Formel 1 Ungarn 2019: Hamilton gewinnt Strategie-Thriller!
Lewis Hamilton gewinnt den letzten Grand Prix vor der Sommerpause am Hungaroring mit einem taktischen Kraftakt vor Max Verstappen und Sebastian Vettel
(Motorsport-Total.com) - Lewis Hamilton ist dem Gewinn der Formel-1-Weltmeisterschaft 2019 im letzten Rennen vor der Sommerpause einen großen Schritt nähergekommen. Der Mercedes-Pilot triumphierte beim Grand Prix von Ungarn auf dem Hungaroring mit einem taktischen Kraftakt und vergrößerte seinen Vorsprung in der Fahrerwertung von 41 auf 62 Punkte.
Hamilton legte in der 48. von 70 Runden überraschend einen zweiten Boxenstopp ein, nachdem er zuvor rundenlang nicht an Polesetter Max Verstappen (Red Bull) vorbeigekommen war. Der Verdacht lag nahe, dass Mercedes damit nur auf den Bonuspunkt für die schnellste Runde losgeht und auf ein Safety-Car hofft. Nach hinten war der Abstand zu den beiden Ferraris groß genug.
Verstappen dämmerte aber schon in Runde 51: "Wir hätten auch stoppen sollen!" Da glaubte sonst noch keiner, dass es für ihn eng werden könnte. Sein Vorsprung betrug nach Hamiltons zweitem Boxenstopp über 23 Sekunden. Aber als die Luft schon draußen zu sein schien, zündete Hamilton den Turbo.
Mit einer Serie an schnellsten Runden arbeitete er sich in die DRS-Sekunde heran, und in Runde 67 war es dann so weit: Hamilton kam gut aus der letzten Kurve heraus, nutzte seinen Geschwindigkeitsüberschuss und zog - ausgerechnet vor den Augen tausender "Oranjes" auf der Haupttribüne - an Verstappen vorbei!
Trostpreis: Bonuspunkt für Verstappen
Verstappen fand sich schnell mit der Niederlage ab und machte wenigstens noch das Beste draus, indem er sofort an die Box kam, auf weiche Reifen wechselte und damit noch den Bonuspunkt abstaubte. Letztendlich fehlten 17,8 Sekunden auf den Sieg. "Wir waren einfach nicht schnell genug", seufzt er.
Am Boxenfunk war die Enttäuschung bei Red Bull groß: "Sie haben die Würfel durchgemischt, und das ist ihnen aufgegangen", seufzte Teamchef Christian Horner. Selbst Formel-1-Experte Alexander Wurz hätte "nicht damit gerechnet, dass der Pirelli-Reifen so abbaut", wie er im 'ORF'-Live-Kommentar zugab.
Mercedes-intern war man sich auch nicht sicher, dass die gewagte Strategie aufgehen würde. Als sich James Vowles am Boxenfunk meldete, entschuldigte sich Hamilton spontan: "Sorry, dass ich deine Strategie angezweifelt habe!" Aber Vowles ist nicht nachtragend: "Lewis, nur du kannst so eine Strategie umsetzen!"
Es war ein Meisterstück der modernen Formel 1, einen in Führung liegenden Gegner nicht mit einem klassischen Under- oder Overcut zu bezwingen, sondern einfach einen zusätzlichen Boxenstopp einzulegen, mit den frischeren Reifen volles Rohr zu ballern und zu hoffen, dass im Finish noch genug Pulver übrig ist, um den entscheidenden Schuss zu setzen.
Die Frage, die sich nach dem Rennen viele stellen: Hätte Red Bull nicht am besten auf den Hamilton-Stopp reagiert, indem man auch Verstappen sofort reingeholt hätte? "Nein. Wir hätten das nicht umsetzen können", seufzt Horner. "Am Ende des zweiten Sektors wäre Lewis schon vorne gewesen. Unsere einzige Chance war, es so zu versuchen. Mercedes war einfach schneller."
Ferrari entgeht nur knapp einer Überrundung
Hamilton und Verstappen konnten quasi nach Belieben Reifen wechseln, weil Ferrari im Rennen überhaupt keine Rolle spielte. Sebastian Vettel holt zwar nach Hockenheim das zweite Podium hintereinander, mehr als eine Minute Rückstand gibt ihm aber zu denken: "Wir müssen besser werden. Es war ganz klar, dass wir es mit denen nicht aufnehmen konnten."
Vettel stand zunächst im Schatten seines Teamkollegen Charles Leclerc, stellte aber bereits in Runde 11 auf "Plan B" um und kam somit erst in Runde 39 zum Reifenwechsel. Mit den wesentlich frischeren Pirellis rückte er Leclerc in der zweiten Rennhälfte immer näher - bis er in Runde 68 tatsächlich vorbeiging.
Es war ein hartes Manöver unter Teamkollegen, als sich Vettel bei Start und Ziel heransaugte, denn Leclerc schmiss vor der ersten Kurve gnadenlos die Tür zu. Vettel blieb trotzdem innen und hielt drauf - und entschied das Duell für sich. Für die interne Hackordnung ein wichtiger Erfolg: "Ich hatte eine Chance, und die habe ich genutzt", sagt er.
Dass ein Ferrari auf dem Podium stand, hatte mit einer völlig verkorksten Vorstellung von Valtteri Bottas (Mercedes) zu tun. "Heute lief von der ersten Runde an alles schief", seufzt der Finne, der gerade um seine Zukunft im Team fährt und in der WM wieder wertvollen Boden auf Titelrivale Hamilton verloren hat.
