• 15. Juli 2019 · 10:52 Uhr

Hamiltons Extraklasse: Boxenstopp verweigert, Bonuspunkt geholt!

Wie Lewis Hamilton in Silverstone ein Kommando seines Renningenieur Peter Bonnington verweigert und in der letzten Runde alle Experten verblüfft hat

(Motorsport-Total.com) - Lewis Hamilton hat in den letzten Runden des Grand Prix von Großbritannien in Silverstone bewiesen, dass er zu den ganz Großen des Sports gehört. Denn obwohl seine harten Reifen vor der letzten Runde schon 31 Umläufe auf dem Buckel hatten, fuhr er auf den allerletzten Drücker noch die schnellste Runde und sicherte sich den dafür vorgesehenen Bonuspunkt.

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Lewis Hamiltons letzte Runde in Silverstone war eine Machtdemonstration Zoom Download

In Runde 44 (von 52) wurde Hamilton darüber informiert, dass Valtteri Bottas noch einmal Reifen wechseln muss: "Wir haben einen gratis Boxenstopp", funkte sein Renningenieur Peter Bonnington. Hamiltons Vorsprung betrug zu dem Zeitpunkt drei Sekunden. Doch er lehnte die Idee des Teams ab: "Ich will weiterfahren."

Mercedes-Teamchef Toto Wolff erklärt: "Wir hatten intensive Diskussion am Boxenfunk. Wir waren uns nicht einig. Es stand 50:50, ob wir noch einmal stoppen oder nicht. Dann haben wir die Entscheidung dem Fahrer überlassen und gefragt, was er denkt. Schließlich weiß der Fahrer am besten, wie sich die Reifen anfühlen."

Aber das ist nur die halbe Wahrheit, wenn man den Boxenfunk komplett rekonstruiert. Denn in Runde 45 kam von Bonnington ziemlich bestimmend das Kommando: "Box, Box!" Das Hamilton einfach ignorierte. Kurz darauf hatte sich Bonnington damit abgefunden, die Reifen nicht mehr zu wechseln: "Okay, Lewis. Wir fahren durch bis zum Ende."

Meinungsverschiedenheit "passiert nicht oft"

Dass Hamilton den Stopp von sich aus "abgeblasen" habe, möchte Wolff aber nicht stehen lassen: "So würde ich das nicht sagen. Wir haben nicht immer das klare Bild vor Augen. Wir haben die Daten und können die Konkurrenten sehen. Aber es braucht den Input der Fahrer, um die finale Entscheidung zu fällen. Deshalb haben wir ihn gefragt."

"Das passiert nicht oft", sagt Wolff, "denn meistens sind wir ziemlich sicher, was zu tun ist. In diesem Fall war es aber ein wichtiger Teil der Teamentscheidung." Was für den Boxenstopp gesprochen hat, war die Möglichkeit eines späten Safety-Cars: "Wenn am Ende ein Safety-Car rausfährt, ist man auf dem harten Reifen allen ausgeliefert."

Letztendlich, räumt der Teamchef ein, habe Hamilton "die richtige Entscheidung" getroffen. Denn der Sieger ist überzeugt, dass seine Reifen noch gut genug waren, um auch im Falle einer Safety-Car-Phase, die das Feld zusammenschieben würde, zu gewinnen: "Warum das Risiko eingehen?", begründet Hamilton sein Missachten des Kommandos.

"Ja, ich hatte ein Boxenstopp-Fenster. Aber da ist die Boxeneinfahrt, und der Stopp selbst. Nochmal zusätzlicher Druck für die Mechaniker. Nicht dass ich ihnen nicht vertrauen würde, aber man muss es ja nicht herausfordern. Und ich hatte meine Reifen ausreichend geschont. Ich hatte ein gutes Gefühl, der Hard fühlte sich wirklich gut an."

Freilich gibt er zu, "ein bisschen" hin und her gerissen gewesen zu sein, weil er sichtbar Blasenbildung auf dem linken Vorderreifen hatte. Aber: "Dann dachte ich mir, es sind nur noch sieben Runden. Es ist selten, dass ich gegen das Team gehe. Aber heute traf ich die Entscheidung, dass das das Beste für mich ist."

