampf war kein richtiger: Bei Verstappen waren die Reifen so schlecht, dass keine Gegenwehr mehr möglich war. Hamilton ging eingangs der 67. Runde mit Leichtigkeit in Kurve 1 vorbei, Verstappen musste anschließend gar noch einmal stoppen, weil er nicht glaubte, über die Distanz zu kommen. Die schnellste Runde blieb als Trostpflaster.

Zweiter Stopp für Red Bull nie eine Option

Der Niederländer ist jedoch alles andere als unzufrieden: "Ich fühle mich gut, schließlich habe ich alles auf dem harten Reifen gegeben, um am Leben zu bleiben. Leider war es nicht genug, aber Zweiter ist okay. Wir mögen heute nicht gewonnen haben, aber es war ein gutes Rennen für uns."

Helmut Marko will allerdings Aufklärungsarbeit betrieben, denn es lief anders, als von Red Bull vorausberechnet. "Wir haben schon gemerkt, wie der erste Reifensatz viel zu früh nachgelassen hat", sagt er im 'ORF'. "Da war klar, dass das hinten raus eng werden wird. Aber dass der Reifen dann so eingeht, das haben wir nicht erwartet. Das war eine Fehleinschätzung."

Wäre ein zweiter Boxenstopp für Verstappen sinnvoll gewesen, bevor Hamilton das zweite Mal reinkam? "Max mit einer Sekunde Vorsprung ein zweites Mal reinzuholen, hätte für uns keinen großen Sinn gemacht", winkt Christian Horner ab.

Als der Stopp von Hamilton erst einmal eingelegt war, gab es keine Chance mehr zu reagieren: "Bereits am Ende des zweiten Sektors hätte Lewis vor uns gelegen. Wir hätten Track Position eingebüßt. Die einzige Möglichkeit war, es auszusitzen."

Und bei Mercedes gibt es erst einmal die Frage zu klären, ob nun die Strategieabteilung oder Lewis Hamilton gewonnen hat. Für Toto Wolff ganz klar beide. Und auch James Vowles sagte am Funk zu Hamilton: "Nur du hättest das so umsetzen können." Übrigens noch vor Hamiltons Entschuldigung, die gleich darauf folgte.

Mercedes geht also nochmal mit Rückenwind nach der Hockenheim-Pleite in die Sommerpause. Die Geldstrafe für das Überschreiten der maximal zulässigen Geschwindigkeit in der Boxengasse auf einer Recon Lap (Runden, die ein Fahrer vor Beginn des Rennens in die Startaufstellung abspult) von 1.000 Euro fällt da auch nicht mehr ins Gewicht.

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