Bottas: Kollision mit dem eigenen Teamkollegen
Gleich in der ersten Kurve standen Bottas' Räder. "Mein Fehler. Ich wollte es außen gegen Max probieren", gibt er zu. In Kurve 2 konnte er Hamilton noch hinter sich halten, in Kurve 3 dann nicht mehr. Was nicht passieren darf: Als Hamilton schon vorbei war, touchierte Bottas' Frontflügel den linken Hinterreifen des eigenen Teamkollegen.
Es war viel Glück dabei, dass Hamilton daraus keinen Schaden zog - aber damit war Bottas noch nicht fertig: Als ein paar Meter weiter auch Leclerc an ihm vorbeiging, zog er mit dem die gleiche Nummer ab! "Ich konnte ihn nicht kommen sehen", verteidigt er sich. "Mit dem Platten hatte ich Untersteuern in Kurve 2, und so war es schwierig, mich gegen Lewis und Charles zu verteidigen."
Bottas hielt zunächst das gesamte Feld auf, kam dann in der fünften Runde doch an die Box und fiel auf den letzten Platz zurück. Sein Renningenieur prognostizierte zu dem Zeitpunkt, dass er noch auf P6 nach vorne fahren würde. Letztendlich wurde er Achter - und biss sich im Finish die Zähne an Landsmann Kimi Räikkönen (Alfa Romeo) aus.
Hinter dem elektrisierenden Duell um den Sieg war Ungarn 2019 nach drei echten Krachern eine überschaubar aufregende Angelegenheit. Carlos Sainz (McLaren) wurde Fünfter, 1,4 Sekunden vor Pierre Gasly, dem farblosen zweiten Red-Bull-Fahrer. Ab Sainz war das gesamte Feld überrundet - nur Verstappen, Hamilton und die Ferraris fuhren in der gleichen Runde über die Ziellinie!
Lando Norris (McLaren) wurde Neunter, Alexander Albon (Zehnter) - obwohl bei beiden die Boxenstopps suboptimal waren. Albon zog zwischendurch mal den Kürzeren in einem sehenswerten Duell mit Teamkollege Daniil Kwjat, der eine Woche nach seinem Podium in Hockenheim mit Platz 15 vorliebnehmen musste.
Steiner hat genug: Stallorder bei Haas
Immerhin lieferte das Rennen ein paar kleine Highlights. Der Start von Sergio Perez (Racing Point) mit fünf gewonnenen Positionen war eines davon. Oder die Duelle von Kevin Magnussen (13./Haas) mit zuerst Norris und dann Daniel Ricciardo (14./Renault). Als beide Haas-Fahrer hintereinander auf der Strecke lagen, griff diesmal übrigens der Kommandostand ein. Günther Steiner traut seinen Jungs nicht mehr ...
Und dann war da noch Nico Hülkenberg (Renault), dem eine Woche nach dem Fiasko von Hockenheim keine Wiedergutmachung gelang. Früh im Rennen klagte er über "no Power - und es wird schlimmer!" Der Deutsche setzte auf einen langen ersten Stint, trotz einer schlechten Balance. Mehr als Platz zwölf war so nicht zu holen.
Letztendlich war das Duell Verstappen gegen Hamilton über weite Strecken das größte Spannungsmoment im Rennen. Spannung schon vor dem ersten Boxenstopp, als Mercedes mehrfach den Reifenwechsel antäuschte, aber nicht umsetzte - bis in Runde 25 überraschend Verstappen vor Hamilton reinkam.
"Mercedes hat nicht damit gerechnet, dass Red Bull den Boxenstopp in der Runde macht", glaubt Experte Wurz. Noch dazu kam Verstappen im Verkehr auf die Strecke zurück. Aber Antonio Giovinazzi (18./Alfa Romeo) machte kameradschaftlich Platz, und mit den anderen machte Verstappen kurzen Prozess. So war Hamiltons Chance auf die Führung erstmal dahin.
Verstappen-Boxenfunk sorgt für Unterhaltung
Mercedes wartete bis Runde 31, um den Weltmeister reinzuholen. Der Reifenwechsel dauerte vier Sekunden, und der Rückstand auf Verstappen betrug nun keinen Wimpernschlag mehr, sondern 6,2 Sekunden. Wegen der frischeren Reifen war Hamilton ruck-zuck am Red Bull dran - aber just als er wieder attackieren wollte, rief Mercedes zum zweiten Boxenstopp.
Zwischendurch war der Boxenfunk unterhaltsam. Als Hamilton in Verstappens Windschatten vom Gas gehen musste, weil er mit ein paar schnellen Runden seinen Reifen zu viel zugemutet hatte, erkundigte sich Verstappen, ob am Mercedes etwas kaputt sei. Später wünschte er sich volle Leistung vom Honda-Motor - der aber ohnehin schon voll aufgedreht war ...
Dass es letztendlich nicht gereicht hat, trägt Verstappen mit Fassung: "Ich habe alles versucht, den harten Reifen am Leben zu halten. Aber leider hat es nicht gereicht." Trotzdem sei es "insgesamt ein gutes Wochenende für uns" gewesen.
Was im TV nicht zu sehen war: Hamilton hatte zwischendurch mit Bremsproblemen zu kämpfen. "Eigentlich schon das ganze Wochenende", berichtet der glückliche Sieger. "Eine halbe Runde lang konnte ich gar nicht bremsen, um die Bremsen für dann aufzusparen, wenn's drauf ankommt." Was ihm eindrucksvoll gelungen ist ...
"Wenn Niki heute hier wäre", glaubt Hamilton, "würde er sein Kapperl ziehen."