Strat 5: Schnellste Runde sorgfältig vorbereitet

Doch Hamilton hatte noch nicht genug damit, das Rennen zu gewinnen - er wollte auch den Bonuspunkt. Bottas hatte in Runde 47, auf brandneuen Softs, eine Zeit von 1:27.406 Minuten vorgelegt. In Runde 51 erkundigte sich Hamilton schon am Boxenfunk: "Welchen Strat-Modus kann ich für die letzte Runde haben?"

Beim sogenannten Strat-Modus geht es um die Be- und Entladeeinstellungen der Hybridsystem-Batterie. Bonnington gab Modus 5 frei. Das ist (nach bestem Wissen und Gewissen unsererseits) der leistungsstärkste Modus, den Mercedes für den normalen Rennbetrieb in Erwägung zieht. Nur im Qualifying kann die Batterie noch mehr Power abgeben.


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Vor Stowe, wenige Sekunden vor Beginn seiner letzten Runde, schaltete Hamilton in Strat-Modus 5 um. Dann die Zwischenzeiten: 0,048 Sekunden Rückstand auf Bottas' Zeit nach Sektor 1, 0,091 nach Sektor 2 - aber im allerletzten Sektor holte er auf seinen fast 32 Runden alten Hards noch 0,128 Sekunden raus! Am Ende machten 0,037 Sekunden den Unterschied.

Bottas rechtfertigt sich: "Ich habe wirklich alles versucht, aber ich hatte in dem Moment nicht die volle Batterieleistung. Obwohl ich die mit dem Modus, den ich in der Runde davor gefahren bin, hätte haben sollen. [...] Das hat mich ein bisschen Zeit gekostet." Eine Sache, aus der man für das nächste Rennen lernen kann, sagt er.

Und: "Ich hatte ein bisschen mehr Benzin an Bord", seufzt Bottas. Nichtsdestotrotz: "Ich bin schon überrascht, dass du mit dem harten Reifen am Ende noch so eine Runde fahren kannst. Offensichtlich war der Hard sehr gut, sehr solide. Es hat nicht viel gefehlt. In der letzten Kurve habe ich auch noch das Rad stehen lassen. Vielleicht auch eine Zehntelsekunde. Das war dann schon zu viel."

Hamiltons beste Runde aller Zeiten?

Hamilton hingegen behauptet, seine Runde 52 in Silverstone 2019 sei "die beste Runde" gewesen, "die ich je hatte. Es gibt keine bessere Art und Weise, ein Rennen zu beenden, als so, wenn du in deinem Sitz hin und her geschleudert wirst, das Auto ständig am Limit ist. Einfach klasse. Das war die Runde, die ich im Qualifying hätte fahren sollen."

Clever: Weil er sich seine Attacke für die allerletzte Runde sparte, hatte Bottas keine Gelegenheit mehr, darauf zu antworten. Der Finne war sich sicher, dass seine Bestzeit reichen würde. Bemerkenswert: Pirelli hatte eine Einstoppstrategie vor dem Start nicht einmal in Erwägung gezogen. Doch Hamilton fuhr ganz am Ende sogar noch die schnellste Runde!

"Ich möchte nicht sagen, dass ich diese Bonuspunkt-Regel liebe oder so. Aber es macht schon Spaß, ein bisschen zu pushen", grinst der WM-Leader. "Während so eines Rennens drehst du den Motor normalerweise runter, um Benzin zu sparen, und all diese Dinge. Aber jeder pusht irgendwann einmal wegen der schnellsten Runde!"

Wolff kann zu dem Thema übrigens noch einen "lustigen Hintergrund" verraten: "Seit wir dieses neue Reglement mit dem Punkt für die schnellste Runde haben, zeigen die Ingenieure den Fahrern jeden Sonntagmorgen eine Präsentation, dass es keinen Sinn ergibt, auf die schnellste Runde zu gehen. Weil es ein viel zu großes Risiko ist."

"Man kann den Fahrern ansehen, dass sie sich nur denken: 'Ja, ja.' Und dann werden all diese Daten ad absurdum geführt. Auf dem Papier sollte ein 32 Runden alter harter Reifen niemals gut genug sein für die schnellste Runde", sagt Wolff und ergänzt: "Dann zaubert er so eine Runde raus! Das lässt die Daten dumm aussehen. Aber das zeigt einfach seine Klasse."